Kommunales

Bücher, Hefte, Schreibblöcke, Stifte, Lineal, Federmäppchen, Zirkel: Einen Grundschüler auszustatten kostet ein kleines Vermögen. Manche Eltern, gerade Alleinerziehende, können sich das nicht leisten. (Foto: dpa/Holger Hollemann)

01.10.2021

Wenn Schule unerschwinglich wird

Hartz IV steuert für die Bildungsmaterialien von Schulkindern 79 Cent bei – pro Monat

Der erste Schultag ist ein freudiges Ereignis, dem die meisten Kinder mit Begeisterung entgegensehen. Doch kaum ist die Schule gestartet, kommt auch schon ein ellenlanger Zettel von der Schule mit Dingen, die das Schulkind für den Unterricht benötigt. Hefte und Blöcke, Stifte und Klebstoff, Turnsachen und Spitzer, Malkasten und Hausschuhe – gebraucht wird viel, und das geht ins Geld. Auch gute Schultaschen sind teuer. Gerade für Eltern, die finanziell nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, ist der Schulanfang ein großer Grund zur Sorge – nicht nur bei Erstklässler*innen. Zwar gibt es Geld vom Staat für finanziell schlechter gestellte Erziehungsberechtigte. Doch wie die Praxis zeigt, reicht der Zuschuss oft hinten und vorne nicht. Deshalb gibt es immer mehr private Initiativen, die helfen. Und auch die Städte und Gemeinden sind gefragt.

Sabine Wimmer (Name geändert) kennt diese Sorgen. Sie hat zwei schulpflichtige Kinder und ist alleinerziehend. Ihr Gehalt von 1500 Euro netto, das sie als Erzieherin nach Hause bringt, hört sich erst einmal gar nicht so schlecht an. Sie lebt nicht unter der Armutsgrenze. Doch vier Personen sind damit zu versorgen. Ein großer Batzen geht für die Miete weg. Ab und an geht etwas kaputt. Lebensmittel müssen gekauft werden und Kleidung, und das Auto braucht Benzin. Da bleibt wenig für die vier Personen über, zu denen auch die Großmutter gehört. Diese muss mit über 70 Jahren noch jobben, damit die Familie über die Runden kommt.

Bis zu 40 Euro für jedes schulpflichtige Kind

Für die alleinerziehende Mama, die trotz festen Jobs um die Existenz der Familie kämpft, ist am Schulanfang die Initiative des Bündnisses für Familie in Straubing ein Segen. Der 2007 gegründete Verein verteilt an bedürftige Familien Gutscheine für Schulsachen. Bis zu 40 Euro pro Kind können gegeben werden, ohne großen bürokratischen Aufwand. An zwei Tagen vor Schulstart dürfen diejenigen, die so einen Gutschein brauchen, ins Familienbüro in der Innenstadt kommen.

„Die Schlange beim ersten Termin war ellenlang, und wir mussten noch einen zweiten Tag unser Angebot offerieren. Die 1000 Euro, die wir veranschlagt hatten für diese Aktion, reichten hinten und vorne nicht“, berichtet Hannelore Christ (CSU), Stadträtin und Vorsitzende des Bündnisses für Familie in Straubing.

Oma Wimmer steht jedes Jahr in der langen Schlange, um Gutscheine für ihre Enkel abzuholen. Eigentlich sollte dies Mama Sabine übernehmen. Sie kann aber nicht. Sie muss arbeiten. Nachdem die Daten der bedürftigen Familien erfasst sind und nach einem kurzen Gespräch, warum derjenige, der kommt, den Zuschuss nötig hat, wird der Bon ausgehändigt.

"Es hat sich nichts geändert"

Auch mit Großmutter Wimmer findet jedes Jahr ein Gespräch statt. Man kennt die ältere Dame schon gut. Und sie wird stets gefragt, wie es der Familie inzwischen geht. „Es hat sich nichts geändert“, sagt sie Jahr für Jahr. Das bedeutet: Wieder kein Unterhalt vom Vater, schon lange bleibt er ihn seinen Kindern schuldig. Wieder kein Geld für Schulsachen.

So geht es vielen Menschen in Bayern. Laut Daniel Wagner, Sprecher der Diakonie Bayern, leben im Freistaat zwischen 140 000 und 150 000 Kinder unter der Armutsgrenze. Wenn andere Eltern für ihren Nachwuchs ins Geschäft gehen und einen Marken-Malkasten kaufen, bleibt für die Kinder aus den anderen Familien nur eine Billigversion – wenn überhaupt.

Genau dies will Hannelore Christ zusammen mit Klaus Dettl, der das Familienbüro des Bündnisses für Familie in Straubing leitet, verhindern. „Ich möchte, dass Kinder gleiche Chancen in der Schule haben. Ein gutes Bild kann nicht mit einem schlechten Pinsel entstehen. Deshalb möchten wir versuchen zu helfen, um Ungleichgewichte zu beseitigen“, versichert Dettl.

Seit 13 Jahren allein durch Spenden finanziert

Das Bündnis für Familie in Straubing führt diese Aktion bereits seit 13 Jahren durch. Finanziert wird es allein durch Spenden und eigene Aktionen, ohne staatliche Hilfe. Anfangs gab es noch überhaupt noch keinen Zuschuss für bedürftige Familien zum Schulstart. „Keinen Cent“, sagt Klaus Dettl.

Das hat sich jetzt geändert. Eltern und Alleinerziehende mit Schulkind, die den Kinderzuschlag oder Wohngeld erhalten, können finanzielle Unterstützung für die Materialien bekommen, die ihre Kinder im Schulalltag benötigen. Das bestätigt auch das bayerische Kultusministerium. Das Schulbedarfspaket – eine Leistung des Bundesarbeitsministeriums – unterstützt in diesen Fällen mit 154,50 Euro für jedes berechtigte Schulkind pro Schuljahr. Antragsberechtigt sind auch Empfänger von Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe oder Asylbewerber-Leistungen.

