Kultur

Urnenkunde im Bestattungsinstitut: Gerhard Polt referiert über die letzten Dinge. (Foto: Maurice Korbel)

03.02.2023

Feinsinnige Sterbenswörtchen

Wohltuende Melancholie: Gerhard Polt und die Well Brüder mit „A scheene Leich“ in den Münchner Kammerspielen

Am Ende wird es fast ein bisschen andächtig. Da spielt Gerhard Polt den Pfarrer, der nach einer Beerdigung ganz allein an der großen Wirtshaustafel sitzt. Kein anderer aus der Trauergemeinde ist zum Leichenschmaus gekommen. Und so schöpft er sich, in Gottes Namen quasi, Suppe in den Teller und löffelt sie langsam aus. Denn bei großen Darstellern funktioniert das: Sie können das Allerbanalste tun, und unversehens wird es zum Ereignis. So wie auch das Suppe-Essen in dieser stummen Szene, mit der die neueste Polt-Revue an den Münchner Kammerspielen ihren berührenden Abschluss findet.

A scheene Leich. Eine Erblastkomödie heißt der Abend, von dem man gar nicht weiß, um das wievielte Polt-„Stück“ es sich an diesem Haus und an den Münchner Theatern insgesamt handelt – und der, im Gegensatz zum sonstigen Repertoire der Kammerspiele, schon auf viele Wochen hinaus restlos ausverkauft ist.

Der andere Polt

Wobei wir diesmal doch einen etwas anderen Polt erleben, einen eher heiter-nachdenklichen; denn die ganz großen Brüller zum Totlachen – solche wie die legendäre englische Rede über „Democracy“ oder den Papst mit dem Laubbläser –, die gibt es hier nicht. Was kaum verwundert, schließlich geht es in A scheene Leich ums Sterben, um die sogenannten letzten Dinge. Und da wird man, zumal im gesetzteren Alter (Polt ist inzwischen 80, auch wenn man es ihm nicht anmerkt), doch etwas philosophischer, ja auch ein bisschen wehmütig sogar, weshalb der Abend atmosphärisch von einer gewissen Melancholie durchzogen ist – aber das tut ihm sehr gut (Regie: Ruedi Häusermann).

Denn es hat eine ganz neue, unerwartete Qualität, wenn immer wieder hinter den naiv gemalten Pappkulissen dezent die Melodie des Andachtsjodlers erklingt, während Gerhard Polt vorne auf der abgedunkelten Bühne in seiner überwältigenden Präsenz, aber ganz beiläufig, darüber sinniert, dass das Geräusch verschwunden ist, das entsteht, wenn man in eine resche Brezn beißt; oder dass keiner mehr weiß, wie ein Blunzengröstl schmeckt. Und um die Vanitas-Stimmung voll zu machen, stellt er fest: „Die Gegenwart ist auch nichts anderes als die Zukunft von gestern.“

Passend dazu steuern die diesmal angenehm zurückhaltenden, aber musikalisch umso virtuoseren Well Brüder vom Ave Maria bis zum Guten Kameraden alles bei, was klanglich in den Bereich eschatologischer Transgressionsrituale gehört, um die Bezeichnung „scheene Leich“ hier einmal allgemeinverständlich zu übersetzen.

Als vager Plot um die einzelnen Nummern herum dient die (nicht nur frei erfundene) Geschichte eines Bestattungsunternehmers, der, „Nekro-Ökonom“ großen Stils, auch gleich noch ein Altenheim betreibt. In dem Zusammenhang bietet diese Funeral-Posse auch ein paar kabarettistische Einlagen, wenn Schauspieler Stefan Merki als Pflegeheiminsasse im Rollstuhl auf Missstände der Altenbetreuung hinweist, die in Wirklichkeit viel mehr sind, nämlich Riesensauereien, weil zumindest die ärmeren (also die meisten) Pfleglinge im buchstäblichen Sinne beschissen dran sind in ihren neuen Drei-Pfund-Windeln, die das überforderte, unterbesetzte, weil unterbezahlte Personal nur noch selten wechseln muss. Dass daran letztlich nicht die Profitgier einzelner Pflegeunternehmer schuld ist, sondern ein Sozialsystem, das – durch die nicht direkt beim Namen genannten neoliberalen Reformen der Regierung Schröder – geschrottet wurde, kommt ebenfalls zur Sprache.

Aber so wichtig und richtig das auch ist – am ergreifendsten wirkt die Scheene Leich dort, wo sie fast an Inszenierungen von Christoph Marthaler gemahnt und in der Kombination aus Sterbenswörtchen und Abgesang zur feinsinnigen Groteske transzendiert. (Alexander Altmann)

 

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