Kultur

Die Calle San Ignacio in der Altstadt von Havanna, die 1982 zum Unesco-Welterbe erklärt wurde. Die Fotografie zeigt den Übergang zwischen renovierten Häusern und den Ruinen des Viertels. (Foto: Eva-Maria Fahrner-Tutsek)

17.08.2018

Abseits der touristischen Hotspots

Eva-Maria Fahrner-Tutsek zeigt in ihrem neuen Fotobuch Ansichten aus Havanna vor dem Hintergrund einer desaströsen Rezession

No hay ron – hier gibt es keinen Rum. Und das mitten in Havanna! Das Schaufensterschild liest sich wie ein Fingerzeig: Kein Schluck ist da, der für betäubende Entspannung sorgen und helfen könnte, die Tristesse in Eva-Maria Fahrner-Tutseks Fotografien von Havanna so bunt und exotisch-idyllisch zu übertünchen, wie es das Tourismusmarketing in unausgesprochener Kumpanei mit der weltweiten Fotocommunity propagiert. Sonne, Salsa, Sozialismus, jubelt der Werbetexter eines Reiseveranstalters, und dass die Gelassenheit wichtiger Bestandteil des kubanischen Alltags sei, dass das Leben vom Genuss geprägt sei, für den man sich im karibischen Leben viel Zeit nehme.
Natürlich wird, wer einem solchen Guide folgt, das – unter anderem mit Mitteln für den Erhalt als Unesco-Welterbestadt – herausgeputzte Havanna mit seinem revitalisierten neoklassizistischen Kolonialambiente durchstreifen, wo das vermeintliche karibische Laissez faire kein erzwungener Ausdruck des desaströsen wirtschaftlichen Verfalls ist, sondern mit einem dicken Bündel an Pesos oder Dollars als angenehmer Zeitvertreib erkauft werden kann.
Aber die Münchner Fotografin hat die zur Schau gestellte Seite der Stadt verlassen, ist einige Gassen weiter hinein ins Herz der „Grand Dame der Karibik“ vorgestoßen, in Winkel des historischen Stadtteils La Habana Vieja, wohin sich kaum Touristen verirren (wollen).

Reine Resignation

Kinder springen spielend herum. Doch die Erwachsenen stehen und sitzen mit verschlossenen, in sich gekehrten Mienen einfach nur wie abwesend da. Das sind vor allem die Männer, „die Frauen sitzen im Sozialamt“, hat die Fotografin beobachtet. Nichts sieht man von fröhlich-gelassenem nachbarschaftlichen Miteinander bei Musik, Tanz und Rum, schon gar nichts vom bereitwilligen Posieren fürs Touristenfoto.
Interesselosigkeit, Hoffnungslosigkeit liest man aus ihren Gesichtern und eine Gleichgültigkeit, die Prospektsätze von der „herzlichen Kontaktfreundschaft“ und vom „Gespräch mit den offenen Menschen“ als blanken Hohn erscheinen lassen – oder eben als Show nach dem Motto „gib dem Affen Zucker“ entlarven, die die Habaneros an den touristischen Hotspots der Stadt gelernt haben mitzuspielen. Dort eben, wo nicht wie hier die Häuser in einem derart ruinösen, unbewohnbaren Zustand sind, dass sie rein gar nichts mehr vom vielfotografierten morbiden Charme einer vergangenen „Hochkultur“ haben. Sie sind auch nicht wie die Häuser in der ersten Reihe der Stadt, an der Uferpromenade, „benetton bunt“ angemalt, wie es der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura in einem Gastbeitrag zum Buch nennt.
Die quietschbunten, alten Amischlitten: Auch diese sieht man auf Eva-Maria Fahrner-Tutseks Fotografien nicht. Durch die engen Gassen würden sie vermutlich gar nicht durchkommen. Stattdessen gibt es klapprige Fahrrad-Taxis. Noble Caféhäuser und Bars sucht man in diesem städtischen Abseits ebenfalls vergeblich. Dort reicht allenfalls mal eine Hand einen Kaffee durchs Fenster – so verdient man sich in Zeiten der dramatischen Rezession ein paar Pesos nebenbei.

Wie einst in der DDR

Die klassische Straßenfotografie liefert solche Motive, die freilich nicht die Wahrheit schlechthin, aber glaubwürdigere Geschichten zu erzählen vermag – gerade von solchen Orten, die vom „kuratierten Blick“ geradezu deformiert sind, wie der Londoner Fotograf Michael Freeman in seinem Essay zu Eva-Maria Fahrner-Tutseks Buch kritisch ausführt.
„Anfangs bin ich abends, wenn ich meine Fotografien vom Tag angeschaut habe, richtig erschrocken und habe mich mit schlechtem Gewissen gefragt, was ich hier eigentlich fotografiere“, sagt die Fotografin über ihre erste Reise nach Havanna. Sie spricht spanisch. Das half, Menschen hin und wieder aus der Reserve zu locken. Und sie hat sich bei – auch in Havanna lebenden – Bekannten vergewissert: Ihr Eindruck täusche nicht, die Stimmung in der ehemaligen „Hauptstadt der Revolution“ habe sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. „Die Leute haben resigniert, sie haben kaum noch Hoffnung, dass sich etwas ändert. Und sie sind misstrauisch, wenden sich ab.“ Eva-Maria Fahrner-Tutsek fühlte sich an die frühere DDR erinnert. (Karin Dütsch)

Abbildung: So verschlossen wie viele Türen und Fenster im Altstadtviertel „La Habana Vieja“ sind auch die Mienen der Menschen, die dort leben. (Foto: Eva-Maria Fahrner-Tutsek)

Information: Eva-Maria Fahrner-Tutsek, Havana – Short Shadows, Hirmer Verlag, 164 Seiten, 29,90 Euro. ISBN 978-3777430980


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