Eigentlich hieß das Thema „Digitalisierung im ländlichen Raum“. Dazu hatte der Bezirksvorsitzende des Wirtschaftsbeirats im Bezirk Passau, Rudi Fellner, kürzlich bewusst nach Freyung eingeladen. Eine überschaubare Runde von etwa 30 Unternehmern und Kommunalpolitikern, vor allem Bürgermeistern, war dem Ruf in das Digitale Gründerzentrum des Landkreises Freyung-Grafenau gefolgt, um zusammen mit dort ansässigen Jungunternehmern und Bayerns Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) das Thema zu diskutieren. Man traf sich schon eine Weile vor dem Referat des Ministers, sodass man sich untereinander über die eigentlichen Fragen des Themas besprechen konnte: Was muss man hier im ländlichen Raum im Dreiländereck bei der Digitalisierung und Entbürokratisierung anderes beachten als in Bayerns großen Städten?
Schlechte Verkehrsverbindungen
Generell erreichen nämlich am Land mehr Menschen ein höheres Alter als in der Stadt. Hier leben auch prozentual deutlich mehr ältere Menschen in dünn besiedelten Gebieten; darunter viele Menschen, die in ihrer Schulzeit noch kein Englisch gelernt und im Berufsleben weder Computer noch Handys zur Verfügung hatten. Wie viele von den Rentnern können sich alle paar Jahre ein neues iPhone oder gar einen Computer leisten und wie viele haben wohl jemanden zur Seite, der ihnen hilft, mit dem Online-Leben im Internet umzugehen? Im ländlichen Raum sind zudem die Verkehrsverbindungen deutlich schlechter, aber die Entfernungen größer – zu Arzt- oder Therapiepraxen und speziellen Krankenhäusern. Auch zur nächsten Kommunalverwaltung!
In Ostbayern kommt noch hinzu, dass beide Nachbarn, mit denen hier die grenzüberschreitende Zusammenarbeit konkret stattfindet, Österreich wie Tschechien, bei der Digitalisierung Deutschland weit voraus sind. Der Landrat von Freyung-Grafenau, Sebastian Gruber (CSU), hat schon bei der Begrüßung der Teilnehmer und des Ministers dazu gemahnt, bei der Digitalisierung der Verwaltung vom Bürger her zu denken und gerade in einem Dreiländereck auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Unternehmen und Kommunen im Auge zu behalten: „Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern soll das Zusammenleben vereinfachen und erleichtern.“ Eigentlich wohl auch im ländlichen Raum.
„Eigentlich“, sagte Rudi Fellner, „habe ich den Ärger mit den Funklöchern zwischen Passau und der tschechischen Grenze beim Minister ansprechen wollen. Dafür wäre aber eigentlich Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zuständig gewesen.“ So hat ihn Mehring aufgeklärt. Eigentlich hat es jedoch allein schon Seltenheitswert, wenn überhaupt ein Mitglied der Staatsregierung sich so tief in den ländlichen Raum an die Grenzen des Fortschrittsfreistaats bis nach Freyung verirrt. Da kann man vom Digitalminister nicht verlangen, dass er auch noch für regional anstehende Probleme zuständig ist und extra zum ländlichen Raum etwas Spezielles zu sagen hat.
Fabian Mehring ist von den Freien Wählern. Er war bereits bei der Ankunft genauso in Zeitnot, wie man es von CSU-Ministern gewohnt ist, wenn sie einmal bis „hinter in den Woid“ kommen. Darum hatte Mehring vor dem Impulsvortrag in Freyung unbedingt noch zwei „Leuchttürme“ der Digitalisierung in den von Bürgermeistern seiner Partei regierten Städten im Landkreis besichtigen müssen: in Grafenau den Technologie-Campus der Hochschule Deggendorf für anwenderbezogene Forschung und in Waldkirchen das weitum bekannte, mit kräftigen Investitionen modernisierte Modehaus Garhammer. Beides keine „Hinterwäldler“.
Minister Mehring konnte dann seine Standardrede über die Vorteile der Digitalisierung sogar flott auswendig aufsagen, aber nichts darüber hinaus, was den ländlichen Raum oder gar Ostbayern betroffen hätte. Er sprach zwar den großen Nachholbedarf Deutschlands bei der Digitalisierung im Vergleich mit den skandinavischen Staaten an, aber nicht die Koordinierung der Netze mit den vorauseilenden Nachbarn hier im Dreiländereck. Er hielt ein eindringliches allgemeines Plädoyer für die Digitalisierung der Welt in Unternehmen wie in Staats- und Kommunalverwaltungen; sie bringe für Stadt und Land Milliarden an Einsparungen von Haushaltsmitteln – und mehr Bürgernähe!
Erheblicher Widerstand gegen Mobilfunkmasten
Das würde allerdings voraussetzen, dass am Land alle Bürger den gleichen Netzanschluss haben. Vielerorts ist aber in Deutschland schon bei der Aufstellung von Funkmasten der Widerstand von Bürgern erheblich. Daher ist auch die Zögerlichkeit bei vielen Bürgermeistern in Sachen Digitalisierung verständlich. Minister Mehring hat die „Angst der Bürgermeister vor Bürgerinitiativen“ auch angesprochen. Abwehr und Widerstand kommen aber nicht nur von den üblichen Querulanten, sondern auch von der Angst vieler Bürger vorm Computer und der Unsicherheit mit Digitalisierung beim Herunterladen, Ausfüllen und Einscannen ihrer Anträge und Formulare in einem Online-Leben und im flotten Hightech-Englisch ihrer Enkel.
