Kommunales

In Bayern werden immer mehr Kinder geboren (oben), und man sollte denken, dass die wachsende Auslastung die Entbindungsstationen rentabler macht. Doch häufig ist das Gegenteil der Fall. Schuld ist eine falsche Zuschusspraxis und immer mehr Vorschriften. (Foto: dpa)

31.08.2018

Wenn Geburten zur Kostenfalle werden

Entbindungsstationen belasten die kommunalen Kliniken immer stärker

Im ländlichen Raum schreiben Geburtshilfestationen oft rote Zahlen. Diesen Einrichtungen will der Freistaat helfen. Dazu hat er das „Zukunftsprogramm Geburtshilfe“ aufgelegt: 40 Euro pro Baby zusätzlich. Den Zuschuss erhalten Kliniken, wenn sie eine definierte Geburtenquote erfüllen: Mindestens die Hälfte aller Mütter, die in einer Kommune entbinden, müssen ihr Kind in dieser Klinik zur Welt bringen. Völlig unrealistisch, schimpfen Praktiker.

„Auch für uns wird es jedes Jahr eine Herausforderung sein, die Quote zu erfüllen“, sagt Stephan Kolck, Vorstandsvorsitzender des Kommunalunternehmens Haßberg-Kliniken in Unterfranken. Im vergangenen Jahr sei die geforderte Geburtenquote zwar erreicht worden. Das Jahr 2018 allerdings begann weniger erfreulich. Mit 22 Geburten im Januar und 27 Geburten im Februar hatten sich nicht einmal 40 Prozent der werdenden Mütter im Landkreis für die Geburtshilfestation des Kommunalunternehmens Haßberg-Kliniken entschieden.

Wie aber kommt es überhaupt dazu, dass Geburtshilfestationen kaum wirtschaftlich zu führen sind? „Das liegt an den hohen Vorhaltekosten für die Dienstbereitschaft über 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr“, erklärt Kolck. Diese Kosten ließen sich nur dann refinanzieren, wenn mehr als 600 Frauen entbinden: „Grund ist, dass die Fallpauschalen auf der Basis von hohen Fallzahlen kalkuliert sind.“

"Wir bauen auf persönliche Kontakte"

Um also mehr Frauen dazu zu bringen, sich für eine Geburt in den Haßberg-Kliniken zu entscheiden, tut das Krankenhaus eine Menge. „Wir bauen vor allem auf persönliche Kontakte“, sagt Kolck. Darum werden Vorträge, Führungen durch den Kreißsaal, Gesundheitstage und Tage der offenen Tür organisiert. Über die Städte und Gemeinden gelangen Image-Broschüren an die Bürger im Kreis: „Wir vertreten außerdem eine behutsame, familienfreundliche Geburtshilfe.“ Das werde immer mehr geschätzt, weshalb Frauen zunehmend in Geburtshäuser gehen, wo die Sicherheitsaspekte rund um die Geburt nicht derart verschärft wurden, wie das in Kliniken der Fall war.

In der Kreisklinik St. Elisabeth im schwäbischen Dillingen an der Donau kamen im vergangenen Jahr 506 Babys zur Welt. Nur wenige Mütter aus dem Landkreis entschieden sich für einen anderen Geburtsort. Trotz der hohen Nachfrage musste die Klinik vom 23. März bis 30. Juni schließen. Anhaltender Personalmangel war daran schuld. Seit 1. Juli ist die Abteilung „Gynäkologie & Geburtshilfe“ wieder geöffnet. Die Personalprobleme sind zumindest vorerst behoben. Die finanziellen Probleme nicht.

„Eine Geburtshilfestation in unserer Größe ist generell unterfinanziert“, sagt Betriebsdirektorin Sonja Greschner. So, wie Klinken derzeit finanziert würden, könne erst ab einer Zahl von mindestens 800 Geburten kostendeckend gearbeitet werden. Greschner sieht die derzeitige Finanzierungspraxis als äußerst kritisch an. Eine Geburt, sagt sie, sei ein besonderer und wichtiger Moment für eine Frau und für die ganze Familie. Es müsse deshalb gewährleistet sein, dass „dieser Moment nicht allein nach wirtschaftlichen und rentablen Kriterien bemessen wird: „Sondern dass man eine Wahl hat, wo man entbinden kann.“ Dazu bedürfe es einer wohnortnahen, schnellen und qualifizierten Versorgung.

In Geburtshäusern sind die Vorschriften laxer

Das „Zukunftsprogramm Geburtshilfe“, das die Dillinger Kreisklinik in Anspruch nehmen kann, weil sie alle Fördervoraussetzungen erfüllt, sei wichtig, löst laut Greschner jedoch nicht die Finanzierungsprobleme. Die Direktorin fordert einen Sicherstellungszuschlag für Geburtskliniken in ländlichen Regionen und prinzipiell bessere Perspektiven für Krankenhäuser. Wirtschaftliche Faktoren dürften nicht langer „der Menschlichkeit im Weg stehen“.

Finanzprobleme hat auch die RoMed Klinik in Wasserburg am Inn (Kreis Rosenheim). Jährlich entsteht ein Defizit von einer Million Euro. Bis zu 700 Babys kommen hier jedes Jahr zur Welt. 1100 müssten es den Förderkriterien des „Zukunftsprogramms“ zufolge sein. Damit ist die Klinik kein Förderfall. Wobei Peter Lenz, der Geschäftsführer der RoMed Kliniken in Rosenheim, die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat.

Noch stünden die Ausführungsbestimmungen zum Programm aus. Diese seien nötig, um die genauen Förderungsvoraussetzungen zu kennen. Daher könne er noch nicht einschätzen, ob es für die Geburtshilfeeinrichtung am Standort Wasserburg Zuschüsse geben wird. „Wir gehen jedoch davon aus, dass die Klinik von der Zielsetzung des Programms ins Konzept passt und erwarten, dass unsere bayerische Gesundheitspolitik vernünftige Lösungen findet“, so Lenz.

Landkreistag kristisiert Förderbedingungen des Freistaats

Weniger vorsichtig kritisiert Klaus Schulenburg vom Bayerischen Landkreistag die Förderbedingungen, die dem „Zukunftsprogramm Geburtshilfe“ zugrunde liegen. „Für uns ist nicht nachvollziehbar, warum die Staatsregierung diese Förderung von der Anzahl der Geburten im Krankenhaus abhängig machen möchte“, so der Experte für soziale Fragen beim kommunalen Spitzenverband. Ursprünglich sei geplant gewesen, die Zahl der Neugeborenen im Landkreis zugrunde zu legen. Überhaupt müsse man in der Praxis sehen, ob die Kliniken in der Lage sein werden, die örtliche Geburtshilfe mit 40 Euro pro Neugeborenem zu verbessern. Viele Klinken haben auch nach Schulenburgs Einschätzung Schwierigkeiten, die 50-Prozent-Voraussetzung zu erfüllen.

„Dieses Kriterium stellt für die Flächenlandkreise eine viel größere Herausforderung dar als für kreisfreie Städte“, sagt er. Der Landkreistag betreibe im Moment Überzeugungsarbeit gegenüber der Staatsregierung, damit das Kriterium geändert wird. Insgesamt sei die Situation dramatisch: „Wir haben sowohl bei den geburtshilflich tätigen Hebammen als auch in der stationären Geburtshilfe an den Krankenhäusern sehr schlechte Rahmenbedingungen im ländlichen Raum.“ (Pat Christ)

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