Kommunales

Die Straßenbahn in Ulm könnte ein Vorbild für Regensburg sein. (Foto: Eichermüller)

10.08.2018

Kein Prestigeobjekt, sondern Notwendigkeit

Regensburg bekommt eine neue Stadtbahn – 54 Jahre, nachdem die Vorgängerin der Domstadt ihren Betrieb eingestellt hat

Jetzt stehen sie gut geschützt in einem Depot. Im Osten der Stadt auf einem Schrottplatz warten zwei historische Waggons auf ihren Einsatz. Der alte Triebwagen, noch völlig zerzaust vom Zahn der Zeit und der Beiwagen Nummer 79, adrett und aufwendig restauriert. Die Bodendielen aus Kiefernholz, die Wände aus Eiche und Eichensperrholz, die Sitze aus Buchenleimholz. Sie glänzen so herrlich, als hätten sie ihre beste Zeit noch vor sich. „Da habe ich mich durchgesetzt“, sagt Martin Kempter, Straßenplaner und Tram-Enthusiast. Ginge es nach Kempter, dann würden sie beide wieder durch Regensburg zuckeln. Auf einer der noch vorhandenen Strecken, über die von 1903 und 1964 auch die beiden historischen Tramwagen fuhren.

Die Straßenbahn war zu jener Zeit das modernste was der öffentliche Nahverkehr zu bieten hatte. Am 1. August 1964 war plötzlich Schluss. Die Regensburger Straßenbahn rumpelte zum letzten Mal durch die Altstadt, vorbei am Dom, dem Kneitinger und durch das Ostentor. Thomas Friedrich erinnert sich gut daran, wie er in Studententagen mit dem Münzwechsler vor dem Bauch im heute vollständig restaurierten Beiwagen der Linie Eins seinen Dienst versah. Fünf D-Mark hat er damals in der Stunde verdient. „Das war eine irrsinnige Summe“, sagt der pensionierte Jurist. Auf jedem Wagen fuhr ein Schaffner. Er öffnete die Türen, ließ die Fahrgäste ein- und aussteigen und verkaufte mit der „Stoss-Zange“, einer monströsen Mechanik, die Fahrscheine. Das war ein kompliziertes System, sagt er mit Blick auf die Fahrbahn am Dom, über die heute nur noch Busse fahren. Es kam nicht selten vor, dass ein altgedienter Schaffner den Fahrgast fragte: „Sie, bittschön, was ham S’ denn ´s letztmal zahlt?“

Die Zukunft gehöre dem Bus, hieß es. Inzwischen wissen es die Experten besser: Moderne Stadtbahnen sind pünktlicher, weil sie auf der eigenen Trasse unabhängig sind vom Individualverkehr. Sie verursachen weniger Lärm und verpesten nicht die Stadtluft. Sie haben deutlich mehr Kapazitäten als ein Bus.

Morgenluft wittern

Und auch Kempter und Friedrich wittern Morgenluft. Jahrelang haben sie mit gut zwei Dutzend Tram-Freunden in Regensburg das Andenken an die Bahn wach gehalten. In Büchern, Broschüren, Vorträgen und Spendenaktionen. Sogar ein eigenes modernes Tram-Verkehrskonzept haben sie entwickelt. Knapp 100 000 Euro hat der Verein „Interessengemeinschaft Historische Straßenbahn Regensburg“ in den Beiwagen mit der Nummer 79 investiert. Für den Triebwagen wäre noch mal die Hälfte mehr nötig.

Ganz unabhängig davon, ob die historische Tram wieder durch die Regensburger Altstadt rumpelt. Der Aufwand hat sich schon jetzt gelohnt. Das Projekt Regensburger Straßenbahn hat nach Jahren des politischen Hin und Her wieder Fahrt aufgenommen. Ende Mai hat die Regensburger Rathauskoalition aus SPD, Grünen, FDP und Freien Wählern die neue Stadtbahn mit nur einer Gegenstimme beschlossen. Im Bauausschuss, Wochen zuvor, fiel das Votum sogar einstimmig aus.

Die Stadtbahn ist kein Prestigeobjekt, sondern Notwendigkeit. „Das sehen jetzt viele ein“, sagt Jürgen Huber, grüner Umweltreferent und dDritter Bürgermeister in Regensburg. Den Spurbussen räumen auch Experten wenig Zukunft ein. Die Straßenbahn ist im Unterhalt günstiger als der Bus und pünktlicher. Sie verfügt über mehr Transportkapazität und verursacht deutlich weniger Lärm und Luftverschmutzung.

