Kultur

Zum 20-jährigen Bestehen inszeniert die Opera Incognita im Klinikum Großhadern Alceste. (Foto: dpa/SZ Photo/Johannes Simon)

05.09.2025

Das Krankenhaus wird zur Bühne

Die Opera Incognita führt immer wieder unbekannte Werke an unbekannten Orten auf – diesmal „Alceste“ im Münchner Uniklinikum Großhadern

Treppauf, treppab Absperrbänder, Menschen in Theaterklamotten und Leute im Rollstuhl, der Herzog von Bayern, ein Publikum, das sich von Salzburg und Bayreuth erzählt und jetzt zu Andreas Wiedermann strömt. Der hat schon viele opernreife Locations für seine Off-Season von Opera Incognita gesucht und gefunden. Selten aber eine so stimmige und mit der Geschichte einer Oper so kongruente wie das Casino des Klinikums Großhadern in München und für Christoph Willibald Glucks Alceste: dem Stück von Königsthron, Gattenliebe, göttlichem Schicksalsspruch – einer der bedeutendsten Stoffe der griechischen Mythologie und Literatur (Euripides), der Opernliteratur des 18. Jahrhunderts und von Glucks Opernreform.

Das Casino wurde extra ausgeräumt

Es ist die Geschichte von König Admetos und seiner Gemahlin Alceste. Gluck hat sie in zwei Fassungen vertont, in München inszeniert Wiedermann jetzt die französische (Uraufführung 1776 in Paris) mit dem glücklichen Ende, bei dem er sich einen grausamen Scherz nicht verkneifen kann: am Ende von drei Stunden dramatischer Wucht und bewegender Emotionalität.
Als Patient kennt man das Casino in der Regel nicht, die generöse Krankenhausleitung hat es für Wiedermanns Opernpläne ausräumen und herrichten lassen: viel Platz für eine lange Festtafel, ein feierndes Königspaar, die Herzattacke des Königs, fliegende Arztkittel und viel Notfallequipment.

Die Ouvertüre, unverkennbar im französischen Ton, ist kaum vorbei, da jammert das feiernde Volk von Pherai schon um seinen König, verkündet („Écoutez!“) der Oberpriester und Chefarzt (vielseitig: Manuel Kundinger) die Todesdiagnose: Den göttlich-medizinischen Schicksalsspruch hat er per Handy bekommen. Da breiten sich tragische Schatten über die ganze Bühnenbreite aus, das Orchester der Opera Incognita unter Ernst Bartmann ist bemüht, die Tragweite des Unglücks zu vermitteln.

20 Jahre arbeiten Wiedermann und Bartmann nun schon bei ihren extravaganten Projekten zusammen: bei Mozart im Zirkus, Monteverdi im Schwimmbad oder Wagner im Hörsaal. Und wer kann sich im Orchester auf sehr schön ausdrucksvoll intonierende Holzbläser (Oboe, Fagott) verlassen, auf einen sehr zeitgemäßen Gesamtklang und über die Weiten des Casinos hin auf eine zuverlässige Monitor-Verständigung.

Dass die Götter (oder Chefärzte) ein Opfer für den (fast) schon toten König verlangen und Alceste sich dafür hergibt, dass Admetos es nicht annehmen will, führt dazu, dass beide schließlich unentschlossen am Ufer des Styx zur Unterwelt stehen, zusammen im Totenbett liegen.

Das alles ist in den vielen Stockwerken des modernen Klinikums (dem zweitgrößten der Republik) nachvollziehbar. In Operationssälen, Patientenzimmern erster und zweiter Klasse, beim MRT: Auch da geht es täglich um die Entscheidung der anonym bleibenden Götter, eines christlichen Gottes, eines unbekannten Schicksals aus dem Horoskop. „Oh Gott, was soll aus uns werden“, singt Alceste verzweifelt. Carolin Ritter beklagt zu den Klängen der Barockoboe, des klagenden Fagotts ihr „übermächtiges Unglück“, auch dass Admetos (mit etwas ruppigem Tenor: Algin Özcan) ihr Opfer nicht annehmen will.

Andreas Wiedermann lässt das alles schlicht und in angemessener vokaler wie gestischer Verzweiflung spielen, bemüht in Maßen die moderne Klinikausstattung, lässt Glucks rezitativisch-ariosen, den damals ganz neuen Stil bewegend wirken. Carolin Ritter wächst dabei zur hinreißenden Opernheroine heran, zur Vorgängerin einer Leonore oder Senta, bemüht sich um diesen Gipfel der Opernreform in Glucks wichtigstem Stück.

Opferbereitschaft auf allen Seiten, auf der Bühne manchmal auch mit einer Spur von Klinik-Kasperei, in der Pause die direkte Verbindung von Oper und Realität mit der Aufforderung, sich für einen Stammzellentest zu melden – die Rettung kommt denn doch durch Herkules: fröhlich hereinplatzend, ein Businessman mit mächtig dröhnendem Bass (Robson Bueno Tavares), ein alter Kumpel des Königs mit den Taschen voll von Reklameflyern. Mit ihm geht es hinab in die Unterwelt voll von dürrem Gestrüpp (Bühnenbild: Aylin Kaip), zu den humpelnden Patienten der orthopädischen Klinik.

Schier grenzenloser Jubel des Publikums

Es liegt an Gluck und dem langatmigen Libretto von Calzabigi, bis endlich „der Sohn des Jupiters den Hades besiegt“: im Klinikum Großhadern mit einem neuen Medikament. Da hält das gerettete Paar das Werbeplakat von „Styx Pharma“ glücklich hoch, alle Patienten werden gesund, die Familien sind vereint: „We save lifes and souls“, die Königskinder fahren Rollstuhl.

Aber Alceste bricht wie einst ihr Mann über der neuen Festtafel zusammen – nur ein Witz. Aber offenbar hat ihr die ganze Geschichte doch zu denken gegeben – nicht nur dem grenzenlos jubelnden Publikum. Weitere Aufführungen finden am 5., 6., 13. September statt. (Uwe Mitsching)
 

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