In Hamburg und Berlin werden teure, aber leer stehende Wohnungen beschlagnahmt, um dort Flüchtlinge einzuquartieren. Und im nordrhein-westfälischen Nieheim wurde eine 51-jährige Mieterin aus ihrer kommunalen Wohnung geworfen. Für eine einzelne Person, so die Begründung der Stadt, sei die Immobilie viel zu groß. Künftig sollen dort mehrere junge männliche Asylbewerber untergebracht werden. Bayerische Politiker sehen diese Maßnahmen eher kritisch und warnen vor den Folgen.
Bettina Halbey wohnte fast 16 Jahre in ihrer der Stadt gehörenden Wohnung im rund 6200 Einwohner zählenden Ort Nieheim im nordrhein-westfälischen Landkreis Höxter. Die 51-Jährige arbeitet als Krankenschwester, bis vor Kurzem war sie alleinerziehende Mutter von zwei Buben, inzwischen sind die beiden Söhne erwachsen und ausgezogen. Bettina Halbey blieb trotzdem in ihrem vergleichsweise günstigen, rund 90 Quadratmeter großen Zuhause wohnen. Sie hat einen Hund und eine Katze, die Platz brauchen, außerdem kommen ihre Kinder häufiger zu Besuch, wie sie dem Westfalen-Blatt berichtete.
Nieheims parteifreier Bürgermeister Rainer Vidal Garcia findet trotzdem, dass Bettina Halbey dort nicht länger wohnen könne, 90 Quadratmeter zu diesem Preis für eine einzelne Person, das ginge nicht angesichts des Bedarfs mehrerer anderer Personen. Zum 31. Mai nächsten Jahres – die lange Kündigungsfrist ist unumgänglich – setzt der Bürgermeister die Frau auf die Straße. Schließlich kommen derzeit viele junge männliche Asylbewerber in die Stadt und wollen eine eigene Wohnung haben, in Bettina Halbeys Wohnung könnten bis zu sechs von ihnen als Wohngemeinschaft einziehen. Immerhin gibt der Bürgermeister in der Regionalzeitung zu, dass dies „eine unkonventionelle Maßnahme“ sei. Eine Ersatzwohnung hat Bettina Halbey noch nicht gefunden. Ihr Gehalt ist nicht üppig und durch die wachsende Zahl an Migranten ziehen die Mietpreise im Ort kräftig an.
Grundlage sind die Polizeigesetze der Länder
Während in der Provinz bisher noch Einzelfälle unter den Mietern Pech haben, organisieren die Stadtverwaltungen von Hamburg und Berlin im großen Stil den Zugriff aufs Privateigentum der Bürger – auch gegen den Willen der Eigentümer und ohne den bisher in solchen Fällen laut Polizeigesetz verbindlichen Zwang, eine so genannte Gefahrenlage abwehren zu müssen. Im Eilverfahren wird gerade in den Regionalparlamenten die Rechtslage geändert. „Wir werden das Gesetz bereits im Oktober verabschieden und zunächst bis Frühjahr 2017 befristen“, erklärt zufrieden Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne).
Seine Berliner Parteifreunde schaffen noch schneller Fakten, indem sie die Flüchtlinge gleich in mehrere leer stehende Wohnungen einquartieren. „Aber die Immobilien standen doch nur leer, weil ich vor der Vermietung noch einige Sanierungsarbeiten geplant habe“, beklagt sich der verzweifelte rechtmäßige Eigentümer in der Berliner Morgenpost. Vor allem viele ältere Häuser in Berlin verfügen nämlich trotz Mehrgeschossigkeit noch über keinen Fahrstuhl.
Doch das will die grün geführte Bezirksverwaltung von Kreuzberg-Friedrichshain als Argument nicht gelten lassen. Immerhin haben die Flüchtlinge jetzt dank ihnen wenigstens richtig schönen Wohnraum zur Verfügung: Die besagten Häuser im Gründerzeit-Stil gelten laut Morgenpost als eine der aktuell begehrtesten und luxuriösesten Wohnimmobilien in der Bundeshauptstadt.
Landkreistag: „Nicht im Sinne friedlichen Zusammenlebens“
In Bayern ist derlei noch nicht vorgekommen. Johann Keller, der Geschäftsführer des Bayerischen Landkreistags, weist aber vorsorglich schon mal darauf hin, dass nach Artikel 7 des bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetzes die grundsätzliche Möglichkeit der Beschlagnahme besteht. „Aber das ist nur gerechtfertigt, wenn ganz konkrete Gefahren für Leib und Leben von Menschen drohen.“ Man müsse „eine Kaskade verschiedener Stufen berücksichtigen“, so Keller. Zunächst müssten alle zur Verfügung stehenden öffentlichen Gebäude ausgeschöpft sein. Im Falle von München etwa hieße das, die Menschen zunächst in Messehallen, in der Olympiahalle, aber auch in Tiefgaragen unterzubringen. Dann bestünde auch noch die Möglichkeit für Traglufthallen und Häuser in Modulbauweise.
