Kommunales

In seiner langen politischen Laufbahn war Hans-Jochen Vogel unter anderem auch Bundesjustizminister, Regierender Bürgermeister von Berlin und SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. (Foto: dpa)

01.02.2016

Münchens Alt-OB Hans-Jochen Vogel (SPD) wird 90

Der Politiker ist zwar an Parkinson erkrankt und braucht einen Stock - aber geistig hellwach. Die besten Zitate

Einer der letzten Texte von Helmut Schmidt, vielleicht sogar der letzte, galt ihm. "Unsere Freundschaft besteht bis heute", schrieb der Altkanzler kurz vor seinem Tod im vergangenen November über seinen langjährigen Weggefährten Hans-Jochen Vogel. Es war, es ist das Geleitwort zu Vogels neuem Buch Es gilt das gesprochene Wort: eine Sammlung wichtiger Reden Vogels aus den vergangenen Jahrzehnten, zusammengestellt anlässlich des 90. Geburtstags des SPD-Politikers. "Es berührt mich, dass der letzte Text, den er zur Verfügung gestellt hat, ausgerechnet für mein Buch war - und auch das, was er geschrieben hat", sagt Vogel dankbar. Am Mittwoch, 3. Februar, wird Hans-Jochen Vogel 90 Jahre alt. Doch auch wenn er vor einiger Zeit seine Parkinson-Erkrankung öffentlich gemacht hat, auch wenn er seit Jahren in einer Seniorenresidenz in München lebt, auch wenn er sich beim Gehen auf einen Stock stützt - wenn Vogel das Wort ergreift, sind ihm die 90 Jahre kaum anzumerken. Einige Tage vor seinem Geburtstag sitzt er in München auf der Bühne des Künstlerhauses am Lenbachplatz: Es geht um Vogels Buch, sein politisches Leben, es geht aber auch um hochaktuelle Fragen wie die Flüchtlingskrise oder die Gefahren, die von Pegida & Co. ausgehen. Und sofort wird deutlich: Vogel fühlt und leidet noch immer mit - mit der Politik, mit seiner Partei, auch mit seinen Nachfolgern. Das Ergebnis für Sigmar Gabriel auf dem letzten Parteitag habe er bis heute nicht verstanden. Ein schlechtes Ergebnis für den Parteichef, nur weil er zuvor die Juso-Vorsitzende abgekanzelt habe? "Ja, dann hätte ich noch nicht einmal 60 Prozent haben dürfen", sagt Vogel. Und dann ermahnt er seine Partei, angesichts der schwierigen Lage und schlechter Umfragewerte nicht den Kopf in den Sand zu stecken: "Eines muss ich meiner Partei zu bedenken geben: Sie muss auch nach außen gelegentlich von ihren Erfolgen reden", sagt Vogel noch in ruhigem Ton. Dann aber ruft er in den Saal: "Was die Sozialdemokratie für Freiheit und Demokratie und Gerechtigkeit in 150 Jahren geleistet hat! Wir sollten nie in Vergessenheit geraten lassen, dass die Sozialdemokraten 1933 die Ehre der Demokratie hochgehalten haben." Vogel mahnt seine SPD: "Wir sind nicht eine Tageserfindung, sondern wir sind ein gestaltendes Element der deutschen Geschichte."

Mit 34 Jahren jüngster Rathauschef einer deutschen Großstadt

Vogel selbst hat diese deutsche Geschichte ein Stück weit mitgestaltet: Mit 34 Jahren wurde der in Göttingen geborene Professoren-Sohn Oberbürgermeister in München - und damit jüngster OB einer deutschen Großstadt. Die weiteren Stationen einer Karriere mit vielen Glanzpunkten, aber auch mit Niederlagen: Bundesbau- und Bundesjustizminister, für knapp vier Monate Regierender Bürgermeister in Berlin, SPD-Partei- und Fraktionschef - und Kanzlerkandidat. Doch da unterlag er Helmut Kohl. "Kanzler wurde er nicht, aber dafür ist Hans-Jochen Vogel zu einem großen Vorbild nicht nur für sozialdemokratische Generationen geworden", schrieb Helmut Schmidt. Und: "Stets handelte er nach dem Motto: "Macht muss dienen"." Viele Klischees hafteten Vogel über die Jahre an: Muster-Sozialdemokrat, Parteisoldat, akkurater Einser-Jurist, akribischer Oberlehrer, Pedant mit der Klarsichthülle. Das Oberlehrerhafte habe er auch nie ganz abgelegt, sagt ein Münchner SPD-Mann schmunzelnd, der Vogel seit Jahren kennt. Ein Fortschritt sei ja wenigstens, dass Vogel inzwischen selbst damit kokettiere. Vor der härtesten Bewährungsprobe stand Vogel - gemeinsam mit Kanzler Schmidt und anderen - während der Zeit des RAF-Terrorismus. "Die schwierigste Entscheidung, an der ich beteiligt war, war die Entscheidung nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer und nach der Entführung der Landshut", sagt Vogel, der damals Justizminister war - es war die Entscheidung, der Forderung der RAF-Terroristen nicht nachzugeben. Schleyer starb. "Das ist etwas, was einen auch heute noch beschäftigt", sagt Vogel rückblickend. Dagegen sei er "dem Herrgott heute noch dankbar", dass bei der Erstürmung der entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" keine einzige Geisel gestorben sei. Diese Monate waren es, die Vogel und Schmidt zusammenschweißten. "Für mich war er eine große Stütze in den Jahren des RAF-Terrorismus", schrieb Schmidt. Aus Weggefährten wurden Freunde. Beim Hamburger Staatsakt nach dem Tod des Altkanzlers war Vogel trotz seines hohen Alters dabei.

