Kommunales

Noch ist das neue Verhältnis zwischen Stadt (hier die Türme der Frauenkirche in München mit den Alpen im Hintergrund) und Land im Freistaat etwas diffus. (Foto: dpa)

09.11.2018

Viele gute Ziele, aber die Finanzierung fehlt

Der Bayerische Städtetag hat den Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern unter die Lupe genommen

Gleichwertige Lebensverhältnisse in Bayern zu erreichen, ist schon seit Jahren Ziel der bayerischen Staatsregierung. Jetzt will die neue Koalitionsregierung aus CSU und Freien Wählern das Verhältnis zwischen Stadt und Land neu gestalten. „Die Großstädte sollen entschleunigt werden. Wenn das zu einer Entlastung der Ballungsräume führt, ist das gut“, erklärt Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) vor der Presse. Gribl, der auch Vorsitzender des Bayerischen Städtetags ist, findet es richtig, Wohnraum vermehrt im ländlichen Raum zu schaffen. Das dürfe aber nicht zu sozialen Lasten für die Städte führen. „Wir wollen keine Konzentration von sozial schwachen Menschen in den Städten und eine Konzentration von sozial starken Menschen im ländlichen Raum“, so Gribl.

ÖPNV muss attraktiv sein

Außerdem müsse die Mobilität und damit der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) massiv gestärkt werden. „Die Attraktivität des ÖPNV ist entscheidend“, betont der Städtetagsvorsitzende. Sowohl der Preis als auch das Tarif- und Ticketsystem sowie die Takte seien ausschlaggebend, ob das ÖPNV-Angebot angenommen wird. Wenn Verbindungen zwischen Stadt und Land nur zu Tagesrandzeiten bestünden, sei keinerlei Entlastung für die Städte zu erwarten. Darum fordert der Bayerische Städtetag, die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur und des ÖPNV über das bisherige Maß hinaus fortzusetzen. Dazu gehörten die Zweckbindung der vom Bund bereitgestellten bisherigen Entflechtungsmittel und der Ausbau der Betriebskostenförderung durch ÖPNV-Zuweisungen. Eine verbesserte ÖPNV-Finanzierung sei auch ein wichtiger Bestandteil der Unterstützung der Kommunen zur Luftreinhaltung. „Die Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag sind gut. Allerdings ist etwa das Versprechen eines 365-Euro-Tickets für Großstädte bislang nicht finanziell hinterlegt. Die erwähnten Mittel zur ÖPNV-Förderung werden hierfür bei Weitem nicht genügen.“ Gribl verweist darauf, dass dieses Ticket allein für den Augsburger ÖPNV eine Finanzierungslücke von 25 Millionen Euro für den Zeitraum von zwei Jahren bedeuten würde.

Die Finanzierung der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Absichtserklärungen und Lösungsansätze sind laut Gribl noch nicht geklärt. Das könne man nach zwei Wochen Arbeit an dem Vertragswerk auch nicht erwarten. Deshalb müsse bald Klarheit geschaffen werden.

Dauerhafte und verlässliche Mittelbereitstellung ist nötig

Zur weiteren Förderung des sozialen Wohnungsbaus sei neben dem Einsatz der Bundesmittel eine dauerhafte und verlässliche Mittelbereitstellung nötig. Die bayerische Wohnungsbauförderung müsse praxisgerechter werden, etwa zur Stärkung gemeindlicher Belegungsrechte und zur Einbeziehung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften. Hierzu treffe der Koalitionsvertrag kaum Aussagen, moniert der Städtetagsvorsitzende. „Einen positiven Ansatz bietet das Versprechen, das Investitionsniveau zu verstetigen, denn die Wohnungswirtschaft benötigt Investitionssicherheit für mehrere Jahre. Für Mieter kann die im Koalitionsvertrag angekündigte Verlängerung der Bindungsfrist für Sozialwohnungen helfen“, so Gribl.

