Kultur

„Yung Faust“ als Hops- und Plansch-Projekt, mittendrin die famose Annette Paulmann. (Foto: Julian Baumann)

25.01.2019

"Bahn frei, Kartoffelbrei!"

„Yung Faust“ an den Münchner Kammerspielen zeigt überraschend produktive Verfremdungen des Goethe-Klassikers

Jetzt ist Faust fit for fun. Was man schon daran sieht, dass Julia Riedler, Annette Paulmann und Benjamin Radjaipur, die an diesem Abend alle irgendwie Faust sind, schick-hässliche Sportklamotten und stylische Turnschuhe tragen. Aber schließlich wird der bejahrte Stubengelehrte auch bei Goethe einer Verjüngungskur in der Hexenküche unterzogen, um anschließend allerhand Unfug zu treiben oder „mit diesem Trank im Leibe, bald Helenen in jedem Weibe“ zu sehen, wie es im Original etwas vornehmer heißt.

Im Jungbrunnen

Insofern ist es eine hübsche Idee, das Faust-Drama selbst mal versuchsweise in einen Jungbrunnen zu stecken, und der steht auch ganz leibhaftig auf der Bühne. In der Kammer 2 (Spielhalle) der Münchner Kammerspiele hat Bühnenbildner Sören Gerhardt eine sehr feuchte Hexenküche installiert: irgendwas zwischen Kita, Wellness-Lounge, Erlebnisbad und Muckibude. Neben dem riesigen Zimmerspringbrunnen, in dem die Akteure heftig herumpritscheln und gelegentlich nasse Küsse tauschen, gibt es noch zwei weitere Fontänen, die direkt und höchst effektvoll aus Bodenlöchern spritzen.

Außerdem agiert rechts vorne der Live-Musiker Johannes Rieder, der – warum auch immer – rundum mit Perücken behängt ist und den Abend in angenehm sahnigen Wohlfühl-Pop taucht.
Yung Faust heißt dieses Hops- und Plansch-Projekt, das Regisseurin Leonie Böhm auf die Bühne brachte. Wobei man allen, die ihren Faust nicht mehr ganz gegenwärtig haben, dennoch zur Beruhigung verraten darf: Die Worte „Bahn frei, Kartoffelbrei!“ stehen so nicht bei Goethe. Man kennt sie eher von Kindern beim Schlittenfahren oder Eisrutschen. Und in den Kammerspielen ist es jetzt die famose Annette Paulmann, die sich mit diesem Schlachtruf bäuchlings in eine Pfütze wirft, um ausgestreckt über den Bühnenboden zu schliddern.

Aber es ist völlig egal, was für einen Schmarrn diese Ausnahmeschauspielerin mitmacht, denn bei ihr wird doch immer packendes Theater draus. Gleich nach der Rutschpartie fällt sie nämlich in eine völlig andere Attitüde und bekennt: „Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.“ Das steht so nun sehr wohl bei Goethe, und indem diese Verse als Reaktion auf das infantile Geplansche daherkommen, offenbaren sie eine unerwartete tragikomische Dimension – was dem so oft gehörten Zitat tatsächlich eine Frische und Authentizität zurückgibt, wie man sie eben nur aus wirklichen Klassikern immer aufs Neue gewinnen kann.

Ekstatische Kinderparty

Solche Momente, wo der Kontrast zwischen Handlung und Text sehr produktive Verfremdungen zeitigt, gibt es überraschend viele in dieser einstündigen Spritztour durch ein Werk der Weltliteratur. Das Ergebnis ist eine Art ekstatischer Kindergeburtstag, dessen Bauprinzip darin besteht, dass aus beiden Teilen des Faust Textpuzzlesteine ausgewählt und neu zusammengewürfelt werden, die sich durch ein erhöhtes Affektpotenzial auszeichnen.

Schade nur, dass es zuweilen auch peinliche Szenen gibt, wo der freie Spieltrieb durch pädagogische Ambitionen ersetzt wird. Da merkt man den ranschmeißerischen Versuch, den „Kids“ Faust aufs Auge zu drücken, indem man sie abholt, wo sie vermeintlich stehen. (Alexander Altmann)

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