Und auch Wilfried Schober, der Sprecher des Bayerischen Gemeindetags, will die Option der Beschlagnahmung nur als „ultima ratio“ ins Auge fassen, „da muss schon wirklich jeder freie Schuppen belegt sein“. Denn sonst hätte der reguläre Besitzer gute Chancen, auf Rückgabe seines Eigentums zu klagen. Doch erkennen die Verbände die politische Sprengkraft dieser Entscheidungen. „Durch Maßnahmen wie in den genannten anderen Bundesländern werden die Menschen verunsichert“, warnt Keller. „Das ist nicht im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Einheimischen und Flüchtlingen.“
Mieterbund: "Das Eigentumsrecht muss zurückstehen"
Die grundsätzliche Möglichkeit eines solchen Schritts sieht man auch im bayerischen Innenministerium für gegeben – sofern eine Gefahr für die Gesundheit der Flüchtlinge besteht. „Es kommt dann aber darauf an, die Verhältnismäßigkeit zu prüfen“, so Ministeriumssprecher Michael Siefener, schließlich sei dies ein Eingriff ins Eigentumsrecht. Genau wie der Gemeinde- und der Landkreistag verweist auch das Haus von Ressortchef Joachim Herrmann (CSU) darauf hin, dass zunächst alle staatlichen beziehungsweise kommunalen Immobilien ausgeschöpft sein müssen.
Konkret mit der Umsetzung der Maßnahme befasst wäre im Fall des Falles nach Siefeners Angaben die jeweilige Sicherheitsbehörde – also die Bezirksregierung, das Landratsamt oder die Stadtverwaltung kreisfreier Städte. Für betroffene Immobilienbesitzer besteht laut Aussage des Innenministeriums zwar die Möglichkeit, gegen die Enteignung den Rechtsweg zu beschreiten – aber das habe keine aufschiebende Wirkung, nur im Nachgang könne also die Maßnahme aufgehoben werden. „Das ist wie bei einer Festnahme durch die Polizei“, erklärt Michael Siefener, „da können Sie auch nicht sagen: ,Ich will das nicht’ und einfach weggehen.“
Beatrix Zurek, die Landesvorsitzende des bayerischen Mieterbunds, hält das Vorgehen der Behörden in Nieheim für „rechtlich fragwürdig“. Eigenbedarf, so Zurek, könne nur von Personen geltend gemacht werden, nicht aber von einer Kommune. Besonders schlimm sei, dass man der betroffenen Frau nicht mal eine andere Wohnung zur Verfügung stelle, sondern ihr die Suche nach einer neuen Unterkunft selbst überlasse. Außerdem sei es „politisch nicht in Ordnung“, damit „spielt man verschiedene Teile der Bevölkerung gegeneinander aus“.
Verständnis hat die Mieterbundchefin dagegen für die Maßnahmen der Stadtverwaltungen in Hamburg und Berlin. Leerstand von Wohnungen bei gleichzeitig obdachlosen Menschen sei nicht akzeptabel. „Eine Wohnung ist keine Orangenplantage oder eine Schiffswerft, an der ich Anteile habe“, kritisiert Zurek, sondern bedeuteten gesellschaftliche Verantwortung. „Dahinter muss das Eigentumsrecht dann eben zurückstehen.“
Haus & Grund hofft auf gekaufte Belegungsrechte
Aus Sicht von Ulrike Kirchhoff, Vorstand von Haus & Grund Bayern, wäre „nur in einer entsprechenden Notsituation eine solche Maßnahme vorstellbar. Doch Zwangsmaßnahmen sind sicher nicht der richtige Weg, um das Problem einer angemessenen Unterbringung von Flüchtlingen zu lösen.“ Wünschen würde man sich beim Verband statt dessen, dass Kommunen mit Eigentümern leerstehender Privatwohnungen Mietverträge abschließen, um Flüchtlinge unterzubringen, so Ulrike Kirchhoff. Denkbar wäre aus ihrer Sicht auch der Ankauf von so genannten Belegungsrechten durch die Kommunalverwaltungen.
Empört reagiert Hubert Aiwanger, der Bundes-, Landes- und Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler. „Das fügt sich nahtlos ein in den Rechtsbruch, den Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsproblematik bereits begangen hat, indem sie eigenmächtig Rechtsvorschriften der Europäischen Union außer Kraft gesetzt und Zehntausende Menschen unter Missachtung der Asylvorschriften in die Bundesrepublik geholt hat. Der Fisch stinkt immer vom Kopf her und wenn sich die oberste Politikerin des Landes nicht an die Gesetze hält, dann braucht man sich bei einem Bürgermeister nicht wundern“, schimpft Aiwanger. „Auf diese Weise trägt man den Volkszorn in unsere Städte und Gemeinden und braucht sich über den Zulauf für Rechtsradikale nicht wundern.“
Jürgen Mistol, kommunalpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag, ist überrascht angesichts der Enteignungen in Berlin und Hamburg. Er habe zwar gewusst, dass es dahingehend Überlegungen gebe, aber nicht wirklich damit gerechnet, dass es auch tatsächlich passiert. „Es ist nämlich durchaus noch möglich, andere Unterkünfte zu finden“, hält Mistol dagegen. In seiner Heimatstadt Regensburg – „und die hat wirklich einen angespannten Wohnungsmarkt“ – seien andere Unterbringungen gefunden worden; umso mehr müsse das außerhalb von Bayern möglich sein. Generell ausschließen will Mistol für die Zukunft einen solchen Schritt aber auch in Bayern nicht. (André Paul)
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