Ein 20-jähriger Kampf

Seit 20 Jahren kämpfen die Grünen im Stadtrat für eine Straßenbahn. Huber ist froh, dass die ideologischen Grabenkriege vorbei sind und die Tram endlich im ökologischen Bewusstsein der Bürger angekommen ist. 2006 war die Renaissance der Tram erst einmal vom Tisch. Zu teuer, nicht förderbar, hieß es damals aus dem Rathaus. Huber erklärt die damalige Entscheidung der Stadtregierung unter Ex-OB Hans Schaidinger (CSU) mit einem falschen Ansatz. Man ging von einer Straßenbahn aus, die das gesamte Stadtgebiet erfasst. „Das war natürlich nicht finanzierbar für eine Stadt wie Regensburg.“

Eine Utopie sei die Stadtbahn aber längst nicht mehr, so Huber. Der Grund sei die neue Trassenführung, die laut einem Gutachten „förderfähig im Sinne des Gemeindefinanzierungsgesetzes“ (GVFG) sei. Nach den heutigen Förderkriterien ist die Strecke dort förderfähig, wo sie auf einem eigenen Gleiskörper verläuft. 60 Prozent der förderfähigen Kosten könnte der Bund übernehmen, 30 Prozent der Freistaat.

Inzwischen ist nur noch von einer Nord-Süd-Trasse die Rede. Sie soll an die Grenze zum Landkreis führen und dort zu Bahnhöfen. Das käme auch vielen Pendlern aus der Region zugute. Von Wutzelhofen im Norden bis runter in den Süden zur Uniklinik und nach Burgweinting. Huber spricht von der „Dienstleistungsbanane“. Die Strecke verbindet das Einkaufszentrum mit dem Hauptbahnhof und führt auch über einen Bogen zur Altstadt. Große Teile des Busverkehrs könnten ersetzt werden. Was nicht nur den Verkehr in der zunehmend enger werdenden Stadt entzerren würde, sondern den ÖPNV auch umwelttechnisch aufwertet. Selbstverständlich soll am Ende alles mit Ökostrom betrieben werden.

Noch ist der Landkreis leider nicht mit dabei

Kritiker würden den Landkreis gerne von Beginn an mit verpflichten. „Das ist das einzige Problem, dass ich sehe“, sagt Kempter. „Damit das richtig Sinn macht, muss man umstiegsfrei in die Stadt und den Landkreis fahren können. Und vor allem gleich mitplanen.“

Bisher steht nur fest, dass es ein modernes, umweltfreundliches Verkehrssystem sein soll, mit einer eigenen Trasse. Huber spricht deshalb ungern von einer Renaissance der Tram, die zwischen 1903 und 1964 durch die Altstadt kurvte. Eine Straßenbahn würde per Definition auch auf der Straße fahren, an jeder Ampel halten und die gleichen Probleme verursachen wie ein Bus, erklärt er. Eine echte Verbesserung ist daher nur mit der eigenen Trasse möglich.

Das überaus ehrgeizige Projekt liegt dem Regensburger Umweltreferenten schon lange am Herzen. Schätzungen zufolge könnte es rund 450 Millionen Euro kosten. Huber rechnet mit rund 80 bis 90 Prozent Förderung durch den Bund und den Freistaat.

Erlangen ist Regensburg bereits ein paar Schritte voraus mit seiner Stadt-Umland-Bahn. Bereits Mitte der 2020er-Jahre rechnet der eigens dafür gegründete Zweckverband mit dem Baubeginn der Strecke zwischen Nürnberg-Erlangen und Herzogenaurach. Der Freistaat habe bereits eine Förderung zu 30 Prozent zugesagt, so der Geschäftsführer des Zweckverbands StUB, Daniel Grosse-Verspohl. Allerdings sollte man mit der Entscheidung nicht allzu lange warten, rät Grosse-Verspohl. „Die Fördervorgaben werden nicht einfacher“, sagt er.

In Ingolstadt gibt es Neider

In anderen Städten blickt man indes noch neidvoll nach Regensburg. „Oh ja, sagt Markus Stockmeier, „da bin ich schon ein wenig neidisch.“ Der Ingolstädter Arzt kämpft seit drei Jahren mit einem eigenen Tram-Konzept für eine Ingolstädter Straßenbahn.

Bedarf gebe es genug, sagt er. Auch Ingolstadt droht der Verkehrsinfarkt und längst haben sich auch dort Busse und Bussspuren überholt. Die Stadtbahn würde, so glaubt er, auch die Innenstadt wieder beleben. Inzwischen hat eine lokale Wählervereinigung einen Antrag für einen „intelligenteren ÖPNV“ im Stadtrat gestellt. Trotzdem sei Ingolstadt weit hinten dran, sagt Stockmeier. Weil es kein echtes Bündnis gibt für einen höherwertigen ÖPNV. „Da können wir uns von Regensburg einiges abgucken.“

In der Bevölkerung kommt die Straßenbahn grundsätzlich gut an. Und das europaweit. Allerdings rechnet Bürgermeister Huber in Regensburg auch mit Widerstand. „Wenn die erste Schraube für eine Oberleitung irgendwo in eine Häuserwand gedreht werden soll, werden sich die ersten melden“, sagt er. Bis dahin werden aber wohl noch einige Jahre ins Land gehen.

Ob der Beiwagen Nummer 79 auch wieder seine Runden dreht? „Wir wissen es nicht“, sagt Kempter. Und obwohl er zuversichtlich sei, wolle er doch noch eines loswerden: „Ich glaube das erst, wenn ich es sehe.“ Der skeptische Unterton ist kaum zu überhören. „Das gilt auch für die Stadtbahn“, sagt er. (Flora Jädicke)

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