Bei der Vorstellung von Vogels Buch vor wenigen Tagen in München wird auch aus seiner letzten Rede zitiert, die er am 30. Juni 1994 im Bundestag gehalten hat. Darin ruft Vogel eindrucksvoll zum Kampf gegen politischen Extremismus auf, egal ob von links oder von rechts. Und die Mahnungen wirken für viele Zuhörer erschreckend aktuell. Vogel klagte damals, rechtsextremistische Gewalttaten stellten "die Fundamente unseres friedlichen Zusammenlebens infrage". Der davon ausgehenden Gefahr müsse man "mit allem Nachdruck" widerstehen. An der Stelle notierten die Protokollanten im Bundestag: "Beifall im ganzen Hause". (Christoph Trost, dpa) Zitate von und über Hans-Jochen Vogel

"Ihr haltet heute Frieden in Europa für selbstverständlich. Für meine Generation galt das Gegenteil - Krieg war selbstverständlich. Diesen grundlegenden Wandel und seine Ursachen solltet Ihr Euch immer wieder vor Augen führen."
(Vogel 2009 bei einer Veranstaltung zu 60 Jahren SPD-Bundestagsfraktion)

"Parteitage waren früher ein sehr strenges Ereignis. Alle saßen brav in ihren Reihen. Das Fernsehen spielte keine Rolle und der Begriff Public Relations war unbekannt."
(Vogel im Jahr 2007 über SPD-Parteitage in den fünfziger Jahren)

"Es ist das dritte Programm, an dem ich im Laufe meines Lebens mitarbeiten konnte. (...) Und (es ist) aller Voraussicht nach das letzte Programm, an dem ich mitarbeiten kann. (Geraune im Saal). Na nun bitte. Werdet nicht kurzatmig mit den Abständen der Programme. Und glaubt nicht, dass ich das ewige Leben habe."
(Vogel 2007 auf dem Bundesparteitag der SPD über das neue Grundsatzprogramm der Partei)

"Leb' wohl Johannes. Du wirst mir stets gegenwärtig sein."
(Vogel 2006 beim Staatsakt für Altbundespräsident Johannes Rau)

"Krieg, Zerstörung und massenhafter Tod sind nicht die letzte Antwort der Geschichte. Der Wille zum Frieden und zur Versöhnung ist stärker."
(Vogel 2005 vor der Weihe der wiederaufgebauten Dresdner Frauenkirche)

"Dann bewegen mich noch zwei kurze Bitten, die ich bei dieser Gelegenheit an Sie richten will: Zum einen die Bitte, bei aller Notwendigkeit streitiger Auseinandersetzungen und zugespitzter Aussagen - daran habe ich es ja wahrlich bis zum heutigen Tage nicht fehlen lassen - den Grundkonsens zu bewahren und die Möglichkeit im Auge zu behalten, dass der jeweils andere, ja, sogar die jeweils andere Gruppe, recht haben und man selbst unrecht haben könnte."
(Vogel 1994 in seiner letzten Rede im Bundestag)

"Wenn Sie wollen, dass etwas ordentlich geheimbleibt, müssen Sie es nur im Bundestag sagen."
(Vogel 1991 zu der seiner Meinung nach mangelnden Berichterstattung über Bundestagssitzungen)

"Kanzler wurde er nicht, aber dafür ist Hans-Jochen Vogel zu einem großen Vorbild nicht nur für sozialdemokratische Generationen geworden."
(Altkanzler Helmut Schmidt im Geleitwort zu Vogels neuem Buch "Es gilt das gesprochene Wort")

"Wir gehören unterschiedlichen Parteien an, und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern."
(Der CDU-Politiker Bernhard Vogel 2009 über sich und seinen Bruder)

"Man spricht über Manches. Über Manches spricht man auch nicht, weil es Zeitverschwendung wäre."
(Hans-Jochen Vogel über politische Gespräche mit seinem Bruder)

"Lügen haben kurze Beine, kürzer sind dem Vogel seine."
(Heiner Geißler, CDU, 1989 über Vogel)

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