Kommunales

Trompeter Stefan Schalanda von der oberfränkischen Band "Kellerkommando". (Foto: dpa/David-Wolfgang Ebener)

10.09.2019

"Krachert" und wandelbar

Was genau macht eigentlich Volksmusik aus?

Dem Namen nach ist Volksmusik die Musik des Volkes. Doch kaum jemand würde die Charts als Volksmusik bezeichnen. Oder doch? Bei einer Tagung des Frankenbundes im baden-württembergischen Grünsfeld (Main-Tauber-Kreis) diskutieren am Wochenende Musiker und Forscher, was fränkische Volksmusik heute ausmacht. Geladen sind nicht nur traditionelle Chor- und Blasmusiker, sondern auch Vertreter von Popmusik und Flüchtlingshilfe.

"Volksmusik hat manchmal den Touch des Rückwärtsgewandten. Aber sie ist sehr vital und vielfältig", sagt Kilian Moritz, Organisator der Tagung sowie Journalistik-Professor und ehemaliger Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks. Moritz betont besonders, dass Volksmusik nichts mit Nationalismus zu tun habe und nicht rechts sei. Daher hat er zur Tagung auch den Würzburger Musiker Jonas Hermes geladen, der einen Verein namens "Willkommen mit Musik" gegründet hat. Der Verein will jungen Migranten helfen, sich in der Musik zu Hause zu fühlen.

Volksmusik ist in der Lage, Menschen schnell zu faszinieren, meint Hermes. "Sie überfordert nicht; sie schreckt nicht ab." Im Verein dominiere Volksmusik bei weitem nicht. Aber in der Arbeit mit Flüchtlingen habe er großartige Erfahrungen mit Kanons aus dem Alpenraum gemacht. "Die können schon Sprachanfänger singen." Volksmusik sei für ihn jedenfalls die Musik, die für alle da ist.

Ein wesentliches Kriterium ist der Dialekt


Ähnlich sieht Tagungsorganisator Moritz die Volksmusik: "Wenn viele Menschen es spielen, dann ist es für mich Volksmusik." Aber es brauche noch mehr Zutaten. Ein wesentliches Kriterium für ihn sei der Dialekt. Als Beispiele für aktuelle fränkische Volksmusik nennt er die unterfränkische Gruppe Häisd'n'däisd vomm Mee (hochdeutsch: hüben und drüben vom Main), Gankino Circus aus Mittelfranken sowie aus Oberfranken das Kellerkommando und die Veranstaltung Antistadl. Dessen Motto lautet "Volxmusik ist Rock'n'Roll".

Alleine über den Dialekt lässt sich Volksmusik aber nicht definieren. Zumindest bezeichnen sich längst nicht alle Mundartgruppen als Volksmusiker. Beispielsweise nicht die Frankorigines, die Lieder auf oberfränkisch covern, oder die Kultgruppe Waldschrat. Auch der Liedermacher Wolfgang Buck geht trotz tiefstem "Fränggisch" eher als Kabarettist und Singer-Songwriter durch denn als typischer Volksmusiker. Der Nordbayerische Musikbund veranstaltet sogar jedes Jahr in der Musikakademie Hammelburg einen Workshop mit dem unfränkischen Titel "Let's do Volksmusik".

Von Musik in anderen bayerischen Regionen unterscheidet sich die fränkische Variante laut Moritz auch durch Spielweise und Rhythmik. "Manche sagen, sie sei krachert, also rhythmisch im positiven Sinn." Zudem gebe es teilweise andere Instrumente. "Hackbrett und Zither wie in Südbayern sind hier selten." Auch werde nicht gejodelt.

Darf man das Blasinstrument durch einen Synthesizer ersetzen?


Volksmusik und speziell fränkische Volksmusik genau zu definieren, scheint aber schwierig. "Obwohl ich mich seit vielen Jahren damit beschäftige, kann ich keine klare Trennlinien nennen - und ich kenne auch keinen, der es kann", sagt Professor Kilian Moritz. Wenn man zum Beispiel in einem eindeutigen Volksmusik-Lied ein Blasinstrument durch einen Synthesizer ersetze - sei es dann noch Volksmusik?

Auch die Musikethnologin Lisa Herrmann-Fertig von der Uni Würzburg kann keine genaue Definition nennen. Speziell für fränkische Volksmusik sei vielleicht die Verbundenheit zur Kirche. "Volksmusik wird immer noch oft auf kirchlichen Festen wie Wallfahrten und Kirchweihfesten aufgeführt." Für die Ethnologin fußt Volksmusik in Traditionen, darf sich aber weiterentwickeln. Daher sei es auch wichtig, zu improvisieren statt stumpf nach Noten zu spielen.

Ein Streitpunkt scheint vor allem die Frage zu sein, wie professionell und kommerziell Volksmusik sein darf. Bands wie La Brass Banda vom Chiemsee beweisen, dass Blasmusik nicht nur etwas für verstaubte Wirtshäuser ist, sondern die Charts stürmen und auf großen Bühnen begeistern kann. Doch ist sie noch wirkliche Volksmusik?

"Volksmusik ist für mich, wenn alle mitsingen, also nicht konsumieren, sondern mitmachen", sagt Reinhard Hüßner, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Fränkische Volksmusik in Unterfranken. Für ihn steht im Mittelpunkt, dass die Menschen zusammenkommen und selbst aktiv werden. "Was draußen auf dem Dorf passiert, macht für mich Volksmusik und Volkstanz aus", meint Hüßner. Etwa die vielen Vereine, Chöre und Kapellen, die Maitänze und ähnliche Feiern gestalteten.

"Nur aus kommerziellen Gründen macht das keiner"


Für jene kleine Kapellen und Chöre gibt die Arbeitsgemeinschaft Notenmappen raus. Von einem Heft mit Wirtshaus-Liedern seien schon 50 000 verkauft worden - alle Gema-frei. Das sei besonders wichtig, da kleine Musikgruppen sich sonst durch die Gema-Abgaben keine Aufführungen leisten könnten, meint Hüßner.
Diese Logik versteht Tagungsorganisator Kilian Moritz nicht. Früher habe es sogar die Ansicht gegeben, Volksmusik dürfe keinen Urheber haben - sie sei Volksgut. "Aber Volksmusik wächst nicht romantisch auf dem feuchten Waldboden", sagt er. Es stecke Arbeit drin. "Wer nur Gema-freie Lieder spielen lässt, darf sich nicht wundern, wenn sich die Volksmusik nicht weiterentwickelt", meint Moritz. Professionelle Musiker und Komponisten müssten schließlich von etwas leben.

Für Musikethnologin Lisa Herrmann-Fertig ist zumindest nicht vorstellbar, dass jemand nur aus kommerzieller Absicht Volksmusik macht. "Ich glaube, dass man Volksmusik nicht losgelöst von eigenen Erfahrungen in der Gemeinschaft leben kann", so Hermann-Fertig.

Einigen können sich offenbar inzwischen alle darauf, dass Volksmusik vielfältig sein kann. "Daher sprechen wir inzwischen auch lieber von Volksmusik in Franken statt von Fränkischer Volksmusik", sagt Reinhard Hüßner von der Arbeitsgemeinschaft Fränkische Volksmusik. (Vanessa Köneke, dpa)

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