Kommunales

„Wächst die Spaltung der Gesellschaft und ist der Staat handlungsunfähig?“ Darüber diskutierten (von links): Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (FW), Moderator Georg Große Verspohl vom Bayerischen Gemeindetag, Andreas Hollstein vom Verband kommunaler Unternehmen und Max Gotz (CSU), OB von Erding. (Foto: Paul)

14.10.2022

Pro und Contra „gespaltene Gesellschaft“

Die Jahreshauptversammlung des Bayerischen Gemeindetags stand ganz im Zeichen der sich verschärfenden Krise

Jede erfolgreiche Politik beginnt mit der schonungslosen Betrachtung der Wirklichkeit“, schrieb vor mehr als 100 Jahren der Soziologe Max Weber. Doch nicht alle in der Politik Tätigen wollen diese Wirklichkeit kennen lernen.

Insofern musste es auch Bayerns Gemeindetagspräsident Uwe Brandl (CSU) klar sein, dass er mit diesem Satz auf der Jahreshauptversammlung seines Verbands Widerspruch auslösen würde: „Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation - Ukrainekrieg, Energieknappheit, Abgleiten der Wirtschaft in Richtung Rezession, erneuter Massenzuzug von Einwanderern und galoppierender Inflation - habe ich größte Sorgen um den sozialen und demokratischen Zusammenhalt unserer Gesellschaft“, sagte Brandl bei der Tagung in Neunburg vorm Wald im Landkreis Schwandorf.

Political correctness statt Wahrheiten

Er nehme eben „kein Blatt vor den Mund“ und halte nichts davon, „political correctness statt Wahrheiten“ zu vermitteln, so der 63-Jährige, der im nächsten Jahr nach dann 30 Jahren als Bürgermeister und 20 Jahren als Gemeindetagspräsident seine kommunalpolitische Laufbahn beenden wird. Und er sei eben auch ein „worst-case-denker“. Und Brandl geißelte noch mal, dass im Freistaat angesichts von „Menschen in Ballungsräumen, die mit hoch subventionierten Tickets ihr Freizeitverhalten angenehm gestalten können, und Berufspendlern aus dem ländlichen Raum, die man mit 30 Cent Kilometergeld abspeist“, von den in der bayerischen Verfassung vorgeschriebenen gleichwertigen Lebensverhältnissen „keine Rede sein“ könne.

Eine, die es mit der gespaltenen Gesellschaft nicht so sehen will wie der Verbandschef ist Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Sie war von den Bürgermeistern als Gastrednerin zu ihrer Tagung geladen worden. Der Beitrag der Professorin lässt sich zusammen fassen wie folgt: Eine Spaltung der Gesellschaft gibt es nicht wirklich. Wer da derzeit auf die Straße geht und demonstriert - das sind für sie weitgehend AfD-Fans und Abgehängte, „verdrossene Populisten“, wie Ursula Münch sie tituliert. Die Professorin echauffierte sich auch noch darüber, dass es nun schon Demos für die Abschaffung der Corona-Maßnahmen „vor meiner Haustür in Schwabing“ gibt. Bisher blieb man im Münchner Nobelviertel vor derlei Unbill offenbar verschont.

Und ein „Staatsversagen“ gibt es aus Sicht von Ursula Münch natürlich auch nicht. Und wenn die Menschen vorm Rathaus stehen und schimpfen, dass das schnelle Internet noch immer nicht im Dorf verlegt ist? Und tagsüber noch weniger Busse in die Kreisstadt fahren? Und es bald keinen Hausarzt mehr im Ort gibt? Und dass das der Regierung alles Wurscht zu sein scheint, so wie sie auch aus „ideologischen Gründen ignoriert, dass 75 Prozent der Deutschen die AKW am Netz halten wollen“, wie Uwe Brandl schimpft?

Der berühmt-berüchtigte Stammtisch

„Wenn Sie am Stammtisch sagen, dass der Bürger nichts zu melden hat - dann finden Sie natürlich Zustimmung“, meint dazu die Professorin. Da war er wieder, der berühmt-berüchtigte Stammtisch: Wohl nichts symbolisiert die Distanz zwischen sozial besser Gestellten aus dem urbanen Umfeld und den Leuten im ländlichen Raum stärker als dieser negativ konnotierte Blick auf die uralte dörfliche Institution.

Anders als Minister oder Großstadt-OB’s kann sich der Rathauschef einer kleinen Kommune dann aber nicht so leicht abschotten vor dem Unmut im Volk - wie Andreas Hallstein berichtete, heute Manager beim Verband kommunaler Unternehmer, aber früher Bürgermeister der Stadt Altena mit knapp 20.000 Bewohnenden. Er erzählte - und seine Kollegen im Saal waren dabei mucksmäuschenstill - wie ihm einst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in einem Imbiss ein wütender Dachdecker mit dem Messer angriff und „nur um einen halben Zentimeter die Halsschlagader verfehlte“. Viele Rathauschefs erlebten derlei Gewaltattacken, so Hallstein, noch häufiger seien verbale Drohungen und Beleidigungen: „Vor meiner Frau hat man auf der Straße ausgespuckt!“ Aber nur selten gingen die Betroffenen damit an die Öffentlichkeit – „aus Angst, als weinerlich zu gelten“.

Nach zwei Tagen Intensivem Austausch und gegenseitigem Mut machen fuhren die Bürgermeister dann wieder heim in ihre Gemeinden. Dorthin, wo die Krise und der Zorn und die Angst der Menschen an der Basis stattfindet. Ob man sie in ihrer Not in Bund und Land gehört hat? Mal abwarten.
(André Paul)

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