Kultur

Ausschnitt aus Lewis W. Hines Fotografie (1920/21) eines Mechanikers. Die Gesamtansicht sehen Sie im Beitrag. (Foto: Münchner Stadtmuseum)

02.09.2022

Fatal und faszinierend

Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt zeigt in einem großen Bilderbogen die künstlerische Reflexion von Industrialisierung

Beim Ausstellungstitel Moderne Zeiten denkt man gleich an den legendären Film (1936) von und mit Charlie Chaplin. Ein kurzer Ausschnitt daraus ist in der Schau des Museums Georg Schäfer in Schweinfurt zu sehen. Doch im Mittelpunkt der Präsentation steht die künstlerische Auseinandersetzung mit Entstehung, Entwicklung und Nachwirkung von Industrie in Malerei und Fotografie. Über 100 Werke umspannen einen Zeitraum von 175 Jahren bis heute. Anfangs herrschte noch eine gewisse Euphorie unter Kunstschaffenden vor, doch das änderte sich bald.

Eduard Biermann zeigte 1846 in seinem Gemälde die Maschinenbauanstalt Borsig in Berlin wie die Kathedrale einer neuen Zeit. Das junge Medium Fotografie setzte auf Bewunderung für Konstruktionen von Brücken, wie der Großhesseloher Brücke in München, von Bahnhöfen, einen Kran in einem Eisenhüttenwerk und für Grubenanlagen.
Dagegen haben Gemälde wie die Gasfabrik bei Courcelles (1884) von Ernest Jean Delahaye durch den Rauch, den Dampf und die kaum wahrnehmbaren Silhouetten der Arbeiter etwas Bedrohliches. In Léon-Auguste Mellés Gemälde Carrières de Gentilly (1879) wirken die in winterlicher, menschenleerer Landschaft stillstehenden großen Räder der Steinbrüche entzaubert und auch im übertragenen Sinn frostig. Dagegen zauberte Adolph von Menzel mit dunklen Farben und subtilen Lichteffekten eine geheimnisvolle, geradezu mystische Stimmung, wenn er im Gemälde Selbstbildnis mit Arbeiter am Dampfhammer (1872) aus dem Hintergrund dem Schuftenden zusieht. Mehr und mehr rückten die Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter in den Fokus der Kunstschaffenden, wie etwa Die Krupp’schen Teufel (1912/13) auf dem Gemälde von Heinrich Kley.

Schuftende Arbeiter

Beeindruckende Porträts von Stahlarbeitern, Bilder von Arbeitsabläufen, industriell gefertigten Produkten und Landschaften mit hochragenden Schloten dokumentieren den neuen Blick auf die Eroberung des Lebens durch die Industrie. Sozialkritische Aspekte sind unübersehbar wie auf den Fotos von Félix Thiollier. Andere Motive sind die Naturzerstörung und Menschenfeindlichkeit von Städten und Orten. Geradezu monströs erscheint das Hoeschstahlwerk in Dortmund (1906, Eugen Bracht), düster ein Hüttenwerk (1900, Eduard Christian Arning).

Bei Hans Baluschek erscheinen die Arbeiterinnen (1900) als anonyme Masse, und die „Heroen“ der Arbeit auf Einzeldarstellungen lassen Erschöpfung und Ausbeutung spüren – zum Beispiel in Georg Friedrich Zundels Bildnis eines Schlossers (1901) und Streik (1903).

Seltsame Konstruktionen wie Der Sender Norddeich (1933) von Franz Radziwill, ein riesenhoher Fabrikschornstein (um 1925), von Albert Renger-Patzsch in extremer Untersicht fotografiert, ebenso der Aufruf An die Arbeit (1930) von Oskar Nerlinger an die klitzekleinen blauen Männer auf einer Brücke über eine überragende Fabrikkonstruktion lassen die Perversion der Verhältnisse ahnen. Die Hochöfen der Klöckner-Werke/Haspe (1927) von Conrad Felixmüller in der schwarz-blauen Nacht mit dem feuerspeienden Rauch imponieren zwar, wirken aber bedrohlich. Menschen zwischen den Maschinen werden auf Fotos fast eins mit der Mechanik.

Abbildungen der dürftigen Lebensumstände von Arbeiterfamilien, Schlangen von Arbeitslosen vor dem Arbeitsamt, Kumpels oder Stahlarbeiter vor und nach der Schicht, beschäftigt im Riesengebäude der Zeche im Ruhrgebiet, lassen ahnen, dass hier Menschen bei harten Arbeitsbedingungen ausgebeutet wurden. Dasselbe gilt auch für die Landschaft, die ausgeräumt, deformiert, ent-naturalisiert wird. Dagegen erscheinen in der Autoproduktion aufgeschichtete Kotflügel, ebenso Signale oder Schienen aus der Fabrikation für den Bahnverkehr geradezu ästhetisch in ihrer fotografischen Wirkung.

Alltagsmenschen im industriellen Umfeld provozieren dann auch mal groteske Effekte wie etwa die Braut vor den Minen in Wales. Gleichförmigkeit dominiert am Fließband oder bei Stadtansichten, Friedhöfe vor gesichtslosen Bergarbeitersiedlungen in Pennsylvania erinnern an die Opfer der Industrialisierung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Zechen aufgegeben. Das Ehepaar Hilla und Bernd Becher fotografierte meisterlich die zwecklos gewordenen, aber anziehenden Industriedenkmäler. Abweisend und irgendwie unkontrollierbar scheinen die Reste von Bitterfeld oder das ehemalige Kraftwerk in Herne. Montagelinien, Containerterminals, Raketenteile, Maschinenreihen, die an militärische Aufmärsche erinnern, entziehen sich weitgehend menschlichen Maßstäben. Die künstlich erscheinenden Einzelexemplare der New Trees von Robert Voit, die wüsten Hinterlassenschaften von Industrieanlagen oder Goldminen zeigen wie auch die Öl-Verschmutzungen im Wasser die Gefahren auf, die der industrielle Fortschritt mit sich bringt. (Renate Freyeisen)

Information: Bis 9. Oktober. Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt. www.museumgeorgschaefer.de

Abbildungen:
Zeugen neuer Technik überragen die alte bäuerliche Welt: Der Sender Norddeich (1933) von Franz Radziwill.   (Foto: VG Bild-Kunst/Museumsstiftung Post und Telekommunikation)

Lewis W. Hines Fotografie (1920/21) eines Mechanikers lässt an Charlie Chaplin denken, der im Film Modern Times ins Räderwerk einer Maschine gerät.    (Foto: Münchner Stadtmuseum)

 

 

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