Kultur

Detail aus "Kampf des heiligen Michael mit dem Drachen". Das Blatt stammt aus der Apokalypse. Die Gesamtansicht finden Sie im untenstehenden Artikel. (Foto: wbg Verlag)

21.05.2021

Genialer Buchmacher

Zum 550. Geburtstag Albrecht Dürers kann man sich selbst beschenken: Seine „Drei großen Bücher“ gibt es nun im opulenten Originalformat

Albrecht Dürer, am heutigen Freitag vor 550 Jahren geboren, veröffentlichte 1511 den Band „Drei große Bücher“. Darin zusammengefasst sind seine Holzschnitte zum „Marienleben“, zur „Großen Passion“ und zur „Apokalypse“ – und zwar im Folioformat. Eben in dieser Größe gibt es den Band erneut: als bibliophiles Gustostückerl, in dem man die Holzschnittkunst des Nürnberger Starkünstlers optimal studieren kann.

Mit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks und der Möglichkeit, durch Holzschnitt und Kupferstich Bilder in nie geahnter Anzahl zu vervielfältigen, spricht man von einer beginnenden Medienrevolution – und zieht gerne Parallelen zum Heute und der digital verfügbaren Informationsfülle. Tatsächlich geht es beide Male nicht nur um eine „Demokratisierung von Wissen“, also um den breiten Zugang zu Wissen auch außerhalb intellektueller Zirkel, sondern ebenso ums Sozialprestige. Das Handy/Smartphone ist ein Statussymbol – ehedem war es der Besitz von wenigstens einer Handvoll Bücher, wenn nicht gar einer ordentlich bestückten eigenen Bibliothek, wobei die Anzahl der Exemplare in die Tausende gehen konnte.

Es muss in der aufdämmernden Moderne wohl eine grassierende Zeiterscheinung mit Auswüchsen gewesen sein. Im Narrenschiff des Sebastian Brant liest man schon 1494 über den Büchernarren, der den ersten Tanz zugewiesen bekam: „Den vordantz hat man mir gelan / Dann ich on nutz vil bue- cher han / Die ich nit lyß, und nit verstan.“
Der Markt gierte nach Stoff – mit Büchern ließ sich Geld verdienen. Und einer der geschäftstüchtigsten „Buchmacher“, der auch noch das gesamte Spektrum von künstlerischer Produktion, Verlag, Verkauf und Vertrieb beherrschte, war Albrecht Dürer (1471 bis 1528).

Unrentable Ölmalerei

In ganz Europa kannte man den Nürnberger Künstler mit seinem signifikanten AD-Monogramm schon zu dessen Lebzeiten. Natürlich als Promi-Porträtist und Maler religiöser Gemälde – vor allem aber auch als Grafiker von Blättern, die man sich selbst rahmen, in Mappen legen oder in Alben kleben konnte. Dürer war Geschäftsmann: 1508 klagte er in einem Brief, wie unrentabel die Ölmalerei sei und dass sich mit gleichem zeitlichen Aufwand viel mehr Geld mit Druckgrafiken machen lasse. Er kündigte an, sich deshalb mehr darauf zu konzentrieren.

Neben all den vielen Einzeldrucken (Kupferstich, Holzdruck), die Dürer verkaufte, bediente er auch den Trend zum eigenen Buch – und zwar mit dem gewissen Etwas. Wie mit dem Band, den er selbst als Drei große Bücher bezeichnete. Darin hat er zusammengefasst: 20 Holzschnitte zum Marienleben, zwölf zur Großen Passion und 15 zur Apokalypse.

Die Auswahl war nicht beliebig oder ein Best-of, sondern berücksichtigte die Logik der christlichen Heilsgeschichte, die sich mit jedem Umblättern Schritt für Schritt erschließen sollte. Der Entstehung nach hätte die Apokalypse den Auftakt und das Marienleben den Schluss bilden müssen.

