Kultur

Großartige Schauspielkunst wird beim neuen Theaterstück Kafkas Erzählungen am ETA Hoffmann Theater geboten. (Foto: ETA Hoffmann Theater/Marian Lenhard)

26.09.2025

Bedrohlicher Übervater

Das Bamberger ETA Hoffmann Theater wagt sich an eine Bühnenfassung von „Kafkas Erzählungen“

„Noch nach Jahren litt ich unter der quälenden Vorstellung, dass der riesige Mann, mein Vater, die letzte Instanz, fast ohne Grund kommen und mich in der Nacht aus dem Bett auf die Pawlatsche tragen konnte und dass ich also ein solches Nichts für ihn war.“ Dieses berühmte „Pawlatsche-Erlebnis“ aus seiner Kindheit hielt der erwachsene Franz Kafka in einem langen Brief dem Vater vor, den er jedoch nie abschickte.

Eine Pawlatsche ist der offene, zugige Vorplatz vor der Haustür von Prager Wohnanlagen, auf den der Vater den kleinen Franz ausgesetzt hatte, weil der nicht schlafen wollte und fortwährend nach Wasser quengelte. 

Solcherlei Szenen aus dem Brief sowie aus weiteren Erzählungen Franz Kafkas kompilierte der Regisseur Jasper Brandis sehr gekonnt am Bamberger ETA Hoffmann Theater zu einem schlaglichtartigen Einblick in das Werk eines der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Für das weinende Kind benutzten die bisweilen pantomimisch agierenden Schauspielerinnen und Schauspieler eine Puppe, die sie aus Stoff gefaltet hatten – eine gelungene und sehr tiefsinnige Regie-Idee!

Überwindung des Vaters gelingt nicht

Dass nicht nur Kinder oder Einzelmenschen, sondern auch ganze Völker gegenwärtig langsam zu Puppen beziehungsweise Marionetten von immer autokratischer herrschenden Männern zu werden drohen, die sich für „die letzte Instanz“, ja für Götter halten, stand plötzlich vor Augen. 

Nach der bekannten Theorie des österreichisch-US-amerikanischen Psychologen Heinz Kohut führt dieses klassische, schon in der Antike bekannte Bild des Vaters als letzte Instanz bei den Söhnen zur Krankheit des Narzissmus, die am besten durch Kreativität zu heilen ist – wenn sie nicht den rituellen Vatermord à la Ödipus begehen wollen.

Bei Kafka gelingt diese Überwindung des Vaters nicht und seine männlichen Figuren scheitern bis zu einem demütigenden Tod. In der Erzählung Die Verwandlung bäumt sich der Sohn noch auf zu einem Affront gegenüber dem Vater und der ganzen Familie, indem er sich in einen Käfer verwandelt, ein ekelhaftes Insekt, das am Ende beschämend zugrunde geht – zugleich eindrucksvoll und beklemmend verkörpert von Laura Röseler. 

Bekanntlich war der Brief an den Vater die Vorlage Kafkas für seine Erzählung Das Urteil. Sie ist ein Schlüsselwerk des Prager Schriftstellers zu seinem Hauptthema Schuld und enthält zahlreiche Dialoge. Diese wurden im neuen Theaterstück Kafkas Erzählungen an einem Höhepunkt des Abends geschickt genutzt, um die Vorlage beinahe zu einer klassischen – wenn auch zeitweise unterbrochenen – Tragödie zu gestalten. Es entspann sich ein Konflikt, in dem Vater und Sohn, wiederum sehr aktuell, über Wahrheit und Wirklichkeit von Briefbotschaften stritten.

Am Ende: ein unwiderrufliches, katastrophales Urteil, das den Menschen heute hoffentlich erspart bleibt. Als Trost in diesen beängstigenden Zeiten bleibt die Kreativität, die großartige Schauspielkunst eines Stephan Ullrich oder Leon Tölle. (Andreas Reuss)
 

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