Um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, muss massiv entbürokratisiert werden, findet Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper. Entbürokratisierung ist aus Sicht des SPD-Politikers ein lohnendes Konjunkturprogramm. Denn so könnten Unternehmer produktiver sein.
BSZ: Herr Dupper, wie geht es der Stadt Passau? Ich vermute mal klamme Kassen, wie bei den anderen bayerischen Kommunen, oder gibt’s noch Schlimmeres?
Dupper: Dieses Lied singe ich nicht. Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt. Und seit ich das Amt am 1. Mai 2008 übernommen habe, haben wir insgesamt 20 Millionen Euro Altschulden abgebaut, Investitionen getätigt und eine gute Rücklage angespart – wohlgemerkt alles ohne Neuverschuldung.
BSZ: Wie geht das?
Dupper: Das ist ganz einfach. Ein kommunaler Haushalt funktioniert im Prinzip wie der private Haushalt zu Hause. Man kann eben nur so viel ausgeben, wie man hat. Außerdem hat Passau nie auf großem Fuß gelebt.
BSZ: Was meinen Sie damit?
Dupper: Passau war im 20. Jahrhundert aufgrund seiner, wie man damals sagte, Zonenrandlage nicht präferiert. Aber es gab zwei Glücksumstände. Der eine war die Gründung der Universität in den 1970er-Jahren. Und der andere war die friedliche Revolution Ende der 1980er-Jahre. Damit rückte Passau wieder ins Zentrum der alten Handelsbeziehungen, die immer donau-abwärts geprägt waren. Wir sind also Richtung Österreich und Ungarn orientiert.
BSZ: Auch wirtschaftlich?
Dupper: Ja. Und das große Glück war, dass die Firmen in Passau geblieben und während der Zeit des Eisernen Vorhangs nicht abgewandert sind. Und nach dieser Zeit profitierten die Unternehmen von den Fachkräften aus der Tschechischen Republik und Ungarn. In der Folge erlebte Passau gute Jahre. Geholfen haben auch die Arbeitsmarktreformen unter der Regierung von Gerhard Schröder.
BSZ: Inwiefern?
Dupper: Die Wirtschaft brummte und Passau konnte Einwohner hinzugewinnen. Jetzt leben rund 53 000 Menschen in Passau und wir haben 42 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.
"Infrastruktur ist bei uns ein Dauerthema"
BSZ: Vor welchen aktuellen Herausforderungen stehen Sie mit der Stadt?
Dupper: Die Infrastruktur ist bei uns ein Dauerthema. Wir haben drei Flüsse, sechs Ufer und rund 80 Brücken, die reihum immer wieder saniert werden müssen.
BSZ: Die 80 Brücken sind in kommunaler Hand?
Dupper: Wir sind für 72 Brückenbauwerke zuständig.
BSZ: Und erhält die Stadt Passau angesichts dieser Sondersituation Extrazuwendungen?
Dupper: Leider nein. Das müssen wir selbst stemmen. Aber beim Hochwasserschutz unterstützt uns der Freistaat. Die entsprechenden Bauwerke sind jetzt an zwei Stellen fertig. Für einen dritten Bereich läuft das Verfahren. Aber das ist nicht alles.
"Eine Kommune muss Wohnung, Arbeit und Zukunft sichern"
BSZ: Was gibt es noch?
Dupper: Eine Kommune hat sich darum zu kümmern, dass die Menschen eine Wohnung, eine Arbeit und mit ihren Familien eine Zukunft haben. So haben wir in den letzten Jahren Tausende neuer Wohnungen genehmigt. Dank unserer städtischen Wohnbaugesellschaft konnten wir als Stadt auch neue Wohnungen bauen und waren nicht nur auf private Investoren angewiesen, ohne deren Engagement gering zu schätzen. Auf diese Weise haben wir in den letzten zehn bis 14 Jahren etwa 5000 neue Einwohner hinzugewonnen. Und eine weitere Herausforderung ist die Migration.
BSZ: Da war Passau ja in einer besonderen Rolle.
Dupper: Genau. Hunderttausende kamen 2015 über die sogenannte Balkanroute. Wir haben uns um sie als Erstanlaufstelle gekümmert. Und diejenigen, die bei uns geblieben sind, haben soziale Folgekosten ausgelöst.
BSZ: Das heißt?
Dupper: Wir mussten die Kapazitäten in Kindergärten und Schulen erweitern. Dazu haben wir ein Kindergartenprogramm und ein Schulhaussanierungsprogramm aufgelegt. Wir haben bewusst auf spektakuläre Schulneubauten verzichtet und lieber den Bestand saniert. Somit haben wir die Voraussetzungen für den sozialen Aufstieg von Menschen geschaffen. Ich zitiere an dieser Stelle gerne den großen Sozialdemokraten, den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky: „Leistung, Aufstieg, Sicherheit.“ Arbeit bestimmt die Identität und das Selbstwertgefühl des Menschen und sichert die soziale und wirtschaftliche Basis der Gesellschaft. Dazu gehört auch die medizinische Versorgung.
"Nach München fehlt eine leistungsfähige Bahnverbindung"
BSZ: Und die Defizite der Krankenhäuser?