Eine Summe, die für Klaus Dettl oft hinten und vorne nicht reicht. Und eine Summe, die auch nicht jeder bekommt. Als ehemaliger Leiter des Jugendamts kennt er die Formalien und auch die Bürokratie, die damit verbunden ist. Er weiß auch, dass viele Familien daran scheitern, diese Beihilfe zu beantragen.

Das bestätigt auch Diakonie-Sprecher Daniel Wagner: „Nur ungefähr die Hälfte der Betroffenen ruft diese Hilfen ab“, so seine Erfahrung. Klaus Dettl weiß auch, warum: Viele Familien sind mit den Formularen überfordert. Manche Eltern – oft Geflüchtete – können oft weder die deutsche Sprache, noch können sie lesen. Auch die lange Liste, die die Eltern zum ersten Schultag in die Hand gedrückt bekommen, überfordert. Das Bündnis für Familie hilft daher: „Wir schicken sie in ein lokales Schreibwarengeschäft. Die Mitarbeiter helfen, alles einzupacken. Manche Mutter weiß gar nicht, was ein Spitzer ist.“ Dort lässt sich auch der Gutschein einlösen.

Hilfe auch vom lokalen Schreibwarengeschäft

Die Auswahl der Unterrichtsmaterialien wird von den bayerischen Pädagog*innen „mit Augenmaß“ getroffen, so eine Sprecherin des Kultusministeriums. Schulbücher werden von der Schule gestellt. Laut Ministerium entstehen die meisten Kosten für Schulanfänger, da es hier um eine „Grundausstattung“ geht.

Doch auch für Kinder in späteren Schuljahren entstehen Kosten, auch während des Schuljahrs. Hier eine Lektüre, ein zusätzliches Arbeitsheft oder ein Abo für eine Lernzeitung. „Viele Eltern können dies nicht stemmen. Und unser Bündnis greift immer dann ein, wenn Kinder im Spiel sind, die benachteiligt sind“, sagt Hannelore Christ.

Auch die Diakonie hilft, wie Wagner bestätigt. In Bayern gibt es von dieser Seite die verschiedensten Aktionen, darunter die Aktion Schultüte für Erstklässler. „Die Problematik ist uns hinlänglich bekannt. Im Hartz-IV-Satz sind für Bildung im Monat 79 Cent vorgesehen“, erklärt der Sprecher. „Wer weiß, was allein ein Block kostet, weiß auch, dass das nicht reicht.“

Auch die Kommunen bemühen sich, die Eltern zu unterstützen. Die Stadt Augsburg etwa bietet laut einer Sprecherin freiwillige Leistungen, die „Kinderchancen“ genannt werden. Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren die Chance zu geben, „durch niederschwellige und unkomplizierte Maßnahmen mit Kindern aus sozial und wirtschaftlich besser gestellten Familien gleichzuziehen“. Hier können Familien mit geringerem Einkommen – gegebenenfalls auch ohne Ansprüche auf gesetzliche Sozialleistungen – berücksichtigt werden. Die über die gesetzlichen Ansprüche zur Bildung und Teilhabe hinausgehenden Leistungen werden als Einzelfallhilfen bewilligt – zum Beispiel für Nachhilfeunterricht, Musikstunden oder Beiträge für Sportangebote. Hierfür werden laut der Augsburger Stadt-Sprecherin jährlich rund 100.000 Euro im Haushalt bereitgestellt.

"Wir wurden noch nie von Betrügern enttäuscht"

Eine Beantragung dieser freiwilligen Leistungen ist jedoch nur über eine Fachstelle möglich, die ebenfalls regelmäßige Informationen erhält – genau wie Schulen, Kitas, Jugendamt, Wohlfahrtsverbände oder Freiwilligen-Zentrum.

Klaus Dettl hingegen sagt, dass es vor allem die unbürokratischen Hilfen sind, die von den Betroffenen am besten angenommen werden. So muss derjenige, der die Gutscheine vom Bündnis für Familie erhält, eben nur einige mündliche Angaben machen. „Das reicht. Wir können uns hier ein gutes Bild machen und sind auch noch nie enttäuscht worden.“

Auch München geht mit gutem Beispiel voran. Zusätzlich zur gesetzlichen Leistung gewährt die Landeshauptstadt Betroffenen eine Schulanfangspauschale von 150 Euro als freiwillige Leistung für Schülerinnen und Schüler, die erstmalig in München in die Schule kommen. Seit 2019 wird laut einer Sprecherin der Stadt die Sonderzahlung auch bei einem Schulwechsel an eine weiterführende Schule gewährt. Im Jahr 2020 wurde von der Stadt für diese freiwillige Leistung ein Betrag von insgesamt 2.374.000 Euro ausgezahlt.

Die infrage kommenden Kinder und Eltern werden durch Datenauswertung aus dem Jobcenter und dem Sozialreferat ermittelt. Die Information über die Sonderzahlung erfolgt durch ein Anschreiben, mit dem die Sonderzahlung dann in bar im zuständigen Sozialbürgerhaus abgeholt werden kann.

Bündnis-Büroleiter Klaus Dettl begrüßt es, dass hier die Verantwortung bei den Kommunen liegt. Er sagt: „Vor Ort kennt man die Menschen und weiß, wer was benötigt und warum.“ Eigenverantwortung also für die Städte und Gemeinden, damit Schule nicht unerschwinglich wird. Wie für die Familie Wimmer, bei der die Oma im kommenden Jahr wieder in der Schlange in der Straubinger Innenstadt stehen wird.
(Melanie Bäumel-Schachtner)

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