Kultur

Zurück in Venedig, sucht Casanova (Dave Wilcox) eine Anstellung – und bezirzt die Theaterdirektorin (Katja Straub). (Foto: Nicky Hellfritzsch)

08.07.2016

Gestutzter Macho

Bei den Ansbacher Rokoko-Festpielen schrumpft Casanova aufs Normalmaß

Jedes Jahr im Juli bevölkert sich der Ansbacher Hofgarten mit Herrschern und Höflingen, die geradewegs dem 18. Jahrhundert entstiegen sein könnten. Es sind dann Rokoko-Festspiele – eine eher unlustige Veranstaltung, bei der die verblichene Pracht der Markgrafen zelebriert wird. In diesem Jahr kam ein Venezianer hinzu, der dort ansonsten nicht gesehen wird: Giacomo Casanova. Das Theater Ansbach machte es möglich und lieferte Komikangebote gleich mit. Intendantin Susanne Schulz hatte bei Jutta Schubert ein Stück für drei Schauspieler über den legendären Tausendsassa bestellt und inszenierte es. Schubert reiht in Casanova und die Kunst der Verführung Episoden aus dem Leben des Titelhelden aneinander: Das wirkt erst beliebig, lässt aber am Ende Tragik aufblitzen. Der umtriebige Abenteurer sieht ein, dass er die Liebe seines Lebens nie an sich binden kann. Die Frau macht lieber Opernkarriere. Susanne Schulz legt Casanova als Potpourri voller Schauwerte und Spielstile an, die für Sommertheater typisch sind. Allerdings gibt es zwei Besonderheiten. Zum einen ist der Spielort ungewöhnlich: Bühne ist das Citrushaus des Hofgartens, ein gut 30 Meter langer, schmal gestreckter Bau aus Glas und Beton, wo Kübelpflanzen überwintern. Zum anderen schrumpft sie Casanova auf mitteleuropäisches Normalmaß. Wer durch die Fassade der Rokokoverkleidung (Kostüme: Ulrike Schörghofer) hindurchschaut, kann männliche Beziehungs- und Identitätsprobleme von heute entdecken. Der Ort der Aufführung hat ebenso wie die Inszenierung ungenutztes Potenzial: Das Publikum im Citrushaus schaut durch die breite Glasfront auf den geometrisch zierlichen Leonhart-Fuchs-Garten. Er könnte ein tiefgestaffeltes Realpanorama abgeben – bemalte Paravents und schrankhohe Beziehungskisten verbauen aber die Sicht. Das gilt in übertragenem Sinn auch für die Inszenierung: Susanne Schulz kitzelt mit Macht Tragikomisches, Schwankhaftes, Satirisches und Klamaukiges aus dem Stück heraus. Es wird ausgiebig gefochten, jongliert, getanzt, gesungen und in den amourösen Schrankkisten geflirtet, geliebt. Aber die fließende Leichtigkeit, die Susanne Schulz dem Ablauf an sich gibt, erreicht nicht die Figuren. Die geraten grob. Die Komik wird bleiern.

Typ von Nebenan

Dave Wilcox, ein bärtiger Hüne, gibt den Venezianer grundsolide: Kein Blender, kein Charmeur, eher ein tölpeliges Stehaufmännchen. Ein Kerl auch, dem man samstags im Baumarkt begegnen könnte. Andreas Flick knattert mit sechs Nebenfiguren durchs Citrushaus und spielt gut Klavier. Katja Straub changiert in einem halben Dutzend Rollen zwischen Charakterrealismus und krachender Typenkomik. Sie singt ausdrucksvoll. Überhaupt, die Musik: Sie ist ein Pasticcio, in dem Händel, Mozart, Chansons und Schlager verbacken sind. Live gespielt garantiert sie tiefere Momente. Und in denen sind dann die Traurigkeit der Opernsängerin und das Charisma Casanovas zu erahnen. (Thomas Wirth)

Kommentare (7)

  1. Nicky1976-1 am 18.07.2016
    Ich bin, auch nach mehrfachem Lesen, der Meinung, dass Herr Wirth ein anderes Stück gesehen haben muß. Die Kritik an der Inszenierung ist vollkommen fehlgeschlagen und wohl doch zu viel aus zu "persönlichen Eindrücken" entstanden. Persönlich deshalb, weil hier ein Stück heruntergespielt wird, dass durchweg von den Zuschauern als positiv und professionell empfunden wurde, was die Gäste nach der Inszenierung auch deutlich zeigten. Das spiegelt der Artikel von Herr Wirth auf gar keinen Fall wieder!

    Ich hatte schon einige Male das Glück, Inszenierungen von Dr. Susanne Schulz zu fotografieren. Diese bekommen von mir durchweg positive Kritiken. Gut, Theater ist Geschmacksache, aber gerade hier sollte man als Kritiker professionell herangehen.

    Das Stück Casanova ist eine Inszenierung, die einen anderen Blickwinkel auf Casanova zulässt, das soll sie auch! Für mich ist das Stück mit seinen Darstellern rundum gelungen und für eine verrissene Kritik einfach zu schade! Aber wie schon geschrieben, alles eine Frage des Geschmacks.
  2. Nicky1976 am 18.07.2016
    Ich bin, auch nach mehrfachem Lesen, der Meinung, dass Herr Wirth ein anderes Stück gesehen haben muß. Die Kritik an der Inszenierung ist vollkommen fehlgeschlagen und wohl doch zu viel aus zu "persönlichen Eindrücken" entstanden. Persönlich deshalb, weil hier ein Stück runtergespielt wird, dass durchweg von den Zuschauern als positiv und professionell empfunden wurde und dies zeigte die Gäste auch. Dies spiegelt der Artikel von Herr With auf gar keinen Fall wieder!

    Ich hatte schon einige Male das Glück, Inszenierungen von Dr. Susanne Schulz zu fotografieren. Diese bekommen von mir durchweg positive Kritiken. Gut, Theater ist Geschmacksache, aber gerade da sollte man als Kritiker auch ganz professionell rangehen.

    Das Stück Casanova ist eine Inszenierung, die einen anderen Blickwinkel auf Casanova zulässt, das soll sie auch! Für mich rundum gelungen und für eine verrissene Kritik einfach zu schade!
  3. Nora am 14.07.2016
    Da wird gespielt auf tollem Niveau. Da wird gelacht, da wird Sommertheater ernst genommen. Da werden Figuren jenseits einer flachen Karikatur gezeichnet. Da erleben wir die Tiefen und Höhen, die Abgründe und Glanzpunkte der Figuren. Da geht Theatr unter die Haut. Da ist es gut gemacht. Da für sagen wir Danke. Und da fragen wir uns, in welcher Premiere der Krittiker saß. Da wo ich war sicher nicht. Da konnte man Schauspiel auf hohem Niveau mit grandiosen Schauspielern sehen. Da fragt man sich warum er so etwas schreibt. Schreiben muss?
  4. Johannes am 11.07.2016
    Ich kann mich den obigen Kommentaren nur anschließen.
    Wir waren selbst