Kultur

Ausschnitt aus Kevin Fletchers „Port Cluion Marine Scrapyard“ (2004). (Fotos Martin von Wagner Museum)

13.12.2019

Der Charme des Morbiden

Im Würzburger Martin von Wagner Museum treffen barocke und zeitgenössische Grafiken aufeinander

Ruinen haben etwas Faszinierendes: Sie sind Zeugnisse menschlichen Schöpfergeists und gleichzeitig der Vergänglichkeit, von Melancholie getragen. Dem spürt die Ausstellung Reiz der Ruine des in der Würzburger Residenz beheimateten Martin von Wagner Museums nach, und zwar mit Werken des Barockmeisters Giovanni Battista Piranesi (1720 bis 1778) und der zeitgenössischen Grafiker Robert Reiter (1932 geboren) und Kevin Fletcher (1956 geboren).

Die äußerst interessant kuratierte Präsentation ist eine passende Installation in Bezug zur Würzburger Residenz mit ihren Bögen, Treppen und Balustraden. Sie erinnert somit auch an das 300-jährige Jubiläum des Balthasar-Neumann-Baus, an seine Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und an das Wiederauferstehen aus seinem ruinösen Zustand.

Fotografen in der Frühzeit des Mediums verewigten ebenso wie schon barocke Grafiker gerne antike Ruinen in Bildern, fasziniert von der vergangenen Baukunst, deren Größe und bewundernswerte Großartigkeit, vom Geist, der dies hervorgebracht hatte, von der Natur, welche die Ruinen bald überwuchert hatte, und im demütigen Respekt vor der monumentalen Wirkung, wenn Menschen geradezu winzig im Vergleich zu den erhaltenen Gebäudefragmenten dargestellt werden.

Diesen Effekt hat Piranesi dadurch verstärkt, dass er die Überreste von Thermen, Aquädukten, Triumphbögen, Grabmälern, Tempeln, den Carceri (Kerker) oder anderen römischen Bauten meist in extremer Untersicht zeigte. Durch die darin und darauf sich ausbreitenden Gewächse, die gebrochenen und umgestürzten Architekturteile, die klaffenden Bögen und Fenster mit Durchblicken in weitere ruinöse Situationen, die dunklen, schwarzen Zonen und den Lichteinfall auf Staffage-Szenerien mit kleinen Menschen erhalten Piranesis meisterhafte Radierungen eine geradezu magische, geheimnisvolle Aura.

Fast etwas gruselig wirken Piranesis Carceri-Blätter. Auf ihnen erscheint die Innenansicht des Kerkers gespenstisch undurchschaubar: Man sieht vielerlei Treppen ins Nirgendwo, hohe gewölbte Decken, Balustraden, kaum erkennbare Dekorationsteile, Bogendurchgänge, Balkenkonstruktionen, Brücken, Leitern, Gitter, Ketten, Seilwinden und schlaff herabhängende Seile, Rauch und Silhouetten menschlicher Schatten.

Piranesi beweist sich in der genauen Detailzeichnung etwa der Steinstruktur oder von Wolken als Meister allerfeinster Radierkunst. Seine Carceri sind mit den gehäuften architektonischen Elementen und zahlreichen Einzelheiten sicherlich erfundene Raumkompositionen; sie zeigen bei manchen Strichlagen aber auch oft einen skizzenhaften Duktus. Das lässt ein wenig an Tiepolo denken; Piranesi war wohl Mitarbeiter in dessen Werkstatt in Venedig. Ebenso erweisen sich Piranesis antike römische Ruinenveduten im Grund als meisterlich inszenierte Ansichten von Architekturfragmenten mit äußerst morbidem Reiz – so bei der Serapion-Ruine in Tivoli, bei der die riesigen Trümmer der halb eingestürzten Kuppel vorne den Rahmen bilden zu den sternförmigen Bögen der Kuppelreste; der Lichteinfall lenkt den Blick auf drei Figuren im hellen Zentrum.

Lebendiger Kontrast

Eine ähnliche Funktion hat die Gestalt im Gegenlicht auf einer Abbruchkante des Titusbogens; sie verbindet szenisch die zwei Bildhälften, weist auf das Eingangstor zu den Farnesischen Gärten hin. Auch beim Grabmal der Cecilia Metella bieten Hirten, Ziegen und Ruinenforscher einen lebendigen Kontrast zu den steinernen Bögen und den Überresten des Kastells.

Die scheinbaren Gegensätze des Alltäglichen und Monumentalen verleihen den Radierungen etwas Erhabenes, Überzeitliches, den Menschen Überragendes – so bei der Vogelschau auf die Caracalla-Thermen oder der weit nach hinten reichenden Perspektive des Aquädukts.

Dass Kurator Markus Maier den Blick gleich auf die sehr vergrößerte Ansicht des Tempio della Tosse an der Stirnwand des Ausstellungsraums lenkt, ist geschickte Inszenierung. So erlebt man die modernen Grafiken an den Seiten als neue Parallelen zu Piranesi.

Robert Reiter hat mit dürren Strichen auf Kaltnadel-Radierungen mit monotypischer Einfärbung, inspiriert von Eindrücken in Rom, ebenfalls Ruinenräume geschaffen. Doch bei ihm sind es keine detailverhafteten Abbildungen, sondern Nachempfindungen der Raumwirkung etwa von den Caracalla-Thermen, des Kolosseums oder der Kuppel des Petersdoms, von Säulen, von Architekturteilen.
Der Künstler schenkte die Blätter dem Museum. Ein Kollege Reiters, Kunstprofessor Kevin Fletcher aus Santa Rosa in Kalifornien, sah sie, war von den Grafiken begeistert, suchte den Kontakt und schenkte dem Museum ebenfalls eine Reihe seiner Monotypien. Sie weisen in der starken Schwarz-Weiß-Ausrichtung, den irgendwie sichtbaren, aber scheinbar funktionslos gewordenen Balken und Masten, den zersplitterten Hölzern, den ungeordnet wirr herunterhängenden Seilen mit dem Ausblick in eine leere, helle, verwischte Ferne eine innere Verwandtschaft zu Piranesis Carceri-Blättern auf. Das scheinbar unbrauchbar Gewordene fügt sich bestens zu Piranesis Ruinen-Phantasien. (Renate Freyeisen)

Abbildung: Giovanni Battista Piranesi, „Das Neronische Aquädukt“ (1773/1778).

Information: Bis 2. Februar. Martin von Wagner Museum, Residenz/Südflügel, 97070 Würzburg. Di./Mi. 10-13.30 Uhr, Do./So. 10-17 Uhr.

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