Kultur

Schicke Outfits wie in diesem Laden kann sich nicht jeder in Selma leisten. Die Kleinstadt in Alabama schrieb Geschichte wegen der Märsche gegen die Rassentrennung. (Foto: Magnum Photos/Matt Black)

30.07.2021

Ästhetik des Scheiterns

Die Versicherungskammer München zeigt ebenso faszinierende wie irritierende Aufnahmen des Magnum-Fotografen Matt Black

Wussten wir’s doch, dass sie immer „on the road“ sind, die Leute in Amerika. Matt Black etwa ist Zigtausende Meilen kreuz und quer durch sein Heimatland USA gefahren, um zu fotografieren: den offenen Briefkasten, der windschief auf einem Holzpfosten hängt, irgendwo im Nirgendwo. Tätowierte Underdogs mit schmierig gegelten Haaren. Tankstellen, ausgeschlachtete Autowracks, Provinzkäffer mit ausgestorbenen Straßen, mal in gleißender Sonne, mal im Schnee. Verfallende Hochhäuser, ruinöse Fassaden, Müllplätze.

Und immer wieder alte oder ausgemergelte Menschen, meist Schwarze, in slumartigen Bruchbuden, von denen man gar nicht glauben mag, dass es so etwas in einem reichen Land wie den Vereinigten Staaten gibt. Nein, Onkel Toms Hütte ist gewiss kein Idyll auf den Fotografien von Matt Black, die jenes arme und abgehängte Amerika dokumentieren, das nicht in den Nachrichten vorkommt und den Gegenpol zur strahlenden Glitzerfassade à la Hollywood bildet. Oder vielmehr ein Paralleluniversum, denn bei Betrachtung der Bilder kommt es einem vor, als existierten die USA zur gleichen Zeit doppelt: einmal als Dritte-Welt-Land und einmal als stärkste Wirtschaftsmacht auf dem Globus.

Präsentiert werden diese ebenso erschreckenden wie faszinierenden Fotos der Serie American Geography im Kunstfoyer der Versicherungskammer in München – wobei es schon einen gewissen frivolen Reiz hat, diese Darstellung großer Armut ausgerechnet in der Zentrale eines Versicherungskonzerns zu goutieren. Aber es passt andererseits auch zu den Aufnahmen des 1970 geborenen Fotografen, der für die renommierte Agentur Magnum tätig ist und vielfach ausgezeichnet wurde.

Leise Melancholie

Denn Matt Black zeigt die schäbige Rückseite des „American Dream“ in Bildern von geradezu ikonischer Monumentalität und irritierender Schönheit. Wobei er die Armut nie verklärt, sondern mit fast schon pathetischer Wahrhaftigkeit schonungslos benennt; aber die leise Melancholie, die all diese Fotos so anheimelnd schmerzvoll durchweht, scheint noch im Scheitern des amerikanischen Traumes indirekt dessen Größe zu feiern. Schließlich ist der Erfolg überhaupt erst als solcher erkennbar im Kontrast zum Misserfolg, der quasi sein unverzichtbares Komplement darstellt.

Auch von diesen Zusammenhängen künden auf der formalen Ebene die starken Hell-Dunkel-Kontraste, die Matt Blacks eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Aufnahmen prägen – und unweigerlich die berühmten Brecht-Verse ins Gedächtnis rufen: „Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man sieht die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Tatsächlich tauchen Menschen in diesen Bildern oft nur als kleine, schwarze Silhouetten auf, deren Gesichter nicht zu erkennen sind.

Schönheit im Kaputten

Der Déjà-vu-Effekt, der sich gleichwohl vor den Fotos einstellt, mag daher rühren, dass die (vermeintliche) Entzauberung des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten ein gängiges Motiv, fast ein Topos der US-amerikanischen Literatur und Kunst ist: Zahllose Bücher, Bilder, Theaterstücke der ambitionierteren Art erzählen, wie das Heilsversprechen von „God’s own country“ sich nicht zwangsläufig für jeden erfüllt.

Aber diese Ästhetik des Scheiterns sagt alles über eine restlos ökonomisierte Welt, wo wirkliche, nämlich zweckfreie Schönheit bloß noch im Kaputten, Dysfunktionalen liegt, das nicht mehr verwertbar ist. So wie der erwähnte windschiefe Briefkasten, in dem die Post sicher schon lange ausbleibt. Aber gerade indem er keine Botschaften mehr empfängt, ist er selbst zur Botschaft geworden. (Alexander Altmann)

Abbildung: Erfüllter „amerikanischer Traum“? Motiv aus Rome, Mississippi.    (Foto: Magnum Photos/Matt Black)

Information: Bis 12. September. Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung, Maximilianstraße 53, 80538 München. Online-Anmeldung unter www.versicherungskammer-kulturstiftung.de

 

 

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