Erst war es eine Spendenaffäre der SPD in Regensburg mit Oberbürgermeister Joachim Wolbergs im Mittelpunkt. Nach monatelangen Ermittlungen scheint aber klar zu sein: Nicht nur die Regensburger Sozialdemokraten stecken tief in dem Sumpf um kostbaren Baugrund, illegale Spenden und Vergünstigungen. "Wir ermitteln gegen sieben Beschuldigte plus X", sagt Oberstaatsanwalt Theo Ziegler. Wer oder wie viele Personen sich hinter dem X verbergen, erläuterte er nicht, betont aber, dass immer neue Erkenntnisse hinzukommen. "Es sind Vorgänge über viele Jahre mit vielen Beteiligten", erklärt der Ermittler.
Neben dem amtierenden Oberbürgermeister Wolbergs sitzen ein Geschäftsführer einer Bauträgergesellschaft und dessen ehemaliger Mitarbeiter in Untersuchungshaft. Ermittelt wird gegen weitere Baulöwen, den ehemaligen Vorsitzenden der Regensburger SPD-Stadtratsfraktion, Norbert Hartl, und gegen den Amtsvorgänger Wolbergs, Hans Schaidinger (CSU). Auch er soll von dem Baulöwen bestochen worden sein, für ein Entgegenkommen um die Vergabe des Grundstücks der früheren Regensburger Nibelungenkaserne. Dafür soll Schaidinger einen gut bezahlten Beratervertrag und eine Reise mit der Segeljacht samt Skipper bekommen haben.
Es wirkt, als habe es eine ganz besondere Übergabe der Amtsgeschäfte gegeben. "Ich befürchte, dass dahinter ein jahrzehntelanges, eingespieltes System steckt", sagt der neue Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion in Regensburg, Klaus Rappert. Der Jurist möchte eine kriminelle Übergabe der Amtsgeschäfte nicht mehr ausschließen.
Wenige Baugrundstücke, die heiß gehandelt werden
Seit Jahren floriert Regensburg, Zehntausende Touristen strömen in die Stadt an der Donau, seit sie den Titel Unesco-Welterbe bekommen hat. Wirtschaftlich werden jedes Jahr Rekorde gebrochen, der Arbeitsmarkt boomt, die Einwohnerzahl steigt. Damit werden Wohnungen knapp und teuer. Bauland in bester Innenstadtlage ist begehrt und angesichts der engen Verbauung in der historischen Altstadt rar. Häuser und Wohnungen gelten bei den niedrigen Zinsen als Betongold mit steigender Rendite. Die wenigen Baugrundstücke werden heiß gehandelt zwischen den Bauträgern. Diese Parameter könnten der Nährboden für Korruption gewesen sein.
Der Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der CSU Regensburg, Franz Rieger, glaubt hingegen nur an eine SPD-Affäre. "Es gibt keine Anhaltspunkte für ein System", betont Rieger. Er hält jedoch den Beratervertrag für Schaidinger als "politisch und moralisch verwerflich". Sollte der Ex-OB die Vorwürfe aber nicht entkräften können, fordert Rieger einen Austritt Schaidingers aus der CSU.
Die Affäre liest sich mittlerweile wie ein Krimi aus Mafiakreisen. Da berichten Zeitungen von einem angeblichen Geheimtreffen der Beschuldigten bei einem Anwalt, um einen Zeugen zu beeinflussen. Offiziell hatte die Staatsanwaltschaft die Haftbefehle gegen Wolbergs, den Baulöwen und dessen früheren Mitarbeiter damit begründet, "dass die drei Beschuldigten in unlauterer Weise bereits massiv auf Zeugen eingewirkt haben und ohne den Vollzug der Untersuchungshaft weiterhin tun würden". Zu dem angeblichen Treffen äußert sich die Staatsanwaltschaft aber nicht. "Es wird auch kein Zwischenergebnis geben. Wir wollen die Ermittlungen noch in der ersten Jahreshälfte abschließen und entscheiden, ob Anklage erhoben wird", betont Ziegler.
