Kommunales

Rund 1,5 Meter breit ist der Radweg an der Denninger Straße – von der Straße durch einen Grünstreifen und parkende Autos getrennt. Und selbst wenn keine Schneereste liegen, wird es für die Radler nie eng. Trotzdem soll hier für knapp drei Millionen Euro pro Kilometer ein Radschnellweg gebaut werden. (Foto: Arnowski)

19.03.2021

Mobilitätswende per Brechstange

Die grüne Verkehrspolitik in München stößt auf wachsenden Widerstand

Beim SPD-Fraktionsvorsitzenden im Münchner Stadtrat, Christian Müller, sitzt der Groll tief. Auch mehrere Tage nach dem Vorstoß des großen Koalitionspartners. Der Stadtverband der Grünen hatte ohne jede Absprache mit den Genossen vorgeschlagen, München solle Tempo-30-Modellstadt werden. Müller sprach bei Twitter daraufhin von „blindem Autohass“ bei den Grünen. Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) reagierte verärgert. Das Vorgehen sei „äußerst unprofessionell und nicht geeignet, nachhaltige Regierungsfähigkeit zu demonstrieren“. Die Münchner Grünen-Vorsitzende Ursula Harper schien das nicht sonderlich zu beeindrucken. Tempo 30 sei ein Grundpfeiler der Politik, mit der die Ökopartei die sogenannte Verkehrswende anstrebt. „Wir wollen mehr Radverkehr, mehr öffentlichen Personennahverkehr. Dazu muss man Tempo 30 unterstützen“, legte Harper selbstbewusst nach.

 Müller ist nicht zum ersten Mal über die seit der Kommunalwahl 2020 sehr selbstbewusst auftretende Ökopartei genervt. Er sei es leid, wenn die Grünen immer so täten, in Sachen Ökologie den „Alleinvertretungsanspruch zu haben“. Natürlich wolle auch seine Partei den Fahrradverkehr fördern. Bevor man aber Tempo 30 für die ganze Stadt fordere, müsse man die Konsequenzen bedenken. Auch die Attraktivität von Bussen und Trambahnen könnte abnehmen, wenn sie nur mehr Tempo 30 fahren dürften, ist der SPDler überzeugt.

Und dann fällt ein Satz, der wie eine Kriegserklärung an den Koalitionspartner klingt: „In Bayern hängt der Wohlstand vom Automobil ab, Punkt.“ Müller sagt das voller Trotz. „Wir müssen klar sagen, ganz, ganz viele Menschen in dieser Stadt, in dieser Region arbeiten in und für die Automobilindustrie. Ich kann mich nicht heute hinstellen und sagen, das Auto muss abgeschafft werden, dann schaffe ich nämlich auch ungezählte Arbeitsplätze ab. Das geht nicht,“ bekräftigt der SPD-Politiker.

Wieder zusammengerauft

Das war vor ein paar Wochen. Inzwischen hat sich die grün-rote Koalition im Münchner Rathaus bei einem virtuellen Krisentreffen wieder zusammengerauft. Die CSU als größte Oppositionspartei hat den Zwist genüsslich verfolgt. „Für die Grünen“, sagt Fraktionschef Manuel Pretzl, „gibt es nur das Fahrrad. Die meisten Menschen fahren aber immer noch mit dem ÖPNV oder dem Auto. Die grün-rote Verkehrspolitik ist einseitig ideologisch geprägt und spaltet unsere Stadtgesellschaft.“ Unterstützung bekommt Pretzl von seinem Parteifreund Michael Haberland, dem Präsidenten des Autofahrerclubs Mobil in Deutschland. Der Pkw sei „das Verkehrsmittel Nummer eins“. Rund 58 Prozent der zurückgelegten Personen-Kilometer in München würden mit dem Auto gefahren, nur 39 Prozent mit dem ÖPNV. Erst dann komme „ganz weit abgeschlagen das Fahrrad mit knapp drei Prozent.“

