Für konservative Designpuristen mag das schon eine Provokation sein: Günstiges von Ikea neben einem exquisiten Colani-Möbel, und auch eine 08/15-WC-Schüssel entdeckt man in der Reihe der Sitzmöbel. Oben ein gefährlich kantiger und streng geometrischer Kinderstuhl in sprödem Holzbraun des gefeierten Gerrit Rietveld aus der niederländischen Künstlergruppe De Stijl – ein paar Regalböden darunter eine knautschige, quietschgelbe Giraffe zum Aufblasen, auf und mit der Kinder in den 1970er-Jahren vielleicht an einem Adriastrand herumgetollt haben. Billig neben Teuer, Alt neben Neu, Dinge von namenlos gebliebenen Entwerfern neben Stücken von Stardesignern: Wie man im neuen X-Depot mit den schönen und funktionalen Dingen umgeht, ist vielleicht die überzeugendste Interpretation der beschworenen Demokratisierung des Designs und durch das Design. Nicht nur aus der äußeren Präsentation, sondern auch aus der Didaktik sind Schubladen verbannt.
Was aber auf den ersten Blick kunterbunt durcheinander erscheinen mag, folgt im aus dem Schlummerschlaf erweckten zusätzlichen Präsentationsraum der Neuen Sammlung im Münchner Kunstareal bei der Loslösung von gängigen Präsentationsformen sogar einem sehr strengen Konzept.
Schon allein das Raster aus rund sieben Meter hohen Regalen an drei Wänden und einer langgezogenen Glasvitrine auf einem Galeriegang für kleine Exponate signalisieren eine Ordnung der Dinge – nur eben eine inhaltlich etwas andere als die gewohnte in den Haupträumen der Sammlung in der Pinakothek der Moderne. Weder die Chronologie noch Namen, Nationalitäten oder der geografische Ursprung spielen eine Rolle. „Hier brechen wir mit sonst museumsüblichen Hierarchien“, sagt Angelika Nollert, „die Besucherinnen und Besucher können ohne solche, auch wertende Vorgaben selbst die Dinge entdecken und sich eigene Fragen dazu stellen.“
Spannende Beziehungen
Mit dem X im Namen des Raumes, der schon beim Umzug in die 2002 neu eröffnete Pinakothek der Moderne als Schaudepot angedacht, aber nie realisiert worden war, will man programmatisch nicht nur an den noch fürs Unbekannte stehenden Faktor X anknüpfen, sondern richtungsweisend auch an englisches Vokabular: an X-cercise, X-plore, X-perience, X-periment und auch X-plain, um nur einige assoziative Begriffe zu nennen.
Die Exponate ergeben ein horizontal wie vertikal inszeniertes Beziehungsgeflecht auf 600 Quadratmetern. In der obersten Regalreihe stehen umlaufend Stühle, darunter entfalten sich von Segment zu Segment thematische Gruppierungen: Mal geht es um eine Farbe, mal um Prototypen, Werkzeuge, Stapelbares, Carbonfaser, Sport und Spiel, Medizinisches, um Nachhaltigkeit, um die Kugelform oder um betont einfache Formen – insgesamt 30 Themen werden zur Schau gestellt. Der Modulcharakter macht den partiellen Wechsel und immer wieder neue Konfrontationen möglich.
Es wird zwar ein Heftchen zu all dem Ausgestellten geben, aber im Vordergrund soll hier nicht das Lesen, sondern der intuitive Zugang zu den oft sehr narrativen Designobjekten sein. Dazu gehört auch, dass man sich hinsetzen kann – auf (nichtinventarisierten) Designerstühlen. „Wir wollen hier eine neue Aufenthaltsqualität im Museum bieten, spielerische Aspekte betonen“, sagt Angelika Nollert über das X-Depot, das nicht nur Schauraum, sondern obendrein ein Interaktionsraum sein soll – multifunktional und multimedial. Man denkt an Workshops (zum Beispiel zum 3D- Druck), will zum Beispiel auch Begegnungen mit Start-ups initiieren, und setzt auch auf Schulen jeglicher Kategorie. Designstudierende der Hochschule München waren bereits zu einer „Intervention“ eingeladen. Unter dem Titel „Facetten demokratischen Designs“ klopften sie die Exponate ab nach ihrer „Wertigkeit“: Wie stehen sie für demokratische Prinzipien wie Gleichberechtigung, Zugänglichkeit, Teilhabe und Toleranz? Oder kann man an ihnen auch Restriktionen ablesen? (Karin Dütsch)
Information: Das X-Depot ist ab dem heutigen Freitag geöffnet. Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München. Aktuelle Öffnungszeiten unter www.dnstdm.de
Ortsunabhängig lässt sich das neue Angebot via App erkunden: Mit 360-Grad-Video, bei Online-Führungen, Filmen mit dem Kuratorenteam und dem Architekten. Ab November soll es ein digitales Soundboard geben.
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