Kultur

Im goldenen Käfig geriert sich Adrian (Lukas Kientzler) als Alleinherrscher. (Foto: Günter Meier)

13.03.2020

Bildreiche Groteske

Das Stadttheater Fürth verbindet Bernard-Marie Koltès’ „Rückkehr in die Wüste“ mit aktueller Fremdenfeindlichkeit

Endzeitstimmung über der gigantisch großen, festungsartigen Hausfassade. Von fern klingt es nach Krieg: Man hört Gewehrsalven, Bombeneinschläge und Hubschrauberlärm, dazwischen weint ein Kind. Bedrohlich nah rückt in Bernard-Marie Koltès’ (1948 bis 1989) Rückkehr in die Wüste der Algerienkrieg in die französische Provinz. Der Zweite Weltkrieg ist eben überstanden, Algerien kämpft um seine Unabhängigkeit von Frankreich.

Im Stück, das Barish Karademir für das Stadttheater Fürth als bildreiche Groteske inszeniert hat, knirscht der Sand im familiären wie gesellschaftlichen Getriebe. Das Haus in der französischen Ödnis scheint hermetisch abgeschlossen, kein Licht dringt durch die Holzwand. Andreas Braun lässt in seinem Bühnenbild nur ein Geviert in der Mitte quasi als goldenen Familienkäfig frei, zu dem kreuzweise vier Tunnelgänge führen. Nur als Schatten ihrer selbst scheinen die Figuren mit ihren gespenstisch weißen Gesichtern hier zu hausen. Heimat und Wohlfühlort ist das nicht.

Rache statt Heimweh

Erzählt wird von Mathilde (Ulrike Fischer), der Tochter einer französischen Industriellenfamilie, die als junge Frau in den 1930er-Jahren ledig und schwanger von der Familie sowie der Gesellschaft intrigant verstoßen worden war. Nach 15 Jahren im algerischen Exil kehrt sie mit ihren Kindern Fatima (Kathrin Horodynski) und Edouard (Tristan Fabian) ins Elternhaus zurück. Nicht aus Heimweh, sondern rachsüchtig. Sehr zum Unmut ihres Bruders Adrian (Lukas Kientzler).

Dieser spielt sich als Alleinherrscher auf, hält als Familien-Tyrann seinen Sohn Mathieu (Marcel Hernsdorf), die trinksüchtige Ehefrau Marthe (Isabella Szendzielorz) sowie die Bediensteten Maame Queuleu (wunderbar exzentrisch Nicola Lembach) und Aziz (Zeynel Alkis) klein. Durch die Schwester sieht er sein elterliches Erbe bedroht.

Regisseur Barish Karademir versucht erst gar nicht, eine heile Familienidylle zu suggerieren. Er lässt in dieser streitsüchtigen Konstellation, die symptomatisch auch für die Zerrissenheit des Landes und seiner Strukturen stehen könnte, wortgewaltig die Messer an den diversen Kampfschauplätzen wetzen. Er zeichnet das Bild einer emotional wie moralisch degenerierten Gesellschaft.

Die Inszenierung rückt den Text ins Zentrum. Textmassen, die das Ensemble mit Bravour meistert, überschütten jedoch den Zuhörer. Das ist über eine Stückdauer von zweieinhalb Stunden anstrengend. Kürzungen hätten dem Text gutgetan. Der versteckte Wortwitz, mit dem Koltès die Düsternis à la Anton Tschechow immer wieder aufbricht, lässt dunkelschwarze Abgründe erahnen. Adrians Sohn möchte weg aus dem Klammergriff des Vaters, egal wohin, notfalls in den Krieg nach Algerien. Während Fatima hochtraumatisiert ist, schlägt sich Edouard durchs Leben.

Karademir lässt die Schauspieler und Schauspielerinnen mit hoher Dramatik agieren, immer mit einer Portion Verstohlenheit. Oben streitet die Familie, aus dem Dunkel des Untergrunds drängen Ratten in Maßanzügen, als machtgeile, intrigante und bigotte Vertreter der Reaktion ans Licht. Spätestens als im arabischen Café, in dem sich die beiden Söhne gerade erst noch verbotenerweise aufgehalten hatten, eine Bombe hochgeht, katapultiert Karademirs Inszenierung das Geschehen in die Gegenwart. Die Anschläge von Hanau, Bilder von Fremdenfeindlichkeit, Migration und Entwurzelung schwingen mit. Privates wird politisch, das Schicksal Algeriens und Frankreichs verwoben: ambitioniert, mutig, verstörend, bizarr – und dennoch unterhaltsam. Vor allem agiert das Ensemble ausdrucksstark. (Elke Walter)

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