Kultur

Lene Grösch ist die neue Schauspieldirektorin des Nürnberger Staatstheaters. (Foto: Nürnberger Staatstheater/Julia Puder)

10.10.2025

Eine Kapitänin steuert jetzt den Theater-Tanker

Lene Grösch startet in Nürnberg in ihre erste Spielzeit als Schauspieldirektorin

Den Thespiskarren zieht in Nürnberg und in der neuen Saison eine Frau: nach Jan Philipp Gloger, der seine erste Saison in Wien schon in Gang gesetzt hat, ist es Lene Grösch. Und sie tut’s mit einer ganzen Schar von Musen: Regisseurinnen, Bühnenbildnerinnen, Autorinnen, Schauspielerinnen bilden ein vorwiegend weibliches Ensemble auf der Basis von Gröschs Vergangenheit beim Nürnberger Jugendtheater oder dem Heidelberger „Stückemarkt“. Und sie traut sich wie die „Gottschedin“ zu Lessings Zeiten nicht nur Provinztheater zu, sondern das Navigieren eines „großen Tankers“ – wo sie doch Nürnberg als Stadt an der Pegnitz besonders liebt.

Das merkt man schon an der Eröffnungspremiere für ihre erste Spielzeit, die sie in Auftrag gegeben hat: Die erste Liebe hält 5 Jahre, das neue Stück von sieben Autorinnen und Autoren, meint nicht ihre Vertragsdauer, sondern die Liebe zu Spielsachen als Nürnberger Tand, mit denen der Schöpfer die Weltgeschichte in Gang setzt: mit der Genesis von Natur und Mensch, über Unterwerfung und Luftgewehr, „Barbie“ und einer heftigen Ansprache an die Stadt der Reichsparteitage.

Auf einer Weltscheibe wird da in einer Art Geschichtsstunde mit „Am Anfang war das Spielzeug“ als Motto, aber ohne Kinder von Autoren wie Ewald Arenz das Thema in Angriff genommen. Jessica Samantha Starr Weisskirchen hat als Regisseurin alles einigermaßen chronologisch angeordnet, Wanda Traub lässt das Ensemble in hässlich braunen Adamskostümen auf der drehbaren Weltenscheibe spielen, einen doppelköpfigen Tyrannosaurus Rex aus dem Schnürboden plumpsen und macht aus den Barbies eine glitzernde Toy-Parade.

Opernparodie und blaue Schwanensee-Tutus

Den versprochenen Spaß garantiert eine fahrbare Mikrowelle mit der ersten Krone, die schnell die Köpfe wechselt. Da kommen dann schnell Kapitel über Macht und Herrschaft, Besiedlung und Expansion, Sado-Fantasien: „Lass mich dein Spielzeug sein.“ Der Kosmos „Staatstheater“ wird in allen Sparten unterhaltsam vorgeführt – mit Opernparodie und blauen Schwanensee-Tutus.

Die heftige Philippika gegen die Verbindung von Weimar und Buchenwald (vorgetragen von Adeline Schebesch) wird durch deutsche Romantik untermalt: Der Mond ist aufgegangen. Das Publikum dankt für die zwei lehrreichen, aber nur mäßig unterhaltsamen Schulstunden mit der Einsicht, dass wenig Hoffnung besteht. Hoffentlich besteht mehr Hoffnung auf ein positives Fazit für die erste Grösch-Spielzeit.

Gleich daneben und tags darauf findet sich keine Spur von plüschiger Romantik im Opernhaus. Giuseppe Verdis La Traviata wird in ein brutales Medienzeitalter übersetzt. Schon bevor Björn Huestege einfühlsam den Taktstock für die Staatsphilharmonie hebt, erfährt man, dass diese Violetta eine Influenzerin ist: inmitten von Freundinnen mit allen Kosmetik-Spielsachen für den Bildschirm und mit einem Freund fürs Knutschen.

Die italienische Regisseurin Ilaria Lanzino ist in Nürnberg schon bekannt für heftige Uminterpretationen von Donizetti, jetzt will sie einem Publikum von heute erklären, was mit dieser „Vom Wege Abgekommenen“ aus Alexandre Dumas’ Die Kameliendame wirklich und im Medien-Heute passiert ist. Der leichtsinnige Umgang mit den Videoclips ihrer Massenvergewaltigung („Drill, boys, drill“) beim Techno-Rave im ersten Akt führt zu einer völligen Zerstörung von Violettas psychischer Konstitution, zum Rückzug in ein Angsthasen-Kostüm. Die Befreiung kommt dann durch Alfredo, das Desaster mit seiner Familie, als der Bräutigam der Schwester bei der Verlobungsfeier die alten Sex-Aufnahmen zeigt, Vater Germont den Verzicht auf ihre Liebe verlangt.

Bis dahin läuft Lanzinos Regie logisch, spannend, nachvollziehbar und kongruent mit Verdis Musik. Die Schlussszene geht mit einer Verdopplung der „Traviata“ im Krankenbett (schon tot?) und der lebendigen Sängerin ziemlich daneben.

Trotzdem verdient die Inszenierung all die frenetischen Bravi: Andromahi Raptis als frische, glaubhafte und typgerechte Violetta, Sergei Nikolaev als Tenor mit Italianità, Sangmin Lee als unnachgiebiger Vater Germont mit der Fixierung auf das Glück seiner Familie.

Lanzino zeigt sich am Ende glücklich, auch überzeugt vom verwegen kostümierten und gesanglich auftrumpfenden Chor: auch wenn nicht allen Zuschauern die Smartphone-Brutalität und der Romantic-Kill gefallen hat. (Uwe Mitsching)
 

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