Kultur

Charles Castronovo als Mario Cavaradossi und Eleonora Buratto als Tosca müssen gegen brachiales Getöse ansingen. (Foto: Wilfried Hösl)

24.05.2024

Buhrufe nach dem Bilderrausch

Regie, Gesang und Orchester enttäuschen in der neuen „Tosca“ an der Bayerischen Staatsoper

Das hat es an diesem Haus noch nicht gegeben. Schon als der erste Akt vorbei war, gab es Buhrufe. Sie betrafen nicht nur die Regie von Kornél Mundruczó, sondern auch das Dirigat von Andrea Battistoni. Tatsächlich war bei deer Premiere schnell klar: Aus dieser Tosca von Giacomo Puccini kann nichts werden.

Wenn aber selbst der Gesang und das sonst stilgerechte Bayerische Staatsorchester versagen, muss man sich ernsthafte Sorgen um die Bayerische Staatsoper machen. Da polterte es aus dem Orchestergraben irritierend brachial: völlig übersteuert die Dynamik, mancherorts im Zusammenspiel unüberhörbar konfus und unsauber. Einem differenzierten Farbzauber, den Puccini kreierte, samt konziser Klangdramaturgie und rauschhaften Melodien, lauschte man vergeblich.

Geschrei statt Gesang

Auch deswegen wurde nicht gesungen, sondern geschrien. Für Charles Castronovo als Mario Cavaradossi war das ein großes Problem. Sein heller, klarer Tenor passt an sich sehr gut zur Rolle. Er blieb jedoch zu schwach, um gegen das effektreiche Überwältigungsgetöse unter Battistoni bestehen zu können. Mit Opernverismus hatte das nichts gemein. Der 36-jährige Dirigent aus Italien bediente vielmehr übelste Puccini-Klischees und ließ keinerlei Gespür für den Gesang wahrnehmen.

Wie sehr sich eine differenzierte Ausbalancierung der Dynamik rar machte, zeigte sich vollends im zweiten Akt. In einer Szene singt die Titelheldin mit dem Chor aus dem Bühnen-Off, was im Zusammenklang mit dem Orchester im Graben gar nicht funktionierte. Solche handwerklichen Fehler haben an einem weltweit führenden Opernhaus nichts verloren.

Als Tosca musste sich auch Eleonora Buratto erst auf das brachiale Getöse einstellen. Die Arie „Vissi d’arte“ gelang ihr eindrücklich, blieb aber nicht lange im Gedächtnis – wie generell ihre Tosca. Wer sich stimmlich und darstellerisch einbrannte, war Ludovic Tézier als Bösewicht Scarpia. Bei Mundruczó ist er nicht ein tyrannischer Polizeichef, sondern gleicht in der Ausstattung der auch für die Bühne verantwortlichen Monika Pormale dem einstigen Ministerpräsidenten Italiens, Giulio Andreotti.

Das passt zu einer Regie, die die 1970er-Jahre in Italien hochleben lässt. In dieser Lesart dürfen die Filme von Pier Paolo Pasolini nicht fehlen. Gleich im ersten Akt werden Dreharbeiten zu dessen Skandalfilm Salò – Die 120 Tage von Sodom nachgespielt. Der Film ist eine Kritik rund um den letzten faschistischen Staat von Benito Mussolini in Salò am Gardasee. Das würde durchaus zum Kontext des tyrannischen Scarpia passen – aber hier wird nichts durchgeführt. Der ungarische Film- und Theaterregisseur Mundruczó stellt nur Assoziationen in den Raum. Aus dem flüchtigen Sträfling Angelotti (Milan Siljanov) wird ein Kämpfer der italienischen Linksterroristen „Brigate Rosse“ der 1970er-Jahre. Wie das alles zusammenpasst? Der Andreotti-Verschnitt von Scarpia verweist auf dessen dubiose Rolle: Bis heute werden Andreotti mafiöse Verbindungen nachgesagt, er soll zudem in den Fall Aldo Moro verwickelt sein, der 1978 von den Roten Brigaden entführt und ermordet worden war.

Das Blut spritzt reichlich

Mario wiederum wird bei Mundruczó zu Pasolini, aber jener war homosexuell – hier aber steht er auf die Sängerin Tosca. Das ist nur einer von vielen Denkfehlern. Selbst die Hinrichtungsszene von Mario wirkt angesichts einer stümperhaften Regieführung unfreiwillig komisch. Immerhin darf dieser Mario-Pasolini kurz vor seinem Ende noch Ausschnitte aus Meisterfilmen wie Mamma Roma mit Anna Magnani oder Medea mit Maria Callas bestaunen.

Sonst aber spritzt generell reichlich Theaterblut, und zu diesem Bilderrausch steuert Battistoni den Soundtrack bei. Diese Tosca-Premiere markiert in jeder Hinsicht einen absoluten Tiefpunkt in der Historie der Bayerischen Staatsoper: zum Fremdschämen. (Marco Frei)

 

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