Kultur

Szene aus "Kassandra oder Die Welt als Ende der Vorstellung" mit Massiamy Diaby, Delschad Numan Khorschid, Noah Saavedra und Yodit Tarikwa. (Foto: Birgit Hupfeld)

24.12.2019

Doppelt überfordert

Peter Kastenmüllers Doppelpremiere "Kassandra/Prometheus. Recht auf Welt" am Münchner Marstalltheater

Das Beste sind die Titel: Kassandra oder Die Welt als Ende der Vorstellung heißt das eine Stück von Kevin Rittberger, das im Münchner Marstalltheater Premiere hatte. Das zweite, das sich unmittelbar nach der Pause anschließt, trägt den Titel Prometheus. Wir Anfänge (wobei „Wir Anfänge“ ein Zitat von Hannah Arendt ist). Aber auch sonst bleiben hauptsächlich ein paar Sätze in Erinnerung von diesem Doppeldrama: „Zeus, bereu‘s!“ heißt es da einmal, und richtig aphoristisch wirkt eine Aussage, über die sich trefflich nachdenken und streiten lässt: „Sich der Sache hingeben heißt, die Abbildung zu verweigern.“

Die Aufführung selbst setzt hingegen auf Abbildung in jeder möglichen Form. Sie versucht, das unsägliche Leid abzubilden, das viele Flüchtlinge während der oft jahrelangen Flucht erleben - und die geradezu bizarre Situation, wenn diese Menschen, die durch sämtliche Höllen gegangen sind, auf die hiesige Bürokratie treffen.

Wer all das wissen will, wusste es freilich lang vorher schon, und die anderen sitzen sowieso nicht im Theater. Wenn das Stück also als politische Aufklärung gedacht sein sollte, rennt es natürlich offene Türen ein, ohne etwas Neues zu bieten.

Weil das nun doch allzu wohlfeil wäre, packt Regisseur Peter Kastenmüller - gewollt oder ungewollt - den Stier bei den Hörnern und bettet die bedrückenden Fluchtgeschichten ein in ein Dauerbombardement aus Reizen, Sinneseindrücken, Berichten - kurz: Er macht sie zum Bestandteil dessen, was man gemeinhin Informations-Overkill nennt.

Durch diese gewaltige Masse an Input, die uns heute aus allen Kanälen überflutet, wird selbst ein erschütterndes Menschenschicksal in all seiner Authentizität tendenziell beliebig und zum Betroffenheits-Futter entwertet.

Indem Kastenmüller den Abend als rasende, blinkende, rauschende Multimedia-Show gestaltet, zeigt er unsere doppelte Überforderung. überfordert ist einmal unser Wahrnehmungsvermögen, das irgendwann abschaltet, so dass man bloß noch genervte Langeweile empfindet. Überfordert in einem anderen Sinn sind aber auch die westlichen Staaten insgesamt, zu deren Grundwerten ja jene Humanität gehört, die durch jeden Ertrunkenen im Mittelmeer Lügen gestraft wird.

Weil zu den viel beschworenen Fluchtursachen auch die postkolonialen Ausbeutungsstrategien der "Ersten Welt" gehören, tragen drei der Akteure eine Art Khaki-Uniformen, teils sogar mit Tropenhelm (Kostüme: Aino Laberenz), und stellen so etwas wie die Kolonialherren und die heutigen Europäer zugleich dar. Die übrigen Schauspieler repräsentieren demgegenüber die Kolonialisierten, also die heutigen Flüchtlinge. Interessanterweise stecken sie in Tankwart-Overalls mit lauter kleinen Markenlogos darauf, so dass man sie auch für das Boxen-Team eines Formel-Eins-Rennstalls halten könnte.

Prometheus ist schuld am Klimawandel

Im zweiten Stück, nach der Pause, gehts dann eher hochtrabend zu. Zumindest die Sprache klingt mal nach Faust II, mal ganz klassisch antikisierend - passenderweise, denn hier treten lauter griechische Götter auf, auch Okeaniden zuhauf in seltsamen Fransenkostümen sowie sonstige Mythenfiguren. Allen voran natürlich Prometheus, den Max Mayer als langhaarigen Zausel im Altachtundsechziger-Stil gibt. Offenbar wird dieser Gott, der den Menschen einst das Feuer brachte, irgendwie für den Klimawandel verantwortlich gemacht, weil er „den Kohlenstoff befreit“ hat, was zumindest Pi mal Daumen stimmt, schließlich wird ja erst durch Verbrennungsprozesse Kohlenstoff in Kohlendioxid umgewandelt und als solches freigesetzt.

Von da ist es, weil Prometheus uns ja auch die technischen Fertigkeiten lehrte, nur ein Katzensprung zum Thema Androiden, Robotermenschen und künstliche Intelligenz, über das die Akteure nun wortreich in wohlgesetzten Versen rhapsodieren, auf dass auch diese Problematik noch schnell abgearbeitet wird. Aber der überforderte Zuschauer hat sich da ohnehin längst schon wieder ausgeklinkt. (Alexander Altmann)

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