Kultur

Eric und Toby (Thiemo Strutzenberger, Moritz von Treuenfels) hadern mit ihrer offenen Beziehung. (Foto: Sandra Then)

04.02.2022

Das furchtbar schöne Leben

Starke deutschsprachige Erstaufführung von „Das Vermächtnis“ in München

Das Stück könnte auch „Das Landhaus“ heißen. Auf einem solchen Gut bei New York pflegt ein Mann seit den 1980er-Jahren HIV-kranke Männer, bis sie sterben; er schenkt ihnen Würde. Am Ende ist die Asche von Aberhunderten in seinem Garten bestattet.

Der Mann heißt Walter. In Eric hat er einen Seelenverwandten. Wer beide zudem verbindet, ist Henry. Mit ihm ist Walter fast vier Jahrzehnte liiert. Nach Walters Tod beginnt der jüngere Eric eine Partnerschaft mit ihm. Dazwischen tobt sich das nackte Leben aus, mit allen Höhen und Tiefen. In dem Landhaus werden Schicksale zusammengeführt, gebündelt, auch entschieden.

Intensives, ehrliches Spiel

Darum geht es in dem mehrfach ausgezeichneten, 2018 uraufgeführten Stück Das Vermächtnis von Matthew Lopez. Die deutschsprachige Erstaufführung am Münchner Residenztheater hat Philipp Stölzl inszeniert. In seiner Regie wird deutlich, dass Das Vermächtnis keineswegs nur eine Aufarbeitung der Aids-Seuche ist. Es ist auch kein „Schwulen-Stück“ wie Brokeback Mountain ein „Homo-Film“ ist. Im Grunde ist es unerheblich, dass nur eine Frau und sonst nur schwule Männer im Zentrum der Handlung stehen.

Denn es geht um das große Ganze: das furchtbar schöne Leben. Alle sehnen sich vor allem nach Liebe, Geborgenheit, Verständnis. Das verdeutlicht nicht zuletzt das höchst sinnliche, überaus intensive, ehrliche Spiel des zwölfköpfigen Ensembles. Über mehr als sieben Stunden taucht man immer tiefer ein in Geschichte und Geschichten. Sie vereinen alles in sich: herzzerreißende Tragik und absurdeste Komik, Trauer und Wut, Pathos und Groteske.

Dafür steht gerade auch das Paar Eric und Toby, von Thiemo Strutzenberger und Moritz von Treuenfels bis ins kleinste Detail durchdrungen. Die offene Beziehung macht Eric mit, obwohl er nur Toby will und liebt. An Tobys Unverbindlichkeit verzweifelt er genauso wie Toby selber. In Tobys skrupellosem Verhalten spiegelt sich indessen seine tragische Biografie wider. Bevor Toby finale Konsequenzen zieht, droht er sogar den jungen Leo ins Verderben zu reißen. Diesen zerbrechlichen Stricher spielt Vincent zur Linden genauso glaubwürdig wie den stolzen Adam. Wie zur Linden von Rolle zu Rolle schlüpft, das ist große Schauspielkunst. Ab der nächsten Saison ist er fester Teil des Resi-Ensembles: ein toller Neuzugang.

Als eine Art älteres Pendant zu Eric und Toby lassen sich Walter (Michael Goldberg) und Henry (Oliver Stokowski) verstehen. Eric wird die hilfsbereite, fürsorgliche Mission von Walter fortsetzen. Goldberg spielt zugleich Morgan. Dahinter verbirgt sich der schwule Autor E. M. Forster; auf dessen Roman Howards End von 1910 fußt Das Vermächtnis.

Gleich zu Beginn regt Morgan junge Männer an, ihre eigenen Geschichten zu erzählen: aus dem schwulen Leben in den USA unter den Präsidentschaften von Barack Obama und Donald Trump. Ihr Narrativ knüpft an die 1980er- und 1990er-Jahre an, wofür wiederum die Lebensgeschichte von Walter und Henry steht.

Kurz vor Schluss hat schließlich auch sie ihren großen Auftritt: Nicole Heesters. Als Margaret erzählt sie, wie sie ihren schwulen Sohn verstößt, um ihn kurz vor seinem Tod im Landhaus von Walter wiederzusehen. Sie hält seine Hand. Es dauert eine lange Weile, bis er die Kraft findet, sie zu drücken. Seine Kraft lässt mehr und mehr nach, bis er in den Tod entschwindet. Wie Heesters diesen Monolog verlebendigt, ganz ohne Larmoyanz, das lässt die Zeit stillstehen. Dieses Vermächtnis ist ganz großes Theater. (Marco Frei)

 

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