Um die Wohnungsnot in den Ballungsräumen zu lindern, fordert der Städtetag, dass der Freistaat Städten und Gemeinden mehr Spielräume zu einer strategischen Flächenbevorratung einräumen muss. Dazu sollten die Vorkaufsrechte der Gemeinden gestärkt und der Genehmigungsvorbehalt für gemeindliche Grundstücksgeschäfte nach dem Agrarstrukturgesetz abgeschafft werden. „Der Koalitionsvertrag bietet einen Ansatz zur Mobilisierung von landwirtschaftlichen Grundstücken, reicht aber nicht weit genug zur Flächenbevorratung“, betont Gribl.

Kritik üben Städte und Gemeinden am Ausbau der digitalen Klassenzimmer. Dieser komme nicht in Schwung, weil der Freistaat bei der Finanzierung der IT-Ausstattung an Schulen zögerlich bleibt. Der Koalitionsvertrag lasse hierzu viele Fragen offen. Es fehlt aus Sicht der Bürgermeister ein Konzept, welche Investitionen nötig sind. Und es fehlten Fördermittel für Investitionen, für den laufenden Betrieb und die Systembetreuung. „Es darf nicht dem Zufall überlassen sein, ob eine Schule digitalaffine Lehrkräfte hat oder nicht“, unterstreicht Gribl. Damit alle Kinder in allen Schulen Bayerns gleiche Chancen erhalten, brauche es einheitliche Standards für das digitale Klassenzimmer und ein pädagogisches Gesamtkonzept. Mit modernen Geräten alleine sei es nicht getan, denn diese seien bereits nach kurzer Zeit überholt. Technik hat laut Gribl eine dienende Funktion für Pädagogik. Laptops, Tablets und interaktive Whiteboards müssten im Unterricht sinnvoll zum Einsatz kommen.

Auch die Annäherung an eine beitragsfreie Kinderbetreuung im Koalitionsvertrag klinge für Eltern nach einer Verheißung, werfe aber für die Praxis noch viele Fragen auf. „Wenn die Beitragsfreiheit kommt, darf dies nicht zu Lasten der Städte und Gemeinden gehen“, unterstreicht der Städtetagsvorsitzende.
Ebenfalls ungeklärt sei die finanzielle Kompensation für die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. „Der Koalitionsvertrag stellt zwar Mittel in Höhe von 100 Millionen Euro im Jahr 2019 und 150 Millionen Euro im Jahr 2020 in Aussicht, allerdings werden die Mittel in der Praxis nicht genügen. Der Koalitionsvertrag lässt viele Fragen für die komplizierte Umsetzung offen“, kritisiert Gribl.
Auch die jährliche Förderung zur Sanierung von kommunalen Schwimmbädern mit 20 Millionen Euro sei angesichts des bayernweiten Bedarf von 1,2 Milliarden Euro bei Weitem nicht ausreichend.

Außerordentlich enttäuscht

Gribl moniert, dass im Koalitionsvertrag kein Wort zur Beteiligung des Freistaats an den auf kommunaler Ebene anfallenden Integrationskosten steht: „Es ist außerordentlich enttäuschend, dass versäumt wurde, hier wenigstens einen ersten Schritt zu verankern.“ Der Freistaat erhält vom Bund Integrationsmittel, die der Bund ausdrücklich auch den Kommunen widmet. Den Kommunen muss aufgabenbezogen ein wesentlicher Teil dieser Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Ein weiterer Aspekt, der auch nicht im Koalitionsvertrag steht, sei die Gewerbesteuerumlage. Städte und Gemeinden sollen ab 2020 bei der Gewerbesteuerumlage deutlich entlastet werden, weil die im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erhöhte Gewerbesteuerumlage ausläuft. In Bayern belief sich die Umlage 2017 auf rund 920 Millionen Euro. Der Bayerische Städtetag lehnt Initiativen einzelner Bundesländer für eine Fortführung der Solidarpaktumlage ab. „Die bayerische Staatsregierung muss sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass am Auslaufen der erhöhten Umlagen festgehalten wird“, fordert Gribl.
(Ralph Schweinfurth)

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