Dupper: Die große Frage ist, wohin sich das Gesundheitssystem entwickelt. Da wir keine medizinische Fakultät an der Uni Passau haben, haben wir zusammen mit der Uni Regensburg, mit Straubing, Deggendorf und Landshut den Medizincampus Niederbayern gegründet, um die Versorgung zu sichern und medizinischen Nachwuchs ausbilden zu können. Das Konzept haben wir uns von den Franken abgeschaut. Da haben ja Erlangen und Bayreuth eine entsprechende Kooperation.
BSZ: Wie zufrieden sind Sie mit der Verkehrsinfrastruktur?
Dupper: Mit dem ICE-Halt sind wir sehr glücklich. Damit sind wir perfekt Richtung Regensburg und Nürnberg sowie nach Linz und Wien angebunden. Aber nach München fehlt eine leistungsfähige Bahnverbindung. Seit Jahrzehnten besteht die Forderung, diese Strecke zweigleisig auszubauen, um die Bahngedächtnisminuten in Dingolfing der Vergangenheit angehören zu lassen. Aber leider bewegt sich hier nichts.
"Tourismus ist wichtig – aber nicht der wichtigste Wirtschaftszweig"
BSZ: Wie wichtig ist der Tourismus für Passau?
Dupper: In Passau werden pro Jahr rund 350 000 Menschen ein- und ausgeschifft. Die Flusskreuzfahrtschiffe sind bei uns fester Bestandteil. Und der Schiffstourismus läuft inzwischen fast ganzjährig. Doch wir profitieren auch vom Städtetourismus – und vom Bäderdreieck. Letztes Jahr haben wir mit rund 570 000 Übernachtungen in Passau fast wieder das Vor-Corona-Niveau mit fast 600 000 Übernachtungen erreicht. Aber der Tourismus mit seinen etwa 2000 Arbeitsplätzen ist nicht der wichtigste Wirtschaftszweig.
BSZ: Welche Zweige sind stärker?
Dupper: Die Industrie, das produzierende Gewerbe, Handwerk und der Handel. Allein bei einem großen Autozulieferer sind 4000 Menschen beschäftigt.
„Entbürokratisierung wäre ein ganz billiges Konjunkturprogramm“
BSZ: Was wünschen Sie sich vom Freistaat?
Dupper: Eine nachhaltige Bildungspolitik in Gestalt einer fünfjährigen Reformpause. Da ist das Ganztagsangebot in Grundschulen und der Wechsel von G9 auf G8 und zurück zum G9 zu schultern. Und wir Kommunen müssen da mithalten. Das alles kostet Geld, viel Geld. Wenn man das, was man mit Schülerinnen und Schülern macht, mit Kaninchen machen würde, hätten wir schon längst sämtliche Ethikkommissionen des Landes am Hals.
BSZ: Noch ein Wunsch?
Dupper: Ja, Entbürokratisierung. Da liegt wirklich der Hase im Pfeffer. Entbürokratisierung wäre ein ganz billiges Konjunkturprogramm, weil man Unternehmen ihre Arbeit machen lassen würde, was Wertschöpfung schafft. Das Abarbeiten von Meldepflichten schafft keinen Wert.
BSZ: Und damit keine Einnahmen, von denen Steuern – auch an die Kommunen – gezahlt werden können.
Dupper: Richtig. Aber die Bürokratie treibt auch besondere Blüten. Ein Beispiel ist, dass unsere Stadtwerke Passau unter anderem seit 100 Jahren ein stehendes Flusskraftwerk betreiben. Vor 15 Jahren ist die Genehmigung dafür ausgelaufen. Und jetzt ist immer noch keine neue da, weil wir immer alles fünfmal abwägen müssen. Aber man muss den Freistaat auch loben. Denn ohne ihn hätten wir keine Universität und kein neues Dienstgebäude für die Polizei. Auch die neue Justizvollzugsanstalt, die 2027 fertig werden soll, hätten wir ohne den Freistaat nicht.
"Wir müssten den Schwerlastverkehr aus der Stadt aussperren dürfen"
BSZ: Was passiert mit der alten Justizvollzugsanstalt?
Dupper: An dem Gebäude haben wir als Stadt schon unser Interesse beim Freistaat bekundet. Schließlich befindet es sich im Stadtzentrum.
BSZ: Kommen wir noch mal zur Verkehrsinfrastruktur. Was passiert, wenn die A 94 von München bis Passau fertig ist?
Dupper: Die Verkehrsströme werden sich besser verteilen. Dann werden die A 92 von München nach Deggendorf und die A 3 von Deggendorf nach Passau entlastet. Zudem sind wir damit auch besser ans Chemiedreieck bei Burghausen und ans Bäderdreieck angebunden. Aber wir haben ein Problem mit dem grenzüberschreitenden Schwerlastverkehr von und nach Tschechien. Denn viele Lkw fahren durchs Stadtgebiet, um sich die Maut zu sparen.
BSZ: Können Sie das erläutern?
Dupper: Die Lastwagen sollten eigentlich auf der Autobahn bleiben und bis zur Anschlussstelle Aicha nördlich von Passau fahren. Von dort aus kommen sie direkt auf die Bundesstraße nach Philippsreuth und weiter nach Tschechien. Aber das sind ein paar Kilometer mehr, für die Lkw-Maut anfallen. Wir müssten eigentlich das Recht haben, wie im Inntal, den grenzüberschreitenden Schwerlastverkehr aus der Stadt auszusperren. Dafür müsste der Autobahnzubringer bei Aicha durchgängig dreispurig werden. Das Geld hierfür wäre vorhanden. (Interview: Ralph Schweinfurth)
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