Kultur

„Kommas schieben“ ist Glorias Job – dann greift sie zur Pistole. (Foto: Adrienne Meister)

27.10.2017

Amok im Haifischbecken

„Gloria“ am Münchner Residenztheater ist wie vom Blatt inszeniert

Zwischendurch kann man so was schon mal machen. Auch am Staatstheater, das eigentlich der avancierten Bühnenkunst verpflichtet ist. Letzterer darf man das Erfolgsstück Gloria nicht zuordnen, mit dem der junge US-Autor Branden Jacobs-Jenkins für den Pulitzer-Preis nominiert wurde und das jetzt am Residenztheater seine deutsche Erstaufführung erlebte. Die broadwaytypische Satire aus der Welt junger Medienknechte bleibt in ästhetischer Hinsicht konventionelles Kunsthandwerk, ein „Well-made-Play“, das auf klare Botschaften setzt, auf griffige Charaktere aus dem Musterbuch und auf Dialoge, bei denen man nicht weiß, ob die Figuren ungewollt reden wie in einer Vorabendserie, oder ob sie damit gewollt als entfremdete Persönlichkeitshülsen gezeichnet sein sollen. Bei solchem Bühnenfutter von der Stange kommt es nicht auf die Form an, sondern allein auf den Inhalt. Und der sieht so aus: Im Großraumbüro eines New Yorker Magazins sitzen lauter junge Assistenten, die überwiegend Assistentinnen sind und hysterisch ausflippen („oh mein Goooot“), wenn irgend ein Pop-Sternchen stirbt. Vor allem wollen sie aber Karriere machen und sehen sich daher als Konkurrenten, weshalb verdeckt wie offen gegiftet, intrigiert, gemobbt wird in diesem Haifischbecken, das für den Zuschauer einiges an boulevardesker Komik bereit hält. Wobei all diese Karrieristen, geimpft von Leistungsideologie, übersehen, dass sie sich abzappeln können, wie sie wollen, aber trotzdem nicht befördert werden. Weil ihre Karriere überhaupt nicht vorgesehen ist vom Geschäftsmodell des Magazins, das darauf beruht, seine Journalisten auf kostengünstigen Assistentenstellen auszubeuten. Und dann ist da noch Gloria (Lilith Häßle), die seit Jahren in der Schlussredaktion „Kommas verschieben“ darf. Dieses Hascherl dient als Sündenbock für all die Redaktions-Psychopathen und wird von ihnen als „Gefühlsterroristin“ geschnitten. Bis sie eines Tages mit der Pistole aufkreuzt und 28 Kollegen umnietet, von denen zehn nicht überleben. Woraufhin sofort das Fernsehen und Verlage auf der Matte stehen, um den Verschonten und Entkommenen dieses Amoklaufs saftige Honorare für die Vermarktung ihrer Traumata zu bieten.

Absurder Inhalt

Weil im Medienbetrieb auch der größte Schrecken nur Stoff für eine zu Herzen gehende Story ist. Aber das wusste man eigentlich schon seit der zahlreichen Melodramatisierungen des Holocaust. Das Paradox des Stücks besteht darin, dass es selbst nichts anderes tut, als uns Inhalte anzudrehen wie ein Gebrauchtwagenhändler, obwohl es doch gerade eine Medienindustrie kritisieren will, die nur an Inhalten, an sogenannter Contentverwertung, interessiert ist. Statt aber aus dieser Absurdität Funken zu schlagen, hat Amélie Niermeyer die Amok-Klamotte mit routiniertem psychologischem Realismus vom Blatt inszeniert, als sei das Residenztheater ein Broadway-Brettl. Und wenn da nicht Gunther Eckes sowie Bijan Zamani wären, würde man selbst den Schauspielern diesmal nicht anmerken, an welchem Haus hier gespielt wird. (Alexander Altmann)

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