Gleich mehrere Verbände im Freistaat schlagen Alarm und warnen vor der „Heimatstrategie“ von Bayerns Finanz- und Heimatminister Markus Söder (CSU): Sie zerstöre eine in Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft durch die Ansiedlung neuer Gewerbegebiete. Die Bürgermeister haben allerdings eine andere Sicht: Das Vorhaben fördere die gleichwertigen Lebensverhältnisse.
Wer in die todernsten Gesichter der Dame und der vier Herren auf dem Podium im Münchner Presseclub hoch über dem Marienplatz schaut, dem kann Angst und Bang werden um den Freistaat. Durch die großen Fenster fällt heller Sonnenschein von einem strahlend blauen, eben typisch bayerischen Himmel herein – aber drinnen ist gefühlt alles grau und duster, besonders die Zukunft der Landschaft.
Es droht durch eine künftig erleichterte Ausweisung von Gewerbegebieten nichts weniger als der „Ausverkauf unserer bayerischen Kulturlandschaft“ – so die Überzeugung von Hubert Weiger und Richard Mergner, Landesvorsitzender und Landesbeauftragter vom Bund Naturschutz, Andrea Gebhard, der Landesvorsitzenden der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, Rudolf Scherzer, dem Vizepräsidenten der Bayerischen Architektenkammer und Martin Wölzmüller, dem Geschäftsführer des Landesvereins für Heimatpflege.
Obwohl politisch keine natürlichen Verbündeten, haben sie sich für eine geplante Massenpetition zusammengeschlossen. Gemeinsam, so die Überzeugung, werde man den Landtag wohl noch rechtzeitig zum Einschreiten gegen den Plan der Staatsregierung bewegen können. Bedroht fühlen sich die vier Verbände, die auch noch von den Berufsständischen Organisationen der Landschaftsarchitekten und Bauingenieure unterstützt werden, von der „Heimatstrategie“ von Bayerns Finanz- und Heimatminister Markus Söder (CSU). Bis zum Jahr 2020, so plant es der Ressortchef, sollen Ausweisungen von neuen Gewerbegebieten in Bayern deutlich leichter möglich sein als bisher. Momentan gilt noch ein so genanntes Anbindegebot. Das heißt, ein neuer Industriepark, ein Outletcenter oder ein Riesen-Supermarkt soll möglichst da entstehen, wo schon Industrie- und Gewerbegebäude vorhanden sind. Laut „Heimatstrategie“ soll das aber bald auch an ganz normalen Autobahnabfahrten oder eben auf der berühmten grünen Wiese möglich sein.
"Ruinöser Wettbewerb bei der Gewerbesteuer"
Doch immer mehr Gewerbegebiete, davon sind die Verbandsvertreter überzeugt, werden bei den bereits vorhandenen die Preise drücken. Um Unternehmen am Ort zu halten, könnten Kommunen in einen Konkurrenzkampf um das günstige Angebot geraten. Wohin das führe, sehe man am besten in Norditalien. Über hunderte Kilometer hinweg, weit jenseits der Ortsgrenzen, reiht sich dort ein Gewerbegebiet ans andere, eine schier unendliche Ansammlung von gigantischen und hässlichen Hallen, die der Landschaft jeden Charme und Reiz genommen haben.
Manches, was da in diesem Stil demnächst auch in Bayern entstehen könnte, wirkt durchaus beängstigend. Ein Flyer wird verteilt, darauf ein Foto mit Kühen auf sanften Hügeln – Allgäu pur. Dieser Idylle droht das interkommunale Gewerbegebiet „Auf der Au“ im Argental im Landkreis Lindau, „inmitten eines landschaftlichen Vorbehaltsgebiets. Mehr als acht Hektar groß soll es werden. Und obwohl es Alternativen gäbe – etwa ein ehemaliges Sägewerk, ein früheres Autohaus und die Fläche eines Milchwerks – würden diese von den Gemeinden Gestratz, Grünenbach, Maierhöfen und Röthenbach abgelehnt.
So scheinen also die Fronten: Gewinnorientierte Kommunen ohne ökologisches Verantwortungsbewusstsein auf der einen, verantwortungsbewusste Naturschützer auf der anderen Seite. Doch so einfach ist es nicht. Denn vor allem die Kommunen in strukturschwachen Regionen kämpfen verzweifelt gegen den demografischen Wandel. Keine neuen – und vor allem: unternehmensgerechten – Gewerbegebiete bedeuten keine neuen Jobs bedeuten Wegzug der Jüngeren bedeuten Aussterben des Ortes. Obendrein ist die Gewerbesteuer eine der wenigen eigenen Einnahmequellen der Kommunen – unverzichtbar in Zeiten, wo ihnen Land und Bund immer neue Aufgaben bei Kita-Betreuung, Flüchtlingen und Behinderten-Inklusion aufladen.
Gemeindetag begrüßt Vorhaben
Auch ist die von den vier Verbänden als Alternative ins Spiel gebrachte „stärkere Nachverdichtung“ in den Innenstädten leichter gesagt als getan. Denn dem Plan, alte Häuser zu erweitern oder umzubauen oder gar für Neubauten in der City abreißen zu wollen geht in Bayern meist ein jahrelanges Tauziehen zwischen den Stadtverwaltungen und meist ziemlich unnachgiebigen staatlichen Denkmalschützern voran. „Die Erleichterungen beim Anbindegebot sind deshalb richtig“, sagt Uwe Brandl (CSU), der Bürgermeister der Gemeinde Abensberg im Landkreis Kelheim und Präsident des Bayerischen Gemeindetags, „denn damit wird dem Gebot der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Freistaat Rechnung getragen.“
Im Kern ist es also wohl ein Konflikt zwischen Artikel 3 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung, der eben dies fordert, und Artikel 141, der „kennzeichnende Orts- und Landschaftsbilder zu schonen und zu erhalten“ als „vorrangige Aufgabe von Staat und Gemeinden“ betont. Verfassungsartikel nach ihrer Wertigkeit kategorisieren dürfte aber eine undankbare Aufgabe werden. Die Bitte um eine Stellungnahme ließ das Finanzministerium allerdings bis Redaktionsschluss unbeantwortet. (André Paul)
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