Das größte erhaltene Ensemble an nationalsozialistischer Architektur befindet sich auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg; dort, wo alljährlich Hitler Heerschau hielt und dem deutschen Volk und der ganzen Welt Macht und Anspruch des Dritten Reichs demonstrierte. Von 1933 bis 1938 fand diese größte Propagandaveranstaltung des NS-Staats in Nürnberg, in der „Stadt der Reichsparteitage“ statt, wo 1935 auf dem „Reichsparteitag der Freiheit“ die „Nürnberger Rassegesetze zum Schutze des deutschen Blutes und der deutsche Ehre“ verkündet wurden, die die Verfolgung und Vernichtung der deutschen und der europäischen Juden „legalisierten“.
Wohl nicht zufällig wurden dann allerdings in der „Stadt der Reichsparteitage“ von 1945 bis 1947 die „Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse“ abgehalten, bei denen die vier alliierten Siegermächte über die Hauptkriegsverbrecher der NS-Diktatur zu Gericht saßen. Damit trägt Nürnberg bis heute an seinem ebenso belastenden wie entlastenden geschichtlichen Erbe schwer.
70 Jahre nach dem Krieg ist das Reichsparteitagsgelände mit seinen monströsen, zentralen Anlagen – der Zeppelintribüne mit der „Führer-Kanzel“ und dem „Goldenen Saal“, der Kongresshalle, der Großen Straße – drauf und dran zu verfallen. Und die Stadt Nürnberg und mit ihr der Freistaat Bayern und die Bundesrepublik stehen vor der Frage, das gesamte Gelände für (derzeit) geschätzte 70 Millionen Euro zu sanieren oder buchstäblich zur Ruine werden und Gras über die verhängnisvolle Geschichte wachsen zu lassen; was in aller Welt wohl als der Versuch Deutschlands verstanden würde, einen Schlussstrich unter diese unselige Vergangenheit zu ziehen. In Nürnberg geht es also nicht um Vergangenheitsbewältigung, sondern um die Vergegenwärtigung des Vergangenen.
Mittlerweile hat der Nürnberger Stadtrat beschlossen, vor allem die baufällige und in Teilen bereits gesperrte Zeppelintribüne zu erhalten und wieder zugänglich zu machen und das gesamte Areal in das bereits 2001 in der Kongresshalle eröffnete „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ einzubinden. Einen Masterplan dafür gibt es bislang nicht. Deswegen lud die Stadt Nürnberg jetzt zu einem zweitägigen Symposium ein, in dem es um diese „Verpflichtende Vergangenheit“ und um die Frage ging: „Erhalten! Wozu? – Perspektiven für Zeppelintribüne, Zeppelinfeld und das ehemalige Reichsparteitagsgelände“.
Mit dem radikalsten Vorschlag wartete Winfried Nerdinger, Direktor des neuen NS-Dokumentationszentrums München, auf. Er sieht in der Entrümpelung des gesamten Geländes, dessen Sichtachsen durch Bäume und zahlreiche Einbauten kaum mehr wahrzunehmen sind, die Chance, Besuchern und vor allem künftigen Generationen die ungeheuren Dimensionen dieses Aufmarsch- und Demonstrationsgeländes anschaulich zu machen und damit buchstäblich Einsichten in die Ideologie des Nationalsozialismus zu vermitteln. Womit sich auch Events wie das Noris-Ring-Auto-Rennen vor der Kulisse der Zeppelintribüne oder Massenspektakel wie „Rock im Park“ verböten, die das „Reichsparteitagsgelände zum Rummelplatz“ machen, wo doch ein „lautes Schweigen“ eher angebracht wäre. Ins gleiche Horn, wenn auch nicht so lautstark, stieß Mathias Pfeil, der Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, der allerdings temporäre kommerzielle Veranstaltungen nicht ausschließt.
Zum musealen
Mahnmahl machen
Die konträren Positionen zu dieser puristischen Perspektive, die auf die Authentizität des Geländes setzt und es in die vielzitierte Erinnerungs- und Aufklärungskultur einordnen möchte, nahmen die Befürworter ein, die die NS-Architektur und ihr steingewordenes Pathos gleichsam „brechen“ wollen. Danach nehmen Bürger der modernen Zivilgesellschaft das Gelände in Beschlag, besetzen gleichsam die „braune Vergangenheit“, wenn sie dort der Freizeit und dem Sport, der Musik und der Unterhaltung Raum geben. Womit natürlich die NS-Geschichte instrumentalisiert und kommerzialisiert werden kann und die NS-Architektur zur spektakulären „Kulisse“ wird. Oder gar hinter dem „Feiertagsgesicht“ des historischen Orts verschwindet.
Ähnlich zwiespältig wurden die Ideen für „Kunst und Kultur“ aufgenommen, für die man das Gelände nutzen könnte. Es mit künstlerischen Interventionen und Installationen zu überziehen, es zur Spielwiese für mehr oder weniger passende Kunstwerke oder Aktionen zu machen, birgt die Gefahr, diesen durch die NS-Vergangenheit historisch und ideologisch aufgeladenen Ort zu trivialisieren. Ihn andererseits zum Denkmal, zum musealen Mahnmal zu machen, kann auch bedeuten, ihn zu mystifizieren und einen neuen NS-Mythos zu schaffen, der nur allzu leicht missverstanden werden könnte: Die besondere Aura böte dann dem Rechtsradikalismus und Antisemitismus, gar einem NS-Okkultismus einen willkommenen Identifikationsort.
Auf viel Konsens stießen Vorschläge, die keine endgültigen Lösungen vorsehen, sondern die Gestaltung als Prozess, als Work-in-Progress sehen und auf „temporäre Projekte“ setzen. Denn sie konfrontieren jüngere Generationen nicht mit etwas Fertigem, Endgültigem, also mit dem „Ewigkeitswert eines Denkmals“, an dem nicht mehr zu rütteln ist. Denn jede Generation, so der Tenor, habe das Recht und auch die Pflicht, sich neu zur Vergangenheit und zur Geschichte zu verhalten, sich also ihre „Geschichte auch neu und anders zu schreiben“.
Kuriose Idee: Touristen
1000 Hämmer anbieten
Ob das auch die kuriose (Kunst)Idee einschließt, den Besuchern und Touristen 1000 Hämmer anzubieten, um damit die gewaltige Bausubstanz, die vom 1000-jährigen Nazi-Reich überkommen ist, im Laufe der Zeit – wie die „Mauerspechte“ an der Berliner Mauer vor 25 Jahren – Stein für Stein abzutragen, sei dahingestellt. Es wäre ein künstlerisches Konzept, das wohl selbst auf 1000 Jahre angelegt wäre.
In jedem Fall ist die Gestaltung des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg für die Nürnberger Kommunalpolitiker, die darüber zu befinden haben, ein riskanter Balance-Akt. Oberbürgermeister Ulrich Maly mahnte dafür denn auch Augenmaß und Ausgewogenheit an, wenn auf diesem singulären historischen Ort der Dreischritt gelingen soll: Informieren – Dokumentieren – Konfrontieren! (
Fridrich J. Bröder)
(Die Sanierung würde mindestens 70 Millionen Euro kosten - Foto: DPA)
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