Kultur

Erotisch aufgeladen ist Francesco Cairos Gemälde "Entrückung der hl. Maria Magdalena" (um 1650). (Foto: Collezione Gastaldi Rotelli/Diego Brambilla, Mailand)

26.05.2023

Die Kirche und der Sex

Das Diözesanmuseum Freising zeigt in der hochkarätig bestückten Sonderschau „Verdammte Lust!“ den künstlerischen Blick auf den Körper

Konfliktscheu ist man nicht im Diözesanmuseum Freising mit der Sonderschau Verdammte Lust! Kirche, Körper, Kunst, die lobenswerterweise bis Anfang Juli verlängert wurde. Provozierend sind nicht nur der reißerische Titel und ihr fulminanter Schlussakt mit der Leonardo da Vinci zugeschriebenen Kohlehandzeichnung eines Fleischgewordenen Engels, der sowohl sein erigiertes Glied als auch den Ansatz eines Busens zur Schau stellt, während er mit erhobenem rechten Zeigefinger verheißungsvoll gen Himmel weist. Im Zeitalter, in dem die Trennlinie von Geschlecht und sexueller Orientierung Unschärfe zeigt, beflügelt Leonardos mehr als 500 Jahre altes Spätwerk die aktuelle Gender-Debatte. Aber haben Engel überhaupt ein Geschlecht? Oder handelt es sich hier doch eher um die Darstellung eines Hermaphroditen?

Die Ausstellung zeigt einen mutigen und neuen Blick auf den Menschen und seinen Körper im Kontext von Sexualität, Kirche und Kunst der letzten 2000 Jahre: ein Paradigmenwechsel innerhalb der römisch-katholischen Kirche, der staunen lässt. Das Bekanntwerden von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche hat nicht nur die rigide Sexualmoral infrage gestellt, sondern auch zum Verlust an Glaubwürdigkeit der Institution Kirche geführt. Mut ist nötig, um gegen Verdrängung und Doppelmoral anzukämpfen.

„Sexualität ist eine Gabe Gottes, die gestaltet sein will, damit sie dem Menschen und der Liebe dient“, so der Schirmherr der Ausstellung, der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx. Der Münchner Oberhirte will zur Auseinandersetzung mit der Frage anregen, „ob diese Gabe Gottes, dieser Raum, der uns geschenkt ist durch die Schöpfung, kreativ, lebensdienlich entfaltet wird, oder zu einer toxischen Wirklichkeit erklärt wird, wo man eigentlich nur noch Fehler machen kann“. Marx räumt ein, dass diese Frage „durch die Geschichte der Kirche hindurch nicht immer gut gelöst“ worden sei und die katholische Lehre über die Sexualität „auch ein katholisches Trauma“ darstelle. Marx hatte 2018 gemeinsam mit dem damaligen Generalvikar Peter Beer die nun präsentierte Themenausstellung angeregt.

Ekstase im Tod

Sex gehört zur menschlichen Existenz seit Anbeginn der Menschheit. Auch wenn einer der berühmten Kirchenväter und Spaßverderber, Augustinus, prüde dagegen wetterte. Der einflussreiche Patriarch, der in seiner Jugendzeit nichts anbrennen ließ und mit 18 Jahren bereits Vater – ohne Trauschein – war, wusste, wovon er sprach. Viele Heilige, darunter Märtyrerinnen und Märtyrer mit Kernkompetenzen in Askese, Bußfertigkeit, Keuschheit, Kontemplation, Leidensfähigkeit und Opferbereitschaft, gelangten zur Ekstase respektive Gottesschau im Moment ihres Todes.