Texte auf Latein

Eine Besonderheit zeichnet die Drei großen Bücher aus: Den Holzdrucken auf den rechten sind auf den gegenüberliegenden Seiten erläuternde Texte dazugestellt: In moderner Type, in proportioniertem Satz, mal einspaltig, mal zweispaltig (Apokalypse). Alles ist auf Latein und überwiegend von Benedictus Chelidonius verfasst, einem damals bekannten humanistisch geprägten Dichter aus Nürnberg und späteren Abt des Wiener Schottenstifts. Die Blätter der Apokalypse kombinierte Dürer allerdings mit biblischen Texten aus der Offenbarung des Johannes.

Auch wenn Text und Bild in diesem Band geradezu gleichrangig nebeneinander gestellt sind – was ein Novum damaliger Andachtsliteratur war –, so müssen sie nicht unbedingt inhaltlich aufeinander abgestimmt sein: Während man von einer Höhle als Geburtsstätte Jesu liest, sieht man bei Dürer einen verfallenden Stall. Als die Heilige Familie in Ägypten weilte, hat sich Chelidonius zufolge Josef folgendermaßen hervorgetan: „Das Erz schneidet er, in Zedernholz schnitzt er, das Elfenbein glättet er. Er formt sprechende Menschenbildnisse in Marmor und führt, wie ein zweiter Daedalus, mit vorzüglichem Geschick Bauten auf.“ Nichts davon bildet der Holzschnitt ab: Da bearbeitet der Handwerker Josef mit dem Beil ein Stück Holz – wird das ein Fensterrahmen für die Hausruine, in der die drei vermutlich wohnen?

Dass Latein als Textsprache gewählt wurde, machte den intellektuellen Anspruch deutlich – den Dürer verfolgte und mit dem sich gleichermaßen seine Käufer schmücken konnten. Die Trilogie brachte Dürer 1511 heraus – in unbekannter Auflagenhöhe. Der Kunsthistoriker (heute Direktor der Museen der Stadt Nürnberg) Thomas Eser rechnet im Katalog zur Ausstellung über Bücherschätze zur Dürerzeit im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (2008) vor: Allein während Dürers – heute würde man vielleicht sagen – Promotiontour durch die Niederlande verkaufte er binnen eines Jahres 77 der Drei großen Bücher, obendrein fünf „Holzbücher“, fünf Apokalypsen, 15 Große Holzschnittpassionen, 13 Bände des Marienlebens, 22 Kupferstichpassionen und 23 Kleine Holzschnittpassionen. Im Gepäck hatte er noch mehr dieser Werke: quasi als Werbegeschenke oder zum Tauschen.

Dürer traf mit den Themen in den Drei großen Büchern den Nerv seiner Zeit, in der dem französischen Historiker Lucien Febvre zufolge ein „unstillbarer Hunger nach Gott“ herrschte. Am Vorabend der Reformation und in einer Epoche, in der geistliche Spiele die Liturgie eingängig und öffentlich theatralisierten, in der Frömmigkeitspraxis vehement propagiert wurde, kam seine heilsgeschichtliche Zusammenstellung gerade recht. Sie nahm den Charakter einer emotional rührenden, auf Inbrunst abzielenden Erbauungsliteratur an, die speziell in bürgerlichen Familien beliebt war und besonders von Frauen gelesen wurde.

Und wie verstand es Dürer, in seinen Bildfindungen (bei denen er sich schon auch mal bei Martin Schongauer bediente) hochemotional und nonverbal in seine Bildgeschichten hineinzuziehen! Wie er im subtilen Wechsel von Dynamik und Ruhe ein Wechselbad der Gefühle evoziert. Und das alles nur in Schwarz und Weiß – ganz entgegen dem damaligen Trend zur Kolorierung.