Für die Grünen sind solche Zahlen Folge einer aus ihrer Sicht jahrzehntelangen Bevorzugung des Autos, die sie mit der Verkehrswende korrigieren wollen. Tempo 30 soll künftig nicht nur in Wohngebieten gelten, sondern auf nahezu allen Straßen in der Landeshauptstadt – mit Ausnahme einiger weniger Hauptverkehrsstraßen. „Wenn Tempo 30 die Regel und Tempo 50 die Ausnahme ist, können wir den Schilderwald lichten“, sagt Parteichefin Harper. Außerdem würde die Gefahr tödlicher Verkehrsunfälle weiter zurückgehen und die Luft in der Stadt besser.

Neun Minuten schneller – für 26 Millionen Euro

In die gleiche Richtung zielt ein Vorhaben, bei dem Grüne und SPD am gleichen Strang ziehen. Insgesamt sechs Radschnellwege sollen künftig aus allen Himmelsrichtungen ins Zentrum der Landeshauptstadt führen. Die Stadt will dafür mindestens 150 Millionen Euro ausgeben, zusätzlich würden diese drei Meter breiten Trassen mehrere Tausend Parkplätze kosten. Und auf vielen Streckenabschnitten auch eine Fahrbahn für den Autoverkehr.

Die CSU kritisiert das als „Autoverdrängungspolitik ohne Rücksicht auf Verluste“ und zweifelt am Sinn solcher Vorhaben. Beispiel: der Radschnellweg Markt Schwaben – Marienplatz. Auf der Route im Münchner Osten würde die Fahrzeit lediglich um neun Minuten reduziert. Bei Investitionskosten von mehr als 26 Millionen Euro. 900 Pkw-Parkplätze fielen weg. Das würde, so warnt die CSU, nicht den Parksuchverkehr in den angrenzenden Wohnvierteln erhöhen, sondern es müssten auch 90 Bäume gefällt werden.

Wie autofeindlich die grün-rote Koalition sei, machen ihre Kritiker auch am geplanten Mobilitätskongress im September dieses Jahres fest. Der soll parallel zur erstmals in München stattfindenden, neu konzipierten Internationalen Automobil Ausstellung (IAA) laufen und vor allem Verkehrskonzepte für die Stadt ohne Auto in den Mittelpunkt rücken. So ist beispielsweise geplant, die verkehrsreiche Sonnenstraße im Zentrum der Stadt zur autofreien Zone zu machen. Immerhin 500 000 Euro Steuergeld hat der Stadtrat für diesen Kongress bewilligt.

Völlig überflüssig

In den Augen seiner Kritiker ist der völlig überflüssig. Denn das neue Konzept der IAA Mobility sehe ja vor, keine reine Automesse so wie bislang in Frankfurt zu veranstalten. Auf dem Marienplatz sollen beispielsweise auch andere Verkehrsangebote ihren Platz haben. Entsprechend scharf urteilt Michael Haberland. Der Mobilitätskongress sei „erneut ein grün-roter Angriff auf das Auto, ohne Rücksicht auf Menschen und Wirtschaft“.

Diesen Vorwurf weist Georg Dunkel zurück. Seit Januar ist er der Chef im neu geschaffenen Mobilitätsreferat der Landeshauptstadt. Seine Aufgabe beschreibt er so: „Das Mobilitätsreferat wird die Verkehrswende in München als wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz voranbringen.“ Auch er freue sich auf die IAA in München, versichert der aus Nordrhein-Westfalen stammende Verkehrspolitiker ohne Parteibuch, der Wunschkandidat der Grünen-Stadtratsfraktion war. „Die Zukunft im urbanen Raum wird mit weniger Autos sein“, auch die Autokonzerne seien ganz klar auf dieser Linie. „Wir müssen diese Lösungen zeigen, wir müssen sie diskutieren“, verteidigt Georg Dunkel die umstrittene Veranstaltung.
(Christoph Arnowski)

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