Kultur

Ausschnitt aus „Dante und Vergil in der Hölle“ von William Bouguereau. Die Gesamtansicht finden Sie im Beitrag. (Foto: bpk/RMN Grand Palais/Patrice Schmidt)

17.11.2017

Ästhetisches Horrorkabinett

Die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung zeigt schwülstige Pariser Salonkunst des späten 19. Jahrhunderts

Gar so alt ist es noch nicht, das Klischee, wonach Paris die Stadt der Frivolität und erotischen Freizügigkeit sei. Dass und warum diese heute natürlich verstaubte Vorstellung erst vor gut 150 Jahren aufkam, wird einem jetzt quasi en passant in einer Münchner Ausstellung klar, in der es eigentlich nicht um den Amüsierbetrieb in Paris geht, für die aber trotzdem gilt: So viel Nacktheit war noch nie in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung! Selbst die Helmut-Newton-Ausstellung, die dort vor einigen Jahren stattfand, hatte, gefühlt, nicht eine solche Fülle „nackerter Buidln“ zu bieten, wie die aktuelle Schau über die Kunst des Pariser Salons im späteren 19. Jahrhundert. Ob dieser FKK-Trend an der Theatinerstraße eine Art Kompensationsphänomen darstellt? Einen Ausgleich dafür, dass die Nackten aus dem Englischen Garten im Lauf der letzten Jahre verschwunden sind, die einst doch fast schon ein Wahrzeichen, eine Touristenattraktion, zumindest aber ein Imageträger Münchens waren? Anzunehmen ist es, denn anders wäre kaum zu erklären, warum ein so renommiertes Haus jetzt all diese mythologisch, religiös oder allegorisch verbrämten Nuditäten an die Wand hängt.

Süßlicher Schwulst

Über den Gegenstand selbst muss man eigentlich kein Wort verlieren. Der Pariser Salon war als alljährliche Repräsentationsschau staatlich protegierter, aber rückwärtsgewandter Kunst eher ein gesellschaftliches Ereignis. Die Kunstgeschichte hat über den süßlichen Schwulst all der anachronistischen Historienschinken, die dort gezeigt wurden, längst, teilweise schon zu deren Entstehungszeit, ihr Urteil gesprochen, von dessen Richtigkeit man sich in der Schau überzeugen kann. Insofern ist auch kaum anzunehmen, dass der Ausstellungstitel Gut. Wahr. Schön nicht ironisch gemeint sein könnte. Denn gut, wahr und schön sind diese Musterbeispiele opportunistischen Kitsches, die alle aus dem Pariser Musée d’Orsay stammen, eben gerade nicht, sondern sie demonstrieren bloß den Missbrauch dieser drei letztlich auf Platon zurückgehenden Werte durch die verlogene Kunstideologie der herrschenden Kreise im 19. Jahrhundert – ein Missbrauch, der nicht nur auf Frankreich beschränkt war, auch wenn ihm dort der staatlich gelenkte Kunstbetrieb besonderen Vorschub leistete.

Grausen und amüsieren

Heutige Betrachter erleben beim Gang durch das ästhetische Horrorkabinett, das die Kunsthalle eröffnet hat, eine bizarre Gefühlsmischung aus Grausen und Amüsement, wobei Letzteres überwiegt. All die theatralischen Gesten der schmachtenden Jungfern und wackeren Helden auf diesen Gemälden,die hohle Phrasenhaftigkeit ihrer eindimensionalen Mimik – dieses ganze falsche, bloß posenhafte Pathos ist so übertrieben, so plump-offensichtlich, dass seine Komik durch seine Unabsichtlichkeit noch gesteigert wird. Interessant sind die Exponate in einer Hinsicht aber doch: Laurence des Cars, die Direktorin des Musée d’Orsay, hat bei der Präsentation der Schau selbst darauf hingewiesen, dass viele der gemalten Szenen aussehen, als stammten sie direkt aus einem Hollywood-Film. Und tatsächlich lässt sich sagen, dass die Salonmalerei aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägende Grundmuster jener Ikonografie des Kitsches lieferte, die bis heute in der Trivialkultur, also eben gerade auch in Hollywood, virulent ist. (Alexander Altmann) Information: Bis 28. Januar. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, 80333 München. Täglich 10-20 Uhr. www.kunsthalle-muc.de

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