Wolbergs und auch alle anderen schweigen zu den Vorwürfen
Zudem wird ein Millionenkredit an den Baulöwen mit Vorzugskonditionen beleuchtet. Die Ermittler untersuchen, ob sich Wolbergs als Vorsitzender des Kredit- und Personalausschusses der Regensburger Sparkasse für den Kredit eingesetzt hatte. Nach Angaben Zieglers war der Kredit ohne Sicherheitsleistungen und zu einem Zinssatz von 0,6 Prozent gewährt worden - deutlich unter dem damals marktüblichen Wert. Pikanterweise war der Bauträger zum damaligen Zeitpunkt selbst Mitglied des Verwaltungsrates der Sparkasse Regensburg.
Und auch der Fußballverein SSV Jahn Regensburg gerät in den Sumpf. Der Drittligist soll nach einer finanziellen Schieflage von den immensen Unterstützungen des inhaftierten Baulöwen abhängig gewesen sein - Gegenleistungen sind nicht auszuschließen. Wolbergs, Schaidinger und auch der Anwalt, bei dem das angebliche Geheimtreffen stattfand, waren in den vergangenen Jahren in führenden Positionen des Vereins. Die Ermittler haben daher auch die Herausgabe von Protokollen von Aufsichtsratssitzungen von Kapitalgesellschaft und Verein veranlasst.
Jahn-Geschäftsführer Christian Keller betont, es habe zu seiner Zeit keinerlei Einflussnahmen von Seiten des Baulöwen gegeben, weder in den sportlichen noch in den kaufmännischen Bereich. Schaden für den Verein sieht Keller nicht. "Die Sponsoren wissen, dass der SSV Jahn in der Regensburger Korruptionsaffäre nur eine Zeugenfunktion einnimmt."
Wolbergs und auch alle anderen Beschuldigten schweigen zu den Vorwürfen. Der inhaftierte OB lässt über seinen Anwalt aber mitteilen, dass er unschuldig sei. Mit seinen bisherigen Haftbeschwerden war der 45-Jährige zuletzt gescheitert. Zurzeit prüft das Landgericht Regensburg über eine mögliche Freilassung. "Die Entscheidung könnte noch in dieser Woche fallen", sagt Gerichtssprecher Thomas Polnik. Möglicherweise muss das Stadtoberhaupt seinen 46. Geburtstag an diesem Donnerstag (2. März) hinter Gittern feiern. (
André Jahnke, dpa)
Die Regensburger Korruptionsaffäre
Im Sommer 2016 gibt die Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie gegen den Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs ermittelt. Zunächst geht es um den Verdacht auf Vorteilsannahme und -gewährung im Zusammenhang mit Parteispenden. In den folgenden Monaten entwickelt sich der Fall zur parteiübergreifenden Korruptionsaffäre - auch gegen den Ex-OB Hans Schaidinger wird ermittelt. Die Deutsche Presse-Agentur blickt auf die wichtigsten Stationen in diesem Skandal.
1996: Hans Schaidinger (CSU) wird Oberbürgermeister von Regensburg.
2008: Joachim Wolbergs (SPD) wird dritter Bürgermeister.
2012: Eine Wolbergs nahestehende Person kauft laut Staatsanwaltschaft einem Geschäftsführer einer Bauträgergesellschaft eine Eigentumswohnung ab und bekommt dabei einen Nachlass von 37 600 Euro. Außerdem organisiert der Unternehmer unentgeltlich die Renovierung eines Hauses, dessen Miteigentümer Wolbergs ist, und verschafft ihm einen Kostenvorteil von 1600 Euro.
Ende 2013/Anfang 2014: Nach den Ermittlungen vereinbaren Wolbergs und der mitbeschuldigte Baulöwe einen Deal: Wolbergs soll das Unternehmen bei einer Grundstücksvergabe unterstützen; der Unternehmer soll im Gegenzug eine hohe Summe Spenden an die SPD überweisen. Zudem soll er den Fußballverein SSV Jahn unterstützen.
2013-2015: Laut der Anklagebehörde spendet der Unternehmer mit Hilfe von Strohmännern jährlich 108 900 Euro an den SPD-Ortsverein Regensburg Stadtsüden - gestückelt in Einzelspenden von rund 9900 Euro.
