Kommunales

Im Zentrum Erdings wurde der Schrannenplatz links neben dem Rathaus (weißes Gebäude) neu gestaltet. Die gesamte Altstadt soll barrierefrei und klimagerecht werden. (Foto: rs)

15.08.2025

"Man vertraut den Kommunen nicht mehr"

Maximilian Gotz (CSU), Oberbürgermeister von Erding, über wachsende Verkehrsbelastung, mangelnde Finanzierung durch den Bund und fehlenden Zivilschutz

Erding liegt gleich neben dem Flughafen München. Doch die Verkehrsanbindung des zweitgrößten Airports Deutschlands ist seit seiner Eröffnung im Jahr 1992 nach wie vor mangelhaft. Viele Fluggäste quälen sich mit dem Auto durch Stadt und Landkreis Erding – vor allem aus südöstlicher Richtung.

BSZ: Herr Gotz, wo drückt in Erding der Schuh?
Maximilian Gotz: Bei all den Themen, die den Problembereich Bund und Freistaat betreffen. So engagiert sich der Bund bis heute ohne jegliches Engagement bei Planung und Mitfinanzierung des wichtigen Bahnprojekts Erdinger Ringschluss zum Münchner Flughafen. Obwohl er auch Gesellschafter in der FMG (Flughafen München GmbH) ist! Auch bei den Straßenprojekten Nordumfahrung Erding und B 388 geht nichts voran, obwohl die B 388 im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans verankert ist. Der Bund singt hier mit lauter Stimme im Nichtverantwortlichkeitskanon.

BSZ: Warum sind diese Maßnahmen so wichtig?
Gotz: Weil der Flughafen München immer weiter wächst und alle Menschen, die aus südöstlicher Richtung kommen, durch unsere Große Kreisstadt und den Landkreis zum Airport fahren. Darum brauchen wir die Nordumfahrung Erding, die direkt an die B 388 angeschlossen wird. Der Erdinger Ringschluss ist deshalb so wichtig, damit mehr S-Bahnen den Flughafen erreichen können und eine zweite Bahnstrecke dorthin zur Verfügung steht, falls es auf der bestehenden Strecke zu Problemen kommt. Die Maßnahme ist seit Jahren unstrittig und seit Flughafeneröffnung 1992 auf der Agenda.

"Der Bund singt mit lauter Stimme im Nichtverantwortlichkeitskanon"

BSZ: Und was ist mit dem Bahnprojekt Walpertskirchener Spange?
Gotz: Die wäre extrem wichtig für die Flughafenregion. Mit ihr kämen die Menschen aus dem Raum Mühldorf, Burghausen, dem Rottal bis hin in den Salzburger Raum leichter zum Flughafen. Die Realisierung würde zudem die Fern- beziehungsweise Regionalbahn an den Flughafen führen und unsere Region von schier unendlich wachsenden Verkehrsbelastungen erlösen. Der Bund hat dieses Projekt ABS 38 und Walpertskirchener Spange in seiner Bedeutung nicht erkannt, auch das bayerische Wirtschaftsministerium offensichtlich nicht! Das ist eine seltsame Form des Bemühens, Menschen zum Umstieg vom Auto in die Bahn zu bewegen. So lange die Walpertskirchener Spange nicht kommt, fahren die Menschen eben mit dem Auto zum Flughafen.

BSZ: Ist wenigstens die Finanzierung des Erdinger Ringschlusses gesichert?
Gotz: Durch den Freistaat ja, durch den Bund nein. Vor allem die letzte Bundesregierung, also die Ampel, hat uns abgeblockt. Wir haben keinen Gesprächstermin erhalten. Aber das ging anderen Kommunen genauso. Jetzt hoffen wir auf die neue Bundesregierung. Im Übrigen haben wir unseren kommunalen Anteil in Höhe von 35 Millionen Euro für den S-Bahn-Tunnel, der Erding unterqueren soll, bereits bezahlt.

BSZ: Und wie sieht es bei den Straßenprojekten aus?
Gotz: Da machen uns diverse Bürgerinitiativen das Leben schwer. Sie machen gegen die Projekte mobil und die schweigende Mehrheit sieht zu.

