Kultur

Pauline Fusban als junge Liesl Karlstadt. (Foto: Konrad Fersterer)

09.05.2018

Eine szenische Installation

„Playing :: Karlstadt“ in München

„Bist du das, was du einmal werden wolltest?“, fragt die Stimme aus dem Kopfhörer, während man sich selbst in einem goldgerahmten Spiegel erblickt. Der hängt im Foyer des Hotels Kraft in der Münchner Schillerstraße, das als Startpunkt dient für eine quasi ambulante Theateraufführung. Playing :: Karlstadt heißt das jüngste Projekt des Künstlertrios „Raum+Zeit“ (Bernhard Mikeska, Lothar Kittstein, Alexandra Althoff) fürs Münchner Residenztheater, bei dem die Zuschauer einzeln losgeschickt werden auf einen Weg durchs Münchner Klinikviertel. Geleitet von der Stimme aus dem Kopfhörer, den jeder bekommt, gelangt man nacheinander zu vier Stationen, wo ein Darsteller exklusiv für jeden Besucher eine Szene spielt, die als mehr assoziative denn erschöpfende Annäherung an die große Komikerin Liesl Karlstadt gedacht ist. Schwarz gewandete, auf „unheimlich“ geschminkte Türhüterinnen, die einer Geschichte Franz Kafkas entsprungen scheinen, weisen an jeder Station dem Ankömmling mit stummen Gesten den Weg. Zuerst geht es in die Pension Mariandl und dort die alte Treppe hinauf in ein Einzelzimmer wie aus einer anderen Zeit: zerwühltes Bett, Schrank, ovaler Spiegel. Kein Mensch da, dann rauscht die Wasserspülung und aus einer Nebentür huscht erschrocken Pauline Fusban als junge Liesl Karlstadt mit ondulierten Haaren. Keine Ahnung, was sie uns alles erzählt hat in der viel zu kurzen Ewigkeit, die man ihr in dem engen Kabuff nahe ist, während die Grenze zwischen der Kunstfigur und der realen Schauspielerin verschwimmt. Denn der Text rauscht am Zuschauer eher vorüber, wird bloßes Element einer atmosphärischen Erfahrung, weil einen die unmittelbare Nähe speziell der Darstellerinnen doch hauptsächlich affektiv berührt. Der einzige männliche Schauspieler ist Alfred Kleinheinz, der im feucht-dunklen Kellergewölbe eines Gründerzeithauses den alten Karl Valentin kurz vor seinem Ableben gibt: ständig vom asthmatischen Husten geschüttelt, breitet der Moribunde vor dem Besucher, der hier also die Position Karlstadts einnimmt, hochfliegende Zukunftspläne aus. Nur einen Steinwurf entfernt: die psychiatrische Uniklinik. Ein Jahr brachte Liesl Karlstadt hier zu, nachdem sie 1935 in die Isar gesprungen war. Der Zuschauer findet sich alsbald im abgedunkelten Psychiatrie-Hörsaal wieder, wo Bibiana Beglau, ebenfalls mit schwarzem Schlabberanzug und Hut, einen eher diabolischen Valentin zeigt. Aber keine Angst, alles geht gut aus, und endlich führt der Weg in den Garten der Klinik. In einem Container wartet da die letzte Liesl, Hanna Scheibe, auf dem Bett liegend. Dann erhebt sich die zartgliedrige Frau, zieht alte, bleischwere Bergstiefel an und entlässt uns mit den Worten „du wirst erwartet“ in eine Realität, in die man sich, noch etwas belämmert, erst wieder einklinken muss. Denn eigentlich fühlt sich der Theater-Spaziergänger während seines kleinen Abenteuertrips wie in einem begehbaren Roman. Die große, leicht beunruhigende Faszination dieser „szenischen Installation“ rührt von dem Eindruck her, man sei plötzlich in eine fremdartige Traum-Wirklichkeit geraten, die direkt hinter der vertrauten Alltagswelt liegt. (Alexander Altmann)

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