Kommunales

Über 17 000 Flüchtlinge kamen im Jahr 2013 in den Freistaat, heuer rechnet das bayerische Innenministerium mit etwa 30 000 Menschen. Und ein Ende des Ansturms ist nicht abzusehen. (Foto: dpa)

18.07.2014

"Wir fühlen uns inzwischen fremd im eigenen Ort"

Ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Bewohner bringen die Behörden oft hunderte Asylberwerber in kleinen und abgelegenen Kommunen unter

Der Ansturm von Flüchtlingen nach Bayern wächst unaufhaltsam. Die Unterbringung wird zum Problem. Um Protesten von Bürgern gegen neue Asylbewerberheime vorzubeugen, werden diese inzwischen meist rasch und heimlich eingerichtet. Die Menschen fühlen sich vom Staat übergangen. Ein Stimmungsbild aus den Kommunen.

Bereits im Jahr 2013 waren die Zahlen der Asylbewerber in Bayern drastisch gestiegen. Fast 17 000 Menschen und damit 70 Prozent mehr als im Vorjahr mussten im Freistaat untergebracht werden. Die Bayernkaserne in München – mit 2200 Plätzen, Erstanlaufstelle für viele Flüchtlinge – ist deshalb bereits überfüllt. Die Prognosen für das Jahr 2014 liegen noch deutlich höher: Das bayerische Innenministerium rechnet in diesem Jahr mit 30 000 neuen Flüchtlingen, die alle in Bayern untergebracht werden wollen.
Für die Unterbringung zuständig sind die Landratsämter. Ihnen werden – je nach Einwohnerzahlen des Landkreises – Kontingente an Asylbewerbern zugeteilt. Der ständige Zuwachs an Flüchtlingen sorgt aber dafür, dass die Landratsämter nicht mehr genug geeignete Wohnungen und Häuser finden. „Leider bekommen wir zu wenig Unterkünfte angeboten, sodass man häufig Kompromisse eingehen muss“, sagt Miesbachs Landrat Wolfgang Rzehak (Grüne). In seinem Landkreis muss er bis zum Jahresende etwa 380 Asylbewerber unterbringen.
Eine große Unterkunft wurde daher in Thalham eingerichtet. In dem Ortsteil von Weyarn in Oberbayern bot der Besitzer einer Pension sein Haus für die Asylsuchenden an. Große Unterkünfte hätten den Vorteil, dass die Betreuung durch das Amt sowie durch ehrenamtliche Mitarbeiter leichter sei, teilte das Landratsamt mit. Der Mietvertrag mit der Pension wurde unterschrieben, vorerst mit einer Laufzeit von fünf Jahren.
Nur: Das Asylbewerberheim hat 30 Betten – das Dorf Thalham etwa 50 Einwohner. Und die Einwohner erfuhren erst kurz vor dem Einzug der Asylbewerber von den Plänen für ihr Dorf. Das ist längst kein Einzelfall mehr in Bayern, wie auch das Landratsamt zugibt. Bis ein Amt eine Unterkunft anmietet, fänden zahlreiche Gespräche und Ortstermine statt. Zum Teil müsse das Amt die Gebäude auch umbauen lassen, um etwa Brandschutzverordnungen einzuhalten. Weil einige Vorschläge abgelehnt werden würden, informiere man die Bürger erst, wenn alle Verträge un-terschrieben wurden. Dann vergeht meist nicht mehr viel Zeit, bis die Flüchtlinge kommen.

Große Informationsdefizite


Leonhard Wöhr (CSU), der Bürgermeister von Weyarn, spricht trotzdem von einem „Informationsdefizit“ von Seiten des Landratsamts. Der CSU-Politiker hat seine eigene Erklärung, warum das Landratsamt so spät über die Einrichtung des Hauses als Asylbewerberheim informierte: „Bei anderen Heimen wurden schon schlechte Erfahrungen gemacht, da gab es braune Parolen, nachdem der Standort bekannt wurde.“ Das habe sich das Landratsamt sparen wollen. Letztendlich sei die Öffentlichkeitsarbeit, für die eigentlich das Landratsamt zuständig sei, bei ihm und bei der Gemeinde Weyarn hängen geblieben.
Wöhr veranstaltete kurz vor dem Einzug der Migranten eine Bürgerversammlung und lud Experten, unter anderem den örtlichen Polizeichef, ein. Denn als die Einwohner Thalhams von den Plänen erfuhren, waren sie erst einmal wenig begeistert. Die Bürger fanden, ihr Ort sei als Standort für ein Asylbewerberwohnheim ungeeignet. Grund: In Thalham gibt es keine Geschäfte und keine Freizeitmöglichkeiten, ein Bus in die Nachbargemeinden fährt nur selten. Die einzige Wirtschaft im Dorf war genau der Gasthof, in dem die Asylbewerber wohnen sollten. Und der wurde deswegen geschlossen. Einige Männer äußerten sogar Bedenken, ihre Frauen künftig allein daheim zu lassen, wenn in das Heim viele junge Männer einziehen sollten. Außerdem wollten sie wissen, wer sich bei Streits unter den Flüchtlingen konkret kümmern würde und ob es Dolmetscher gebe.

