Kommunales

Der Bund Naturschutz rechnete aus: Ohne den Einsatz von Schneekanonen ließen sich in Bayern jährlich 16 Millionen Kilowattstunden Strom und drei Millionen Liter Wasser pro Hektar Skipiste einsparen. (Foto: dpa/Angelika Warmuth)

13.01.2023

Kein Schnee? Ist uns wurscht!

Zweistellige Temperaturen und grüne Wiesen im Januar halten Staatsregierung und Wintersport-Industrie nicht vor umweltschädlichen Investitionen in die sterbende Branche ab

Regen, dazu milde Luft mit bis zu zweistelligen Temperaturen: Das ist der Januar des Jahres 2023 in Bayern. Ohne die energiefressende und unökologische künstliche Beschneiung konnte auch in den vergangen Jahren die Illusion eines Winters nicht mehr erzeugt werden. Aber heuer reichen selbst die Schneekanonen nicht mehr aus. Am Großen Arber im Bayerischen Wald musste der Saisonstart bereits ein weiteres Mal verschoben werden. Auf den Loipen geht praktisch nichts mehr. Und eine Sprecherin der oberbayerischen Alpen-Plus-Gebiete sagte, inwieweit ein Skibetrieb in diesem Winter stattfinden könne, sei nicht sicher.

Auch wenn es manchen schmerzen mag: Die Zeiten, wo Bayern als eine sichere Region für den Wintersport fungierte, sind vorbei. Es ist einfach viel zu warm geworden und der Klimawandel zeigt sein erbarmungsloses Gesicht. Winter, so wie sich Menschen über 30 Jahre noch an sie erinnern können – also mit Eis und Frost und zugeschneiten Landschaften – wird es in Zukunft nur noch in sehr seltenen Ausnahmefällen geben. Die kärglichen Reste der einst majestätischen Gletscher schmelzen unter der erbarmungslosen Sonne. In den vergangenen acht Jahren lagen die Durchschnittstemperaturen in Alpenregionen von 1500 bis 3000 Metern um rund acht Grad über dem langjährigen Mittelwert, so das Institut für Meteorologie und Klimatologie in Wien.

 

Bis zu acht Grad Celsius über langjährigem Mittelwert

 

Die bayerische Staatsregierung aber und konkret das Wirtschaftsministerium wollen von den wissenschaftlichen Fakten nichts wissen. Mehrere Millionen Euro an Steuergeldern werden weiter jedes Jahr in den Bau von Schneekanonen, Seilbahnen und Beschneiungsbecken gepumpt: ein Akt, so sinnvoll wie das Anmieten einer Kabine auf der Titanic – nach der Kollision mit dem Eisberg, wohlgemerkt. Es gelte, den Tourismus zu stärken, so das Ministerium. Im nahen Österreich tue man ja genau dasselbe – als würde der Unfug dadurch sinnvoller, dass man ihn nicht allein begeht.

Ja, das Ende des Winters mit Schnee wird in Österreich und in der Schweiz vermutlich etwas später erfolgen als in Bayern und für diese wenigen Jahre haben die Skiorte dort einen gewissen Wettbewerbsvorteil. Aber das Ende erfolgt genau so unausweichlich. Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos hat ausgerechnet, dass die Schneemenge in den Alpen bis zum Ende des Jahrhunderts um mehr als zwei Drittel zurückgehen wird. Bis dahin wird nun rangeklotzt. Nach Berechnungen des Bund Naturschutz ließen sich durch den Verzicht auf Schneekanonen 16 Millionen Kilowattstunden Strom einsparen, dazu rund drei Millionen Liter Wasser pro Hektar Piste.

 

Planierung des Bodens fördert die Gefahr von Erdrutschen


Und in einer Studie des bayerischen Umweltministeriums heißt es: „Bei der Verlegung von Wasser-, Druckluft- und Stromleitungen werden schwere Baumaschinen eingesetzt und gerade in höheren Lagen kann es viele Jahrzehnte dauern, bis sich Humusschicht, Bodenleben sowie Pflanzen- und Tierwelt von den Eingriffen erholen können.“ Bei „baulich veränderten“ Skipisten könnten zudem – auch wenn sie nicht künstlich beschneit werden – erhebliche Erosionsschäden festgestellt werden. Die Planierung des Bodens fördere die Gefahr von Erdrutschen.

Bereits vor zehn Jahren konstatierte der Deutsche Alpenverein, dass es spätestens bis zur Mitte des Jahrhunderts nur noch in drei bayerischen Skigebieten ausreichend Schnee für Wintersport geben werde. Doch der Chimäre des Wintersports wird wider besseren Wissens nachgejagt – zum Beispiel in der Gemeinde Philipsreut im Landkreis Freyung-Grafenau. 20 Millionen Euro, das beschloss der Kreistag, will man sich den Ausbau des Skigebiets Mitterdorf kosten lassen. Die neuen Lifte, mit denen mehr Wintersporttourist*innen in die Region gelockt werden sollen, bieten dann sogar Sitzheizungen. Heizungen! Ob dem Kreistag auffällt, dass manche Leute dieser Tage kurzärmlig unterwegs sind?! Und dass das bald die Regel statt die Ausnahme für die mitteleuropäischen Winter sein wird?!

Doch wer treibt da an? Die Kommunen sind es nicht in erster Linie. Hinter dem Wintersport-Wahnsinn steckt häufig eine einflussreiche Clique an Hotel- und Seilbahnbesitzer*innen, meist in Personalunion. Lifte und Seilbahnen, einmal hingestellt, sind wahre Gelddruckanlagen. An sanftem Tourismus mit Wandern und Naturbeobachtungen – womöglich noch wie früher in kleinen Pensionen nächtigend – haben ihre Besitzer*innen kein Interesse. Ihre protzigen Luxushotels sind wahre Ski-Paläste, die das gesamte Equipment für den Wintersport gleich mit offerieren. Womit man beim zweiten Akteur wäre, der Wintersportindustrie. Weniger Skifahren hieße ja, dass es für all die teure Kleidung und Technik – in der zu jeder Saison mehr oder weniger sinnvolle Neuerungen auf den Markt geworfen werden – keine Klientel mehr gäbe: ein Milliardenmarkt bräche da zusammen. (André Paul)

 

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