Kommunales

Auch der Tourismus spielt in der an der tschechischen Grenze gelegenen Region eine große Rolle. Foto BSZ

22.01.2010

Vom Armenhaus zum Wohlstandsparadies

Einst war der Landkreis Cham das Kellerkind der Republik, doch seit der Wiedervereinigung erlebte die Region einen Boom

Es gibt viele Wege, etwas aufzubauen. Einem drohenden Unglück vorzubeugen. Oder es wenigstens zu versuchen. Die Wallfahrt ist einer davon. Einmal im Jahr ziehen die Gläubigen des Weilers Harrling nach Maria Rosenöd. Man geht zu Fuß durch hügeliges Grün, vorbei an Wiesen und Äckern, an Wäldern und Dörfern, man läuft, macht Brotzeit, betet den Rosenkranz und bittet Gott, das Sterben junger Menschen auf den Straßen zu verhindern. „Und wir glauben“, sagt Pfarrer Johannes Nirappel, „dass unsere Gebete helfen“.
Nirappel, auch Pater John genannt, kommt aus Indien. Seit über neun Jahren lebt er in Harrling unweit von Cham. Er pflanzt indische Gurken im Hintergarten des Pfarrhauses an und trocknet Chilis auf der Fensterbank seiner Küche im Gemeindehaus. Nirappel ist Vinzentiner. Er wird von seinem Orden um die Welt geschickt, dahin, wo einheimische Seelsorger fehlen. Er fragt nicht. Er fügt sich. Das gehört zu den Regeln. So gelangte der Geistliche in den Bayerischen Wald und damit in eine Region, an der noch immer der schlechte Ruf klebt wie das Pech an der Marie im Märchen.
Das Armenhaus Deutschlands: So nannte man die Gegend an der Grenze zur Tschechei früher. Bewaldet, in schönen grünen Hügeln auf und ab geschwungen, in jedem Weiler ein katholisches Zwiebeltürmchen, ja. Aber noch in den 80er Jahren war im Winter fast jeder Zweite in der Region arbeitslos. Im Sommer rackerten sich die Arbeiter im Hoch- und Tiefbau in Nürnberg, München und Frankfurt ab, im Winter ging der Chamer stempeln.
Man lebte mit dem Rücken zur Grenze, weshalb massiv Fördergelder in die Region flossen. Investoren aus ganz Deutschland ließen sich locken – und verschwanden, sobald der finanzielle Vorteil ausblieb. Inzwischen ist die Grenze fast zwei Jahrzehnte offen, und der Schock, der dieser Öffnung folgte, längst verwunden.
Den Landkreis stabilisieren mehrere große, gewachsene Wirtschaftsunternehmen wie Zollner Elektronik in Zandt, ein so genannter Global Player der Elektronikbranche. Man setzt ganz zukunftsoffen auf Mechatronik und baut in der Kreisstadt Cham den entsprechenden Studiengang auf. Die Arbeitslosigkeit ist im Landkreis laut der örtlichen Arbeitsagentur mit derzeit 4,1 Prozent deutlich niedriger als im bayerischen Landesdurchschnitt. Der nötige Strukturwandel ist größtenteils vollzogen, der Optimismus mit Händen zu greifen.
Vor dem Hintergrund der Armut, die einmal herrschte, fürchtet man im Landkreis die Wirtschaftskrise wenig, vielleicht sogar weniger als anderswo. Breit genug, findet Landrat Theo Zellner (CSU), sei man heute aufgestellt. Zellner führt die Geschicke des Landkreises seit 1996. Der seither anhaltende Aufschwung trägt zu einem großen Teil seine Handschrift.
Zellner sei ein „sehr geschickter Netzwerker und Vermittler“. Er gehe unermüdlich auf die Leute zu, gleich ob sie hohe Manager sind oder Arbeiter in einem Bauhof. Sorgsam pflege er jeden Kontakt. So charakterisiert die Süddeutsche Zeitung den Mann, der seit 2000 Präsident des Bayerischen Landkreistags ist, und auch als Vizepräsident des Deutschen Landkreistags für die Belange der kommunalen Ebene kämpft.
Als der ehemalige Hauptschullehrer vor mehr als drei Jahrzehnten in den Stadtrat von Bad Kötzting gewählt wurde, steckte die Region in einer Krise. Noch vor 20 Jahren herrschte im Winter im Ort eine Arbeitslosenquote von 48 Prozent. Doch die Zeiten gehören längst der Vergangenheit an. „Wir können den Tälern begegnen, wir sind robust“, sagt Zellner, der bekanntermaßen gerne Chef des Bayerischen Sparkassenverbands werden würde.
Die demografische Entwicklung macht ihm dagegen Sorgen. Der fehlende akademische Mittelbau im Landkreis. Und die Klischees missfallen ihm, die über den Landkreis kursieren. Hamburg, Dortmund, Berlin – nirgendwo, meint Zellner missmutig, halte man den Bayerischen Wald für so rückständig wie in Bayern selbst. Man könnte argumentieren, dass der Bayer seine Heimat kennt und also eine genauere Vorstellung davon hat, wie es um die Geschichte eines Landstrichs bestellt ist. Man könnte erwähnen, dass es zu guter Nachbarschaft gehört, sich ordentlich voneinander abzugrenzen. Aber es hilft ja nichts. Eine Region braucht ein gutes Image, sonst ist sie verloren. Oberbayern: Das klingt nach Seen, wie Perlen an der Schnur aufgereiht. Nach stolzen Bergen, satten Farben, gedeckten Tischen. (Monika Goetsch)

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