Mehrings Aufruf zum „Anpacken“ richtet sich an alle Bürger und Behörden überall gleich, denn darauf würden in Stadt und Land an jedem Standort Unternehmen warten: „Die von der Wirtschaft allseits geforderte Entbürokratisierung funktioniert nämlich nur mit vorheriger Digitalisierung!“ Bevor man die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Wirtschaft mit Nachbarländern verbessern könne, sagte er, müsse man nach der planlosen Ampel-Regierung allerdings noch viele Barrieren abbauen und erst die Verwaltung samt öffentlichen Dienstleistungen digitalisieren. Das betrifft zwar den ländlichen Raum ganz besonders, aber leider halt anders.
Fabian Mehring wäre kein Minister im Kabinett von Söder und Aiwanger, wenn er nicht als Erstes prahlen würde mit Bayerns Vorbild- und Vorreiterrolle – auch bei der Digitalisierung und deren Förderung: „Die 5,5 Milliarden des Freistaats für eine Hightech-Agenda sind sicher ein guter erster Schritt und auf jeden Fall mehr als anderswo.“ Von der jüngsten Ansiedlung einiger amerikanischer Hightech-Giganten erzählte Mehring den Bayerwäldlern so stolz, als seien diese wegen ihm gekommen: „Internationale Unternehmen investieren bereits Milliarden im Großraum München.“ Auch rund 2000 Funkmasten würden gerade neu gebaut. Mit seinen Programmen für Digitalisierung und Automatisierung sei Bayern bereits deutscher Meister, der die Trends setze.
Der Region Ostbayern zollte der Minister immerhin Respekt dafür, wie sie das Nebeneinander von analoger und digitaler Welt bisher bewältigt und das Beste daraus gemacht hat. Aber nach dem „Depressionsstrudel“ der zurückliegenden und noch anhaltenden Krisen forderte Mehring „eine neue Leitidee und Vision für Deutschland“. Das konkretisierte der Minister so: „Die digitale Transformation spielt für eine gemeinsame Zukunftstechnologie in Europa eine zentrale Rolle. Wir wollen Bayern zu einem Topstandort machen. Aber dafür müssen wir alle anpacken! Statt weiterer Abhängigkeit von China und den USA gilt es, die gesamte Power von gut 450 Millionen Europäern zu mobilisieren!“
Leidenschaftliche Impulse
Minister Mehring warb bei Kommunen und Unternehmen mit leidenschaftlichen Impulsen um breiten Optimismus für einen neuen Aufschwung: „Fast alle Bereiche sind digitalisiert, nur der Staat noch nicht genug! Das fördert die Geringschätzung des Staates bei den Bürgern. Daher brauchen wir in Deutschland jetzt einen Schub für moderne Digitalwirtschaft in Ministerien, Kommunen und Unternehmen! Wir müssen raus aus der Depression und dem Dornröschenschlaf! Wir haben doch tolle Voraussetzungen in unserem Land. Unsere Zukunft fällt aber nicht vom Himmel, sondern wir müssen sie machen und die Ärmel hochkrempeln! Statt ‚German Angst‘ brauchen wir jetzt bayerischen Mut!“
Die Staatsregierung wolle Bayerns Verwaltung modernisieren und sie auch auf den Verlust von viel Fachkompetenz vorbereiten, der mit dem Ruhestand der „Babyboomer“ bevorstehe. Von der neuen Bundesregierung erwarte Bayern, dass sie die Förderung des Breitbandausbaus am Land in Bayern fortführe. Die Länder-Digitalminister hätten auf ihrer letzten Konferenz dazu beim Bund beantragt, auch die Breitbandförderung als digitale Infrastruktur in die gesetzliche Grundausstattung aufzunehmen.
„Im Moment wird massiv nachgeschärft“
Der Bürgermeister von Grainet, Jürgen Schano (CSU), wollte dann in der kurzen Diskussion wissen, ob die 90-Prozent-Förderung des „bayerischen Gigabit-Ausbauprogramms bis zur Haustüre“ mit Glasfaser von der neuen Bundesregierung weiterfinanziert wird: „Der Antrag ist eingereicht.“ Der Minister gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Bund dann auch weiter fördern wird. Als Bürgermeister Leo Meier aus Röhrnbach nochmals wegen der von Rudi Fellner monierten 5G-Mobilfunklöcher nachhakte, konnte der Minister für Digitales mangels Zuständigkeit nur kurz berichten: „Eigentlich müssten die Aufgaben in diesem Bereich von den Mobilfunkanbietern längst erfüllt sein! Aber das wird im Moment massiv nachgeschärft.“
Dann musste Fabian Mehring eiligst weg. Da war alles wieder wie immer: Viel „eigentlich“ – und der Rest ist im Grenzland wieder nur das gute alte Prinzip Hoffnung: „Es werd scho irgendwann werdn!“ Weil man im Wirtschaftsbeirat aber modern und international aufgestellt ist für Digitalisierung, waren Unternehmer und Kommunalpolitiker zu einem „Get-together“ eingeladen, was auf Deutsch heißt: zu kühlem Bier und warmem Leberkas mit Kartoffelsalat – logisch nur analog und mit viel bayerischer Power.
(Hannes Burger)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!