Kultur

Jakob Immervoll in der Rolle des jungen Adolf Hitler. (Foto: Arno Declair)

02.02.2018

Fataler Tipp

Lachen und Erschrecken: George Taboris „Mein Kampf“ am Münchner Volkstheater

Gott trägt lange Unterhosen. Schließlich ist er auch nur ein Mensch und heißt eigentlich Lobkowitz. Außer diesem langhaarigen Zausel treten auf: eine kettenrauchende Femme fatale im grauen Wehrmachtskostüm als Allegorie des Todes sowie ein lebendiges Huhn. Obwohl das Tier sich ganz gesittet und friedlich benimmt, darf man diesen Abend insgesamt ruhig als vogelwild bezeichnen.
Das liegt allerdings am Stück und nicht am Stückl. Letzterer nämlich, der Intendant Christian Stückl, hat an seinem Münchner Volkstheater George Taboris Groteske Mein Kampf sehr zurückgenommen, sehr maßvoll-realistisch inszeniert. Er lässt einfach den Irrwitz wirken, der ohnehin in dieser grellen Farce steckt. Und so erlebt man einen überraschend unterhaltsamen Abend, der trotz seiner Länge von fast drei Stunden ausgesprochen kurzweilig verläuft.
Anfangs muss der Zuschauer allerdings doch kurz blinzeln und zweimal hinschauen. Nein, es ist keine optische Täuschung; mitten in dem roh gezimmerten Bretterverschlag, der den engen Bühnen-Guckkasten bildet, steht er tatsächlich, dieser viereckige Ofen. Aus Backstein gemauert und mit halbrunder Eisentür vorne dran, sieht er aus wie eine etwas verkleinerte Version jener Öfen, die in Auschwitz neben den Gaskammern lagen und in denen die Leichen der Ermordeten verbrannt wurden.

Zitat der Grausamkeit

Man muss erst einmal schlucken  – doch mit diesem ikonischen Zitat vergegenwärtigt Bühnenbildner Stefan Hageneier so irritierend wie überzeugend radikal jene bizarre Mischung aus Entsetzen und Komik, die George Taboris Mein Kampf bis heute verstörend erscheinen lässt. Als das Stück 1987 herauskam, wirkte es als derart ungewohnte Tabuverletzung, dass mancher glaubte, der Autor habe es nur auf die effektvolle Provokation abgesehen. Heute kommt einem Taboris Farce hingegen fast schon klassisch vor. Denn obwohl dieser 1914 geborene und 2007 verstorbene Theatermacher ein typischer Kulturstar der 1980er-Jahre war, haftet dem Stück selbst nichts vom Geruch jenes Jahrzehnts an, den es höchstens nebenbei für die heraufbeschwört, die sich daran erinnern können.

Möchtegern-Künstler

Klassisch ist Taboris „Kampf“ aber vor allem, weil er uns nach wie vor zu einem Lachen bringt, das mit dem Erschrecken untrennbar verschränkt bleibt– nicht nur, wenn man weiß, dass der Vater dieses Autors in Auschwitz ermordet wurde.
Das Stück spielt vor dem Ersten Weltkrieg in einem Wiener Obdachlosenheim, wo der junge Adolf Hitler aus Braunau unterkommt, der eigentlich Maler werden will, sich an der Kunstakademie bewirbt und dort abgelehnt wird. Sein Mitbewohner im Männerasyl ist der alte jüdische Bibelverkäufer Schlomo Herzl, der sich des jugendlichen Provinzlers annimmt, ihn fast bemuttert, obwohl der nachmalige „Führer“ sich immer wieder gemein gegen seinen Wohltäter benimmt und überhaupt als überdrehter Unsympath reinsten Wassers daherkommt.
Ja mehr noch, Schlomo verpasst dem Kunst-Aspiranten für den Auftritt an der Akademie sogar ein neues, markanteres Aussehen, indem er ihm den rustikalen, gezwirbelten Gamsjäger-Schnauzbart zu der charakteristischen kleinen Bürste stutzt und durchs lockige Haar den scharfen Hitler-Scheitel zieht.
Zum Dank klaut Adolf ihm den Titel des Buches, an dem Schlomo schreibt und das Mein Kampf heißen soll.
Auch wenn Pascal Fligg als Schlomo mit Schläfenlocken, langem Bart und Kippa aussieht wie ein Chassid aus dem Musterbuch, vermeidet dieser kluge, fein schattierende Schauspieler all die Anatevka-haften Klischees jiddelnder Folklore, die immer nur peinlich wirkt. Obwohl Schlomo den Glauben an seinen Gott verloren und stattdessen ein Verhältnis mit dem minderjährigen, blondzopfigen Gretchen (wunderbar: Julia Richter) hat, obwohl er politisch unkorrekt die Neger ohne Anführungszeichen als solche bezeichnet, ist er eine Art unfreiwilliger Heiliger, weil er das Gebot der Nächstenliebe so ernst nimmt, dass er sie auch Hitler angedeihen lässt.

Talentierter Sensenmann

Den gibt Jakob Immervoll in der kurzen Krachledernen mal auftrumpfend, mal scheu, mal mit Verstopfung auf dem Blecheimer sitzend und laut furzend, während gerade Frau Tod vorbeischaut, um ihn, den talentierten Sensenmann, als Assistenten zu gewinnen. Es ist faszinierend, wie es dem jungen Schauspieler gelingt, durch die naive Jugendlichkeit seines Hitler peu à peu den markig-martialischen Hysteriker mit gerecktem Kinn und irrem Blick heraustreten zu lassen – nachdem Schlomo ihm geraten hat, statt in Kunst lieber in Politik zu machen. Ein fataler Tipp, wie man weiß. (Alexander Altmann)

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