Kultur

Ausschnitt aus der wandgroßen Präsentation von Keith Sonniers Baghdad Relic (Sagaponack Blatt Series; 2004). (Foto: VG Bild-Kunst, Neues Museum/Annette Kradisch)

04.03.2022

Alltäglich, und doch elitär

Das Neue Museum Nürnberg hat Keith Sonnier eine erste große Retrospektive eingerichtet

Dass zum Beiprogramm einer Ausstellung auch ein „Louisiana-Abend“ gehört, mit Musik, Getränken und Reiseberichten aus den amerikanischen Südstaaten, ist eher ungewöhnlich. Aber anlässlich von Keith Sonnier: Lightsome in Nürnbergs Neuem Museum ist das durchaus angebracht. Allein der Name des 2020 verstorbenen Künstlers, für den das Museum eine erste Retrospektive zusammengestellt hat, ist vielsagend. Der französische Nachname in Verbindung mit dem amerikanischen Vornamen verweist auf Sonniers Herkunft: Er stammt aus einer Familie mit kanadischen Wurzeln, ansässig in Louisiana. Er ist aufgewachsen mit Cajun-Food und -Musik, mit Jambalaya und Jazz.

Wer je an einem der vielen Ba-yous gesessen hat, wenn die Sonne untergeht und die Alligatoren schnarren, kann nachfühlen, was Sonnier zu seinen Arbeiten inspiriert hat: Sie kombinieren dunkle Nächte mit bunten Neonröhren und trivialem Metall, poetischen Chiffren und Elektrokabeln – eine Mischung, der man auch beim Essen der Akadier begegnet, wenn die Krabben köstlich zubereitet und serviert werden und man die Schalen einfach durch ein Loch mitten im Tisch in den Blecheimer darunter fallen lässt.

Typisches Material

Kuratorin Kristin Schrader hat den großen Ausstellungsraum im Neuen Museum in fünf Abschnitte von Sonniers künstlerischem Werdegang aufgeteilt, konnte auf die von ihm selbst zusammengestellte Sammlung zurückgreifen, auf weltweite Leihgaben und Werke aus Beständen des Neuen Museums. Man folgt am besten dem Begleitheft von den 1960er-Jahren („Grenzübergänge“) bis zu den letzten beiden Jahrzehnten („Alltag und Energie“). Man beginnt mit dem Blick auf Sonniers typisches Material: Das sind keine teuren Farben aus gemahlenem Edelstein oder glitzernde Totenköpfe, sondern Neonröhren und Aluminiumwände aus dem Baumarkt. In seiner New Yorker Zeit kamen Holz und Maschinendraht dazu, mit Mull ausgestopfte Polster und Seile – man ist damit bei solchen Alltäglichkeiten wie der Käseherstellung in einem Trog. Parallel dazu kommt Ende der 1960er-Jahre die Verwendung von leuchtenden Glühbirnen und Neonröhren im Dialog und in Konkurrenz.

Den Alltagsbezug hat Sonnier nie verloren: weder in seinem Privatleben, noch in seinen Videoarbeiten, wo er über zwei Leinwände verteilt vier Fernsehprogramme laufen lässt. Da flimmert „Live-Material“ aus verschiedenen TV-Programmen genau des Abends, an dem man gerade im Museum ist: die „First Dates“ des Senders Vox, daneben die aktuellen Nachrichten der ARD, gegenüber Commercial-TV. Channel Mix heißt das seit 1972, ist ein Beispiel für Sonniers Medienkritik und schickt das Publikum mitten in die Medienüberflutung ohne Klicken auf der Fernbedienung.

Auf der Rückseite dieser großformatigen Präsentationsform fängt das an, was man unter „typisch Sonnier“ versteht: Der versammelt unter Ba-0-Ba Erfahrungen von Reisen nach Japan, Indien, zu den Stränden der Südsee. Sonniers Neon-Leuchtschlangen nehmen Kontakt auf mit der Schrift Südostasiens, mit typischen Mustern von Tempelböden. Wenn man diese Bezüge nicht realisieren kann, dann erinnern die bunten Neonchiffren auf weißem oder schwarzem Untergrund auch an die Leuchtreklamen entlang der Highways von Sonniers amerikanischer Heimat. Weißes oder farbiges Licht vervielfältigt er auch durch Spiegelflächen.

Variabel angeordnet

Ein Demokratisierungsprozess sei die Verwendung von Alltagsmaterial gewesen, sagt Simone Schimpf, die Leiterin des Museums. Das gilt sicher für Holz, Neon, Kabelsalat, weniger aber für die Entschlüsselung von Sonniers Kunst: Dieses eingefangene weiße Licht zwischen Wand und schräger Glasplatte erscheint ziemlich elitär.

Für Ausstellungen, Performances hat Sonnier seine Lichtanordnungen immer wieder verändert, hat verschiedene Glasarten verwendet, andere Monitorabläufe, Schattenwirkungen, die das Publikum auch selbst erzeugt, oder die Gegenüberstellung von Realität und Abstraktion.

Argon, Neon, das Kabelgewirr: Alles ist ein „work in progress“ und hat gelegentlich auch politische Absichten. War of the worlds heißt eine riesige, mit Zeitungsseiten beklebte Wand, vor die Sonnier einen Globus gehängt hat: mit dem Weltall verdrahtet wie ein Satellit, mit Neonröhren angepikst wie ein Kampfstier und mit Banderillas von „Stars and Stripes“. Knapp davor ein Papierkorb, in den das Ganze gleich fallen wird. Ligthsome heißt die Ausstellung: Leicht und unterhaltsam soll Sonniers Kunst sein – aber manchmal läuft es einem eben doch kalt über den Rücken. (Uwe Mitsching)

Information: Bis 8. Mai. Neues Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design, Klarissenplatz, 90402 Nürnberg. Aktuelle Öffnungszeiten unter www.nmn.de

 

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