Feinste Modellierung

Allein das Titelbild zur Großen Passion: Man sieht den auferstandenen Christus nicht etwa wie in Matthias Grünewalds Isenheimer Altar (1512/1516) als triumphal aufsteigenden und strahlenden Sieger über Tod und Sünde, sondern zusammengekrümmt auf dem Sarkophag sitzend als Schmerzensmann, der noch immer leidet: „Und du, Undankbarer, zerreißt meine Wunden so oftmals mit deinen Sünden und immer wieder gibst du durch neue mir Schläge“, steht im unten angefügten Text. Jesus blickt den Betrachter direkt an – anders noch als in der Kleinen Passion, einer 36-Blatt-Folge aus den Jahren 1509/10: Dort sitzt Jesus in sich versunken, das schwere Haupt mit der Hand abgestützt nach unten geneigt und von der Welt abgewandt. Nicht nur mit dem geradezu herausfordernd anklagenden Blickkontakt setzt Dürer in der Großen Passion eins drauf: Obendrein platzierte er neben Jesus einen Spötter, der ihn in seinem Leid verhöhnt, indem er ihm einen Ast reicht, wohl als Zepter.

Wunderbar kann man hier beobachten, wie Dürer in seinen gezeichneten Vorlagen auch für die Holzschneider seiner Werkstatt feinste Modellierung vorgab: Wie er mit parallelen Linien, diagonal darübergelegten Schraffuren und blanken Stellen Licht setzte oder Partien verschattete. Bis heute werden diese Holzschnitte als Krönung und Dürer als unvergleichlicher Meister dieses Mediums gefeiert.

Als „groß“ bezeichnete Dürer seine Passion ebenso wie den Band der Drei großen Bücher übrigens weder der thematischen Spannbreite noch des Seitenumfangs wegen, sondern weil er sie in schier riesigem Druckformat publizierte. Das Folioformat (33 mal 49 Zentimeter) wird in den damals eher niedrigen Stuben opulenter gewirkt haben als heute – und doch ist die vom wbg Verlag mittels digitaler Reproduktion bewerkstelligte Schmuckausgabe auch nach über 500 Jahren kein Buch, das man mal eben aus dem Bücherregal zieht und auf der Couch liest.

Nein, dieses Format zwingt sanft dazu, dieses einzigartige Prachtwerk des Nürnberger Meisters in den eigenen vier Wänden geschickt zu inszenieren: und zwar so, dass man sich einerseits über die Drucke gebeugt in die handwerkliche Technik ebenso wie in die Fülle – oft sehr kleiner – erzählerischer Details vertiefen kann; anderseits erschließt sich die Wirkung der malerischen Plastizität aus der Distanz von auch mal zwei Schritten.

Ausführliche Lesehilfe

Die Drucke brauchen heute „Lesehilfe“ – und für die hat Anja Grebe gesorgt. Die Kunsthistorikerin mit einer Habilitationsarbeit zu Dürer umfängt die Drucke mit Beiträgen zu Dürers Biografie und Erklärungen samt Übersetzungen der lateinischen Texte zu jedem einzelnen Druck. Die stabile Papierqualität der Buchseiten erlaubt es, immer wieder vor- und zurückzublättern.

Nur eines verbietet sich heutzutage im Umgang mit dem Band, was zu Dürers Zeiten und noch einige Jahrhunderte nach ihm gang und gäbe war: das Herausschneiden einzelner Drucke, die Auflösung des von Dürer so konzipierten Gesamtwerks. Nur wenige der Drei großen Bücher sind komplett erhalten. Drei Blätter fehlen auch in der Vorlage für die wbg-Ausgabe aus dem Landeskirchlichen Archiv Nürnberg; der Vollständigkeit halber wurden Digitalisate dieser drei Fehlseiten aus anderen Sammlungen entliehen. (Karin Dütsch)

Abbildung: Hell und fast skizziert erscheinen Stadt und Landschaft, so, als ob dort die unwissende Ruhe vor dem Sturm herrscht. Darüber tobt der dramatische Kampf des heiligen Michael mit dem Drachen. Das Blatt stammt aus der Apokalypse. (Foto: wbg Verlag)

Information: Anja Grebe (Hrsg.), Albrecht Dürer, Drei große Bücher, wbg Verlag, Darmstadt, 128 Seiten, Leinen im Schuber, 200 Euro. ISBN 978-3-534-27237-2

 

 

 

 

 

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