BSZ: Wie kann man die schweigende Mehrheit aktivieren?
Gotz: Die melden sich schon, aber eben nur an der Wahlurne.

"Das käme einer Bankrotterklärung gleich"

BSZ: Wäre da ein Ratsbegehren sinnvoll?
Gotz: Das käme ja einer Bankrotterklärung gleich. Wenn wir im Stadtrat etwas beschließen, müssen wir auch den Mumm haben, es umzusetzen. Aber es gibt da ein ganz anderes Problem, das mit hineinspielt.

BSZ: Welches?
Gotz: Die Nachbargemeinden weisen immer mehr Bauland für Wohnen und Gewerbe aus. Das verursacht mehr Individualverkehr. Aber Unterstützung für den nötigen Straßenbau erhalten wir leider nicht in wesentlichen Fällen.

BSZ: Wie sieht es mit der Unterstützung für die Integrationsarbeit aus, um einmal zu einem anderen Thema zu springen?
Gotz: Da gibt es lediglich eine Aufgabenübertragung des Bundes auf die Kommunen, aber keine auskömmliche, akzeptable Gegenfinanzierung. Wir haben in Erding unter anderem eine Pro-Kopf-Umlage von einem Euro eingeführt, um unsere kommunale Integrationsarbeit – vorrangig in Form von Sprachkursen – finanzieren zu können. Ich bin der Auffassung, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Also brauchen die Menschen, die zu uns kommen, ein Dach über dem Kopf, Kleidung und Essen. Das alles kostet Geld. Aber wie gesagt, die alte Bundesregierung hat ja das Gespräch mit uns Städten und Gemeinden verweigert. Wir haben hier in Erding gut 80 Unterkünfte und doppelt so viele Menschen aufgenommen als wir Einwohner haben. All das führt zu Verdruss und zu einer gefährlichen Entwicklung in der Kommunalpolitik.

"Es wird schwer werden, Kandidatinnen und Kandidaten zu finden"

BSZ: Was heißt das?
Gotz: Dass viele Bürgermeisterkolleginnen und -kollegen schon nach einer Amtszeit nicht mehr antreten wollen. Es wird schwer werden in Bayern, für die Kommunalwahl 2026 genügend Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Und das obwohl schon Theodor Heuss sagte, dass die Gemeinde wichtiger ist als der Staat. Aber das scheint man in Berlin vergessen zu haben. Auch der Freistaat hat zu wenig Vertrauen in die kommunale Ebene wie jüngst der Vorgang um die Modernisierungsgesetze zeigt. Die Erfahrungen vor Ort um die Auswirkungen von Gesetzen et cetera muss man zumindest mit den Bürgermeistern besprechen.

BSZ: Was meinen Sie damit?
Gotz: Man vertraut den Kommunen nicht mehr. Entweder werden sie in Entscheidungsprozesse nicht, oder nur mit extrem kurzer Reaktionszeit eingebunden. Und das alles begründet mit Entbürokratisierung und damit, dass im Onlinezeitalter die Menschen schnelle Entscheidungen erwarten.

BSZ: Wie sieht es denn mit den Finanzen in Erding aus?
Gotz: Wir haben einen sehr geordneten Haushalt, im Gegensatz zu manch einer Nachbargemeinde. Dort sieht es teils heftig aus. Aber wir können zum Glück investieren.

BSZ: In was?
Gotz: Gerade eben haben wir eine neue Dreifachsporthalle eröffnet. Die 34 Millionen Euro dafür konnten wir ohne Kredite finanzieren. Eine Mittelschulsanierung mit einem Volumen von 33 Millionen Euro wurde ebenfalls gerade beendet. Und wir bauen gerade zwei Kinderhäuser, eines für 5,5 Millionen Euro und eines für 16 Millionen Euro. Rund 2,5 Millionen Euro investieren wir in den Altstadtumbau. Dort soll es barrierefrei und klimagerecht werden. Wir pflanzen viele Bäume und errichten ein Wasserfeld. Aber wir machen nicht nur etwas im Ortszentrum. Wir haben auch in den Ortsteilen die zentralen Plätze erneuert, damit niemand sagen kann, wir würden nur die Altstadt im Fokus haben. Doch das ist nicht alles.