Keine Einkaufsmöglichkeit


„Man muss die Befürchtungen der Leute ernst nehmen und vernünftig mit ihnen reden“ sagt Wöhr. Der Polizeichef versuchte den Einwohnern bei der Bürgerversammlung einige Sorgen nehmen. Die Sicherheit des Ortes sei nicht in Gefahr, das zeigten Erfah-rungen aus anderen Standorten. Tatsächlich gelang es sogar, Freiwillige zu finden, die einen Helferkreis bildeten. 30 Helfer, zum Teil aus Thalham, zum Teil auch aus anderen Ortsteilen, kümmern sich um die Bedürfnisse der Bewohner der Pension.
Als Mitte Mai dann die Asylbewerber kamen, hätten sich die Ängste der Bürger schnell als unbegründet herausgestellt, sagt Wöhr. Er lobt den Einsatz des Helferkreises, der seiner Meinung nach einige Leistungen übernimmt, die eigentlich Aufgaben des Freistaats seien. „Mittlerweile hat sich die Situation eingependelt“, sagt der Bürgermeister. Der Helferkreis habe sogar einen Fahrdienst mit dem Namen Weyarn fährt ins Leben gerufen. Den Asylbewerbern wurden grüne Schilder ausgeteilt, mit denen sie sich an den Straßen postieren. Einwohner, die nach Miesbach fahren, wissen dann, woher sie kommen und nehmen sie in ihren Autos mit. Dort können die Flüchtlinge dann einkaufen gehen und beim Amt ihr Geld abholen.
Denn Weyarn liegt mit drei Kilometern Entfernung zwar näher als die 4,5 Kilometer entfernte Kreisstadt, doch das nützt wenig. „Weyarn hat keinen Supermarkt. Und unser Dorfladen hat hochwertige Bio-Produkte, die sind für die Asylbewerber zu teuer“, erklärt Bürgermeister Wöhr. Von der Logistik her seien größere Orte natürlich besser geeignet, um so viele Flüchtlinge aufzunehmen. Aber dafür sei die Betreuung in kleinen Orten besser, ist der Bürgermeister überzeugt. Die Vereine aus der Umgebung seien auf die neuen Einwohner zugegangen, ein Asylbewerber spiele zum Beispiel bereits im Fußballverein mit. Das Asylbewerberheim in Thalham ist damit ein Beispiel, dass es trotz ungünstiger Umstände funktionieren kann, eine größere Unterkunft in einen kleinen Ort einzubinden. Von all den Problemen, die es am Anfang zu geben schien, ist am Ende nur eines geblieben: „Die Einwohner wünschen sich natürlich ihre Gastwirtschaft zurück“, sagt Wöhr.
Schlechter ist die Situation im Dorf Kotzenaurach, einem Ortsteil der mittelfränkischen Gemeinde Markt Erlbach im Landkreis Neustadt a. d. Aisch-Bad Windsheim und hat etwa 60 Einwohner. Auf diese 60 Einwohner kommen im Moment 36 Asylbewerber. Im Frühjahr 2012 kamen die Flüchtlinge ins Dorf, sie wohnen in der „Neuen Krone“, der einzigen Pension im Ort. Das Gasthaus hat 56 Betten, die zwischenzeitig komplett belegt waren. In dieser Zeit gab es stets fast genauso viele Asylbewerber wie Einheimische in Kotzenaurach.

