Kultur

Die alternde Gräfin Báthory (Nicola Lembach) und ihr jugendlicher Liebhaber Akos (Frederik Bott) im Liebesrausch. (Foto: Marion Bührle)

23.12.2016

Blut statt Botox

Mysterien- oder Hysterienspiel? In dem Drama "Schönheit" am Staatstheater Nürnberg begeistert Nicola Lembach als Blutgräfin

Was haben Schneewittchen, Strindbergs Fräulein Julie, Bram Stokers Graf Dracula, Ingmar Bergmans Film Das Schweigen, Genets Die Zofen, Oscar Wildes Roman Das Bildnis des Dorian Gray und Pasolinis Film Salò oder die 120 Tage von Sodom gemeinsam? Selbst dem versiertesten Komparatisten wird auf diese Frage nicht so schnell eine Antwort einfallen – es sei denn, er kennt die junge, aus Georgien stammende, in Deutschland lebende Dramatikerin Nino Haratischwili (Jahrgang 1983) und ihr jüngstes Theaterstück Schönheit. Das bedient sich aus all diesen literarischen und filmischen Sujets und liefert eine theatrale Reader’s Digest-Fassung. Jetzt wurde diese Mixtur aus Mysterien- und Hysterienspiel am Staatstheater Nürnberg von Petra Luisa Meyer als schrille Groteske in Szene gesetzt. Es geht ums Altern und den vorwiegend weiblichen Wunsch, schön zu bleiben respektive wieder jung zu werden. Heute erfüllt Frau sich diesen Wunsch mit Botox, vor 500 Jahren mit Blut. Wie etwa, lange vor Graf Dracula, die ungarische Gräfin Báthory, die um 1560 ihre beiden Zofen tötete, um sich an deren jungfräulichem Blut zu laben und damit, ewig jung, ihren jugendlichen Liebhaber an sich zu fesseln.

Erotisch aufgetakelt

Auf der Bühne der Nürnberger Kammerspiele gelingt dieser Wandel der Gräfin nur bedingt. Aber wie die Schauspielerin Nicola Lembach als Gräfin Bárhory ihn vollführt und von der mit den Kiefern malmenden, grau-greisigen, schlaffbrüstigen Alten zur verführerischen, sexuell obsessiven und entsprechend erotisch aufgetakelten Dame im Negligé und Miederhöschen wird, rettet das die eher dünne dramatische Vorlage. Was man aber auch vom Bühnenbild (Stefan Brandtmayr) und den frivolen, ständig wechselnden Kostümierungen der Gräfin (Kostüme: Cornelia Kraske) sagen kann: ein schwüles Boudoir mit ausschweifender Sitzgarnitur für Liebes-, Domestizierungs- und Tötungsspiele, die sich vor einem riesigen Spiegel und einer spiegelnden Plastikfolienwand abspielen. Hinter der Folie tauchen die Zofen (Lilly Gropper und Bettina Langehein) sowie der Ratsherr (Stefan Lorch) gespenstisch verzerrt wie Chimären auf: ein Gruselkabinett des Mystischen, untermalt von sphärischen Klängen. Das passt zur floralen Wandgestaltung. Dafür hat die doppeltalentierte Schauspielerin Nicola Lembach riesige Blüten fleischfressender Pflanzen entworfen: ein bizarres Ambiente für ein gruseliges Geschehen, das auch mal in Veitstänzen und schriller Musik ausartet.

Hündisch unterwerfen

Wenn auch diese Effekte den dünnen, verquasten Text nicht mehr tragen, greift Petra Luisa Meyer in die Mottenkiste des zeitgenössischen Regietheaters. Die Gräfin mutiert zur Domina, ihr mittlerweile völlig nackter Liebhaber singt nicht nur in Höchsttonlage Arien, sondern muss in diversen Hunderassen – vom Schäferhund bis zum Pudel – bellen, auf allen Vieren ihr zu Füßen kriechen und sich in allerlei Unterwerfungsritualen verrenken. Was sich rächt, denn er entfleucht nach Budapest, wo er Frau und Kind hat sitzen lassen: Für deren Unterhalt verdingt er sich der reichen Gräfin als Festspielleiter für ein Wohltätigkeitsfest. Zurückgekehrt zur Blutgräfin geht es auch der zweiten Zofe an den Kragen, was insofern buchstäblich zu versehen ist, als die Leiche dann als Lampenständer dient, während die von Gesichten heimgesuchte Gräfin im Wahn endet – und damit eine horrorstrotzende Amour fou. Der lebhafte Beifall galt wohl weniger dem Stück als der einfallsreichen, wenn auch auf vordergründige Effekte setzenden Regie, bestimmt aber der grandiosen darstellerischen Leistung von Nicola Lembach, die auf der Nürnberger Bühne nur selten zeigen kann, welch große, wandlungsfähige Schauspielerin in ihr steckt. (Fridrich J. Bröder)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sind Zurückweisungen an den Grenzen sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.