BSZ: Was haben Sie noch auf der Agenda?
Gotz: Wir brauchen zwei neue Feuerwehrhäuser, die mit 35 bis 70 Millionen Euro zu Buche schlagen werden. Feuerwehr ist eh so ein Thema.

"Niemand erstattet uns den Verschleiß"

BSZ: Warum?
Gotz: Weil wir hier Aufgaben für den Bund übernehmen, indem wir die Autobahnen A 92, A 94 und A 8, die rund um uns herum vorbeiführen, betreuen. Wenn es dort einen Unfall gibt, fahren unsere Freiwilligen Feuerwehren los und helfen – oftmals mit der Rettungsschere und vielem mehr. Gerade erst haben wir vier neue Fahrzeuge beschafft, darunter eine Drehleiter für 1,22 Millionen Euro. Obwohl diese Fahrzeuge oft 20 Jahre und mehr im Einsatz sind, erstattet uns niemand den Verschleiß. Und die Einsatzbereitschaft zu gewährleisten, wird auch immer schwieriger.

BSZ: Wieso?
Gotz: Weil unsere Leute zum Großteil in München arbeiten und tagsüber nicht verfügbar sind. Also rücken immer unsere sechs Gerätewarte, die vor Ort sein müssen, mit aus. Schutz ist sowieso so ein Thema.

BSZ: Inwiefern?
Gotz: Raketen fliegen sehr weit. Aber wir haben keine Schutzräume für die Menschen. Die Kommunen brauchen wieder Bunker. In dieser Angelegenheit müssen Gemeinde- und Städtetag in die Hufe kommen. So müsste jede neu zu bauende Tiefgarage entsprechend weit unten in der Erde sein und mit der nötigen Bevölkerungsschutzausrüstung ausgestattet werden. Der Schutz des Menschen muss wieder in den Mittelpunkt rücken: nicht nur die Bundeswehr, sondern auch der Zivilschutz!

"Durch Dokumentationspflichten ist der Mensch immer mehr ins Abseits gerückt"

BSZ: Ist das Ehrenamt tatsächlich ein schwieriges Thema?
Gotz: Nicht überall. Wenn ich mir die Klagen über den Mitgliederschwund in den Vereinen so anhöre, kann ich mich nur wundern. Wir haben in Erding über 400 Vereine und ich fördere diese aus tiefster Überzeugung! Denn sie sind der soziale Kitt in der Gesellschaft, der andernorts zusehends verloren geht. Auch den Sport fördern wir gezielt. Wir haben hier Leichtathletikeinrichtungen, die für Europameisterschaften geeignet sind. Spitzensportler vor Ort zu haben, animiert Heranwachsende, sich zu engagieren und auch so gut werden zu wollen. Aber man darf die Senioren nicht vergessen. Die vereinsamen immer mehr – auch bei uns. Darum muss man sie abholen und zu den Angeboten bringen, die wir bieten. Auch bei den überbordenden Dokumentationspflichten, die wir in Deutschland haben, ist der Mensch immer mehr ins Abseits gerückt.

BSZ: Wie meinen Sie das?
Gotz: Man muss sich nur einmal die Berufe in der Pflege ansehen. Was dort an Formularen ausgefüllt werden muss, ist unvorstellbar. Und der Mensch, dem sich die Krankenschwestern und Krankenpfleger zuwenden wollen, bleibt auf der Strecke. Dabei haben diese Personen extra diese Berufe gewählt, weil sie anderen helfen wollen. Und dann müssen sie den größten Teil ihrer Arbeitszeit mit dem Ausfüllen von Papierkram zubringen. Würde man die Dokumentationspflichten um die Hälfte reduzieren, hätte man in der Pflege auch weniger Personalprobleme. Aber es gibt noch mehr, worüber man nur den Kopf schütteln kann.

BSZ: Was denn?
Gotz: Die Schulsozialarbeit. Diese haben wir begonnen, ohne einen Cent Förderung zu erhalten. Das Ganze kostet uns 200.000 Euro im Jahr und ist gut angelegtes Geld. Inzwischen gibt es staatliche Förderung dafür. Aber um diese beantragen und erhalten zu können, müssten wir ein Jahr aussetzen, eine Idiotie.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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