Januar 2014: Der Unternehmer bietet Schaidinger laut Staatsanwaltschaft einen lukrativen Beratervertrag in seiner Firma und eine Reise mit seiner Segeljacht an.
30. März 2014: Wolbergs gewinnt die Oberbürgermeisterwahl. Schaidinger durfte aus Altersgründen nicht mehr antreten.
1. Mai 2014: Wolbergs übernimmt das Amt des Oberbürgermeisters
2. Mai 2014: Wolbergs informiert laut den Ermittlern die Verwaltung darüber, dass die SPD eine neue Ausschreibung für die ehemalige Nibelungenkaserne will.
Mai 2015: Schaidinger nimmt das Angebot des Unternehmers an, als Berater in dessen Firma tätig zu werden.
Juni 2014: Wolbergs wird Aufsichtsratsvorsitzender des SSV Jahn Regensburg.
Oktober 2014: Vergabe des begehrten Baugeländes der ehemaligen Nibelungenkaserne nach einer erneuten Ausschreibung an das Regensburger Immobilienunternehmen Bauteam Tretzel (BTT). Sechs Tage später beschließt die Gesellschafterversammlung des SSV Jahn eine Kapitalerhöhung, die der beschuldigte Unternehmer mit insgesamt 1,7 Millionen Euro verwirklicht.
Dezember 2014: Die CSU scheitert mit einer Rechtsaufsichtsbeschwerde zur Vergabe des Kasernenareals. Nach Ansicht der Regierung der Oberpfalz war die Grundstücksvergabe nicht zu beanstanden.
2015: Eine Wolbergs nahestehende Person kauft laut Staatsanwaltschaft dem beschuldigten Baulöwen eine Eigentumswohnung ab und bekommt dabei einen Nachlass von rund 40 000 Euro.
14. Juni 2016: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Wolbergs wegen Vorteilsannahme.
16. Juni 2016: Wolbergs beantragt ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst. Damit strebt er die Entlastung vom Verdacht eines Dienstvergehens an. Er beteuert seine Unschuld.
25. Juni 2016: Wolbergs räumt Versäumnisse im Umgang mit einem Privatdarlehen an seinen SPD-Ortsverein ein. Dass er dem Ortsverein Regensburg-Süd etwa 220 000 Euro zur Verfügung gestellt habe, ohne dies vom Landesverband der Partei genehmigen zu lassen, sei ein Fehler gewesen.
19. Juli 2016: Der Bundestag untersucht ebenfalls die mutmaßliche Parteispendenaffäre.
Ende 2016: Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren gegen Schaidinger und den Geschäftsführer der Bauträgergesellschaft ein.
18. Januar 2017: Die Staatsanwaltschaft verhaftet Wolbergs, den Geschäftsführer einer Bauträgergesellschaft sowie einen weiteren Beschuldigten wegen Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung oder Beihilfe zur Bestechung.
20. Januar 2017: Die Staatsanwaltschaft gibt nun auch offiziell bekannt, gegen Schaidinger zu ermitteln. Auch er soll in seiner Amtszeit das Wohnungsbauunternehmen rechtswidrig einseitig unterstützt haben.
23. Januar 2017: Der Vorsitzende der Regensburger SPD-Stadtratsfraktion, Norbert Hartl, tritt von seinen Ämtern zurück. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen Hartl.
25. Januar 2017: Die Landesanwaltschaft leitet ein Disziplinarverfahren gegen Schaidinger ein.
27. Januar 2017: Die Landesanwaltschaft suspendiert Wolbergs vorläufig vom Dienst.
3. Februar 2017: Die Landesanwaltschaft behält die Hälfte der Bezüge von Oberbürgermeister Wolbergs ein. Der Beamte erbringe derzeit keine Gegenleistung, heißt es.
16. Februar: Es wird bekannt, dass Wolbergs bei der Vergabe eines Kredites in Höhe von 4,5 Millionen Euro an den mitbeschuldigten Baulöwen zu Vorzugskonditionen als Mitglied des Verwaltungsrates der Sparkasse mitgewirkt haben soll.
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