Kultur

Wie mitten in einem Rembrandt-Gemälde wirkt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bei diesem Foto von Jan A. Staiger. (Foto: Neues Museum Nürnberg/Jan A. Staiger)

16.05.2025

Ein ganz neuer Blick auf die EU

Mit seiner Kamera zeigt der Nürnberger Jan A. Staiger die europäischen Institutionen aus ungewohnter Perspektive – kommende Woche startet seine Fotoausstellung

Das Gespür für die richtige Perspektive und den entscheidenden Augenblick hat Jan A. Staiger praktisch in die Wiege gelegt bekommen. „Mein Vater ist Kameramann, meine Mutter ist Journalistin“, erzählt der 1995 in Nürnberg geborene Staiger. Nach der Schule hat der 29-Jährige seinen Koffer gepackt, um beruflich den Fußstapfen der Eltern zu folgen. „Ich habe Fotojournalismus in Hannover studiert und schnell angefangen, die visuelle Selbstinszenierung von Parteien und Politikern zum Beispiel im Wahlkampf zu hinterfragen.“

Für seine Abschlussarbeit an der Uni hat sich Staiger vorgenommen, die Bildwelten der Europäischen Union (EU) mit seinem kreativen Kameraauge neu zu beleuchten. „Selbstverständlich kann ich nicht alleine die gesamte Brüsseler Bildsprache neu erfinden. Aber mich hat einfach geärgert, dass beim Thema EU immer die gleichen Motive wie wehende Fahnen oder ankommende Limousinen gezeigt werden. Deswegen habe ich versucht, neue Perspektiven zu finden und den gewohnten Blick auf die bekannten Institutionen zu verändern.“

Dabei erlebt der Fotograf die Zwänge der Branche häufig am eigenen Leib. Im Auftrag von bekannten Medienhäusern wie Der Spiegel oder der SZ steht Staiger inzwischen häufig selber mit der Kamera neben den anderen Bildreportern, um zum Beispiel auf die Ankunft von mehr oder weniger großen Politikern zu warten. „Klar muss ich auch manchmal einfach nur schnelle Bilder liefern.“

Deswegen habe er sich auch umso mehr gefreut, im Rahmen seiner Abschlussarbeit die Suche nach einer neuen Sichtweise auf die Brüsseler Blase mit Ruhe angehen zu können. „Ich habe wirklich das Privileg genossen, mir zwei Jahre für diese Arbeiten Zeit zu nehmen.“

Von der Leyen wie bei Rembrandt

Die Geduld zahlt sich jetzt aus. Unter der Überschrift A circle of 12 gold stars zeigt das Neue Museum Nürnberg das bildgewaltige EU-Projekt von Staiger. Ausgestellt werden insgesamt 16 Fotoarbeiten, die sich mit der visuellen Dramaturgie politischer Bildwelten beschäftigen. Selbstverständlich ist im Rahmen der Schau auch die von Staats- und Regierungschefs umringte Ursula von der Leyen im Rembrandt-Stil zu sehen.

„Das ist eine Riesenehre für mich, hier meine Bilder zeigen zu dürfen“, sagt Staiger kurz vor der Eröffnung und zeigt auf die Gemälde von Gerhard Richter im Hintergrund des eleganten Ausstellungshauses mit der geschwungenen Glasfassade im Herzen der Altstadt, das heuer mit einem besonders umfangreichen Ausstellungsprogramm seinen 25. Geburtstag feiert. Der neue EU-Look von Staiger zieht den Betrachter tatsächlich fast wie ein Staubsauger in seinen Bann.

Wenn die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beispielsweise im gleißenden Licht zwischen dunklen Schatten auftaucht, erinnert die dramatische Gestaltung an berühmte Maler niederländischer Meisterwerke, die mithilfe der impressionistischen Kraft von Sonne und Wolken vollkommen neue Sichtweisen auf die Wirklichkeit ermöglichten.

Um plumpe Werbung für die führenden Köpfe geht es Staiger dabei offensichtlich nicht. „In meine Bilder kann man letztlich alles reininterpretieren. Mein Versuch ist, Bilder fernab der klassischen Berichterstattung zu schaffen.“

Dafür beschreitet Staiger überraschende Wege und geht zum Beispiel im Souvenirladen der EU shoppen, um ein Baby in dem blauen Strampler mit den goldenen Sternen knipsen zu können. Was im ersten Moment einfach nur süß aussieht, entpuppt sich schnell als subtile Kritik am EU-Handelsgebaren. Schließlich ist das niedliche Babydress – das mit den goldenen Sternen – nicht im reichen Europa, sondern im armen Bangladesch hergestellt worden. Auch Besucherzentren und andere B-Locations stehen bei Staiger ganz oben auf der To-do-Liste.

„Mich interessiert einfach, wie sich die EU abseits des ganz großen Medieninteresses selbst darstellt“, sagt Staiger, der sich selbst als glühenden Verfechter der europäischen Idee bezeichnet. Dass sich der Kontinent gegen ungebremste Migration wehren will und Autokraten in den eigenen Reihen keine Grenzen aufzeigen kann, ärgert den Fotografen, der sich eher mehr denn weniger Europa wünschen würde.

„Mit der Rückbesinnung zum Nationalstaat erleben wir aber derzeit wohl gerade das genaue Gegenteil“, befürchtet Staiger und stemmt sich mit seinen Fotoarbeiten, wie den vor der griechischen Insel Lesbos im Mittelmeer treibenden EU-Luftballons, dem Aussterben der hoffnungsvollen Utopie von einem (sorgen-)freien Europa bildgewaltig entgegen.
(Nikolas Pelke)

Vom 23. Mai bis zum 26. Oktober. Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg, Luitpoldstraße 5, 90402 Nürnberg. Dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags von 10 bis 20 Uhr. www.nmn.de
 

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