Meisterhaft und mit viel Pathos dargestellt hat das Guido Reni in seinem ikonischen Gemälde des mit Pfeilen durchbohrten, erotisch aufgeladenen Heiligen Sebastian. Dank göttlicher Gnade vom Makel der Erbsünde befreit schreitet Maria, die Gottesmutter und neue Eva, mit unübertroffener Eleganz und Leichtigkeit, die der Handschrift des Rokokobildhauers Ignaz Günther eigen ist, als „Immaculata“ triumphierend über die Schlange des Paradieses hinweg. Ihre Unbeflecktheit wurde aber erst im Jahre 1854 als Dogma festgeschrieben. Ihren gekreuzigten Sohn Christus, den neuen Adam, präsentiert Michelangelo in einer kleinen Holzskulptur am Ende des 15. Jahrhunderts nach dem Vorbild antiker Götter vollkommen nackt und frei von Scham. In nicht weniger idealisierter Ebenmäßigkeit und makelloser Schönheit entstand 100 Jahre später der Bronzekruzifixus des Florentiner Künstlers und Manieristen Giambologna; wie Verfärbungen am Artefakt zeigen, wurde der Corpus Christi ehemals mit einem Lendentuch aus Metall schamhaft bekleidet.

Bei Darstellungen menschlicher Sexualität waren die Künstler, die das Massenmedium der Reproduktion für sich entdeckten, im Vorteil. Im kleinen und leicht zu verbergenden Format des Kupferstichs eröffneten sich Künstlern, wie beispielsweise dem Nürnberger Sebald Beham, mit schlüpfrigen und unverhüllten Erotica unter dem Deckmantel der Vanitas-Darstellung (vermutlich ertragreiche) Vermarktungsmöglichkeiten. Ironie der Geschichte: Behams nur wenige Zentimeter kleines, pornografisch zu deutendes Blatt von 1529 zum Thema käufliche Liebe – auf dem eine Frau ihren Begleiter unverblümt am Genital packt, der wiederum ihr in den Schritt greift – lässt sich auch als Kritik an der neu aufkeimenden Geldwirtschaft lesen, denn dicht hinter dem Mann stehen ein Kind, das in einen prallen gefüllten Geldsack greift, und der Tod mit erigiertem Penis.

Hochkarätige Exponate

Von früher Kapitalismuskritik, Prostitution, ungleichen Paaren und asymmetrischen Geschlechterverhältnissen, Misogynie, Homosexualität, Sodomie, Sadomasochismus bis hin zu Zoophilie und Zölibat wird in dieser Schau vieles verhandelt, was zeitlos und zugleich tagesaktuell ist. Man folgt biblischen Erzählsträngen, christlichen Heiligenlegenden und ikonografischen Mustern erlernter Wahrnehmung.

Ausgestattet ist die Ausstellung mit rund 160 hochkarätigen Exponaten, ein Drittel davon sind internationale Leihgaben. Man begegnet großen Künstlernamen wie Tintoretto, Ribera, Cranach, Memling, Dürer und vielen mehr. Im Fokus steht der menschliche Körper aus unterschiedlichen Blickwinkeln: schamlos (Adam und Eva im Paradies), sündig (das erste Menschenpaar nach dem Sündenfall), sinnlich (göttlich schlummernde Venus und bogenschießender Amor), rein (Maria Magdalena mit kompletter Körperbehaarung beim Chorgebet), verboten (im Turm eingesperrte hl. Barbara), erlaubt (römisches Ehepaar aus Pompeji) oder verletzt (hl. Agatha, der wegen ihrer Keuschheit und Standfestigkeit im Glauben die Brüste amputiert werden).

Wie eng Kunst und Leben verknüpft sein können, zeigt das Beispiel der in dieser Schau einzigen Künstlerin Artemisia Gentileschi. Ihre alttestamentarische Darstellung Susanna und die beiden Alten thematisiert lange vor der MeToo-Debatte Machtmissbrauch und sexuelle Nötigung. Das Thema wurde nicht zuletzt künstlerisch aufgegriffen, um weibliche Nacktheit für eine männliche Auftraggeberschaft voyeuristisch in Szene zu setzen. Die Malerin wurde selbst Opfer sexueller Gewalt, was zu ihren späteren drastischen Judith-Darstellungen geführt haben soll. In ihren Gemälden hat die biblische Heldin mit Inbrunst Holofernes den Kopf abgeschlagen. (Angelika Irgens-Defregger)

Information: Bis 2. Juli. Diözesanmuseum, Domberg 21, 85354 Freising.

 

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