Kommunales

Nach den beiden vorderen Teilen – inklusive Glasbau – soll jetzt der hinterste und letzte Teil des Künstlerhauses für rund zehn Millionen Euro saniert werden. Viele Alteingesessene befürchten, dass damit die Subkultur endgültig aus der City verschwindet. An die erinnert nur noch der hintere Teil. (Fotos: Pelke)

05.04.2017

Nürnberg will jetzt richtig brav werden

Die Frankenmetropole war immer etwas weniger geschleckt als die Landeshauptstadt München, wilder und anarchischer – damit soll nun Schluss sein

Im „KOMM“ am Königstor im Herzen der Stadt hatte die Subkultur in Nürnberg bis zum Ende der 90er ihre Heimat. Danach rollten die Bagger an. Im Sommer 2018 sollen nun die Bauarbeiten zum letzten Bauabschnitt beginnen. Manche befürchten jetzt das Ende der Subkultur in der Metropole. Wo früher Punks mit bunten Haaren saßen, gehen heute meistens Touristen tagsüber ein und aus. Die Stadt Nürnberg hatte Ende der 1990er beschlossen, das Künstlerhaus am Königstor direkt gegenüber des Hauptbahnhofes in drei Bauabschnitten zu renovieren. Seitdem hat sich viel verändert. Nicht alle Bürger sagen, dass dies auch zum Guten geschah. Nun steht der dritte und letzte Bauabschnitt vor der Tür. Und manche haben das Gefühl, dass nach der Renovierung das bunte Großstadtleben aus der Stadt endgültig verschwinden wird.

Wild ist es zugegangen im Künstlerhaus, als die Halbruine unter dem Namen „Kommunikationszentrum“ firmierte und bundesweit unter der Abkürzung „KOMM“ für Schlagzeilen sorgte. Seit der Mitte der 1970er-Jahre durften sich die Künstler und Kreativen in dem vom Krieg halb zerstörten Gebäude unter eigener Regie austoben. Die Stadtverwaltung zog sich zurück.

Selbstverwaltung lautete das Zauberwort, dass in der „Massenverhaftung von Nürnberg“ im Jahr 1981 kulminierte. Nach einer Filmvorführung über Helden der Hausbesetzerszene zogen 150 Personen durch die Altstadt. Bei der halbstündigen „Demonstration“ wurden sechs Schaufenster eingeschlagen und mehrere Autos beschädigt. Es war die Zeit von Franz Josef Strauß. Aufmüpfige Franken, die das Häuserbesetzen in Bayern in Mode bringen wollten, wurden von der Polizei gestoppt. 141 meist junge „KOMM“-Besucher wurden festgenommen. Darunter die minderjährige Tochter eines SPD-Bundestagsabgeordneten.

Später, in den 1980er Jahren, trafen sich Atomkraft-Gegner in dem zwischen 1906 und 1910 mit Bürgerspenden errichteten Künstlerhaus, in dem ursprünglich die Künstler aus der Frankenmetropole ein schmuckes neues Heim am Eingangstor zur Altstadt mit Gesellschaftsräumen, Festsaal und einer verpachteten Gaststätte bekommen sollten.

Die beiden Weltkriege machten die hochtrabenden Pläne zunichte. Nach 1945 blieb eine Ruine übrig, in der sich die urbane Jugend ab 1974 ausbreitete und neben schlagzeilenträchtigen Demonstrationen vor allen Dingen große Feste veranstaltete. Zwischen den Butzenscheiben im Herzen der Altstadt schlug im „KOMM“ das wilde Herz der Metropole. Hier gab es Punks und keine Bratwürste.

Bis die Stadtverwaltung unter dem neuen Oberbürgermeister Ludwig Scholz (CSU) das Ende der Selbstverwaltung und die Renovierung des stattlichen Gebäudes in drei langen Bauphasen beschloss. Zunächst wurde der mittlere Teil für rund 15 Millionen Mark runderneuert. In diesen Teil des Hauses hatte der Krieg die meisten Wunden hinterlassen. Hier fehlte sogar die Hälfe des Daches. Mit dem Bau des vorgelagerten Glasbaus im zweiten Bauabschnitt zwischen 2002 und 2004 wurden die neuen Zeiten für alle deutlich sichtbar. In den Glasbau zog die Tourist-Information der Stadt ein. Die Punker verschwanden im Bahnhof.

Ziemlich trostlos nach Einbruch der Dämmerung

Seitdem wirkt das Tor zur Stadt mit dem Einbruch der Dämmerung erstaunlich trostlos, verschlafen und provinziell. Nur im hinteren Teil des Gebäudes geht seitdem noch die Post beziehungsweise der Punk ab. Gleich hinter der mit vielen Graffiti verzierten alten Seitentür veranstaltet der „Musikverein“ noch viele Feste und Konzerte.

Im Sommer 2018 ist damit Schluss – zumindest für zwei Jahre. Die Stadt will mithelfen, eine Ausweichstätte für den Verein zu suchen und verspricht grundsätzlich, dass durch die Renovierung „keine Champagner-Ästhetik“ entsteht. Alles soll so bleiben wie es ist. Nur besser soll es werden. Mit mehr Technik und mehr Komfort. Der „Musikverein“ soll für seine Veranstaltungen beispielsweise einen ganz neuen Raum unter dem alten, von der Stadtmauer umrandeten Innenhof mit dem Biergarten bekommen.

„Eigentlich eine gute Sache“, sagen sogar Vertreter des Musikvereins. Allerdings befürchtet der Verein, dass dem alten Künstlerhaus nach der Rosskur „jegliche Ecken und Kanten“ genommen werden und dass der in die Jahre gekommene Palast als Tempel der Popkultur für ein gutbetuchtes Publikum „glattgebügelt“ wird. Die Stadtverwaltung hält dagegen und verspricht stattdessen „ein Haus der Kontraste“.

Viele Alteingesessene bleiben trotzdem skeptisch. Der Musikverein fürchtet, dass die manchmal störende und häufig zu laute Jugend zukünftig an den Rand gedrängt werden soll und die Stadt mit dem Umbau den roten Teppich für das bürgerliche Publikum ausrollen will. Nicht wenige dürften diese skeptische Haltung gegenüber der Stadt teilen.

Dazu muss man wissen: Nürnberg ist für vieles bekannt – nur nicht dafür, dass die Verwaltung mehr Freiheit im Kultur- oder Nachtleben fördern würde. Die Subkultur werde durch den Umbau „aus dem öffentlich präsentem Herzen des Hauses“ vertrieben, bangt man beim Musikverein.

Vertreter der Kommune können dagegen „das Gerede von der Nostalgie nicht mehr hören“. Die Zeiten hätten sich eben geändert, sagt man im Rathaus mit Blick auf die verklärte „wilde Vergangenheit“ leicht genervt. Dem Künstlerhaus stünde durch die zweijährigen Umbauarbeiten im Rahmen des letzten Bauabschnitts eine goldene Zukunft bevor. Eine Zukunft, in der nichts schöner, aber alles besser werde.

Viele Nürnberger würden sich freuen, wenn es der Stadtverwaltung tatsächlich gelingen würde, aus dem Haus mehr als eine Kombination aus Volkshochschule und Jugendzentrum zu machen. Nürnberg, da sind sich alle einig, hätte es verdient. (Nikolas Pelke)

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