Verhärtete Fronten


Auch hier wurden die Einwohner und sogar die Bürgermeisterin Birgit Kreß (Freie Wähler) erst spät informiert. „Man hat mir gesagt, übermorgen kommen 20 Asylbewerber nach Kotzenaurach. Ich bin erstmal aus allen Wolken gefallen“, erinnert sich die Bürgermeisterin. Das Landratsamt schickte schon bald noch weitere Asylsuchende in das kleine Dorf.
Der Ort sei ungeeignet, so Kreß. Es gebe überhaupt keine öffentlichen Verkehrsmittel. Der Ortskern und somit auch die nächste Einkaufsmöglichkeit liegen sieben Kilometer entfernt. Im Sommer könnten sich die Flüchtlinge zwar Fahrräder leihen und die bergige Strecke fahren, aber im Winter hätten sie überhaupt keine Möglichkeit, ohne Hilfe dort hin zu kommen. Ärger mit den Asybewerbern selbst gebe es nicht, sagt die Bürgermeisterin. Das Problem sei, dass die Menschen zu wenige Möglichkeiten hätten, sich zu beschäftigen. Besonders den etwa 20 Kindern, die in der „Neuen Krone“ wohnen, sei langweilig. Darunter leide auch die Privatsphäre der Dorfbewohner, sagt Kreß. Zum Beispiel habe ihr ein Einwohner davon erzählt, wie er mit seinem Sohn im Garten Tischtennis spielen ging. Es dauerte nicht lange, bis sich die Kinder aus der Pension um die Platte versammelt hatten, da dort etwas geboten wurde. Doch das Landratsamt in Neustadt an der Aisch hat keine große Auswahl und daher das Angebot vom Besitzer der „Neuen Krone“, Hans Daum, angenommen. Sein Gasthaus war, ähnlich wie in Thalham, früher die einzige Wirtschaft im Ort.
Die Fronten in dem kleinen Dorf haben sich mittlerweile verhärtet. Die Bewohner haben eine Petition gestartet, um das Asylbewerberheim schließen zu lassen. Als ersten Schritt solle das Landratsamt künftig nur noch maximal 15 bis 20 Asylbewerber in der „Neuen Krone“ wohnen lassen und diese mit der Zeit auf Wohnungen im kompletten Landkreis verteilen, so die Forderung.
Susanne Schönwiese hat sich um die Petition gekümmert und im Namen der Dorfbewohner schon mehrere Mails an das Landratsamt, ihren Landtagsabgeordneten sowie an das bayerische Sozialministerium geschrieben. Sie und die anderen Einwohner seien vor der Ankunft der Asylsuchenden nicht informiert worden. Wer da gerade in den Gasthof eingezogen war, erfuhren sie erst im Nachhinein. Schönwiese spricht von einer „unter der Hand vereinbarten Unterbringung“ und fordert von der bayerischen Staatsregierung, weniger auf Großunterkünfte zu setzen als auf Wohnungen. Diese seien sogar günstiger. Den Behörden wirft sie vor: „Die Bemühungen des Landratsamts, woanders Wohnraum zu finden, liefen auf Sparflamme.“ Schönwieses Grundstück grenzt direkt an das der „Neuen Krone“.

Die Kläranlage ist zu klein


Neben der schlechten Anbindung und den fehlenden Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten sind mit der Zeit weitere Probleme aufgetreten. Kotzenaurach ist nicht an die öffentliche Kanalisation angeschlossen. Die „Neue Krone“ hat daher eine eigene Kläranlage. Diese ist allerdings, laut Susanne Schönwiese, nur auf etwa 40 Bewohner ausgelegt. Daher sei es häufig zu Störfällen gekommen, wegen denen es im ganzen Dorf gestunken habe. Das Klärwasser sei mehrfach in die Aurach, den Fluss, der das Dorf durchquert, geleitet worden.
Das Ortsbild habe sich durch die Asylbewerber erheblich verändert – und das nicht zu seinem Vorteil. „Seit der Gasthof als Unterbringung genutzt wird, gibt es für uns Alteingesessene keinen Ort des Miteinanders mehr“, bedauert Schönwiese. Auch die Migranten hätten lange keinen Ort gehabt, wo sie sich zusammensetzen konnten. Doch seit dem 1. Juli werde der Gastraum auch außerhalb der Es-senzeiten als Gemeinschaftsraum geöffnet. Schönewiese beklagt, dass in Kotzenaurach Sozialarbeiter fehlen, die sich um die Integration der Asylbewerber bemühen. Die Dorfgemeinschaft sei „schlicht und einfach überfordert“. „Die Bewohner fühlten sich inzwischen fremd im eigenen Ort“, erklärt Schwönwiese. „Wir sind nicht mehr die Regel, wir sind die Aus-nahme.“
Gastwirt Hans Daum, der Vermieter der Unterkunft, fühlt sich zu Unrecht angegriffen. „Ich habe mich ja nicht darum gerissen, so viele Asylbewerber aufzunehmen, sondern in der Not geholfen. Und jetzt kommen die ganzen Scherereien.“ Mehr möchte er im Moment nicht zur Situation sagen.
Die Situation bedeutet Strapazen für alle Beteiligten. Schließlich werden auch die Asylbewerber nicht gefragt, ob sie lieber in einer Unterkunft in einer Großstadt oder auf dem Land untergebracht werden wollen. Den Landratsämtern wiederum werden vom Freistaat Bayern wiederum so viele Flüchtlinge vermittelt, dass sie nicht genügend geeignete Möglichkeiten haben, die Asylsuchenden adäquat unterzubringen. Daher gehen sie Kompromisse ein, auf Kosten der Gemeinden, Dorfbewohnern und Asylbewerbern. Die Landeshauptstadt hatte kurzzeitig sogar erwogen, wegen der Flüchtlingsströme und der überbelegten Bayernkaserne Zeltstädte als Erstaufnahmestelle zu errichten. Vorerst geschieht das nicht, für die Neuankömmlinge wurden jetzt Betten in ehemaligen Fahrzeughallen und LKW-Garagen bereitgestellt. Ob das eine langfristige Lösung sein kann, darf bezweifelt werden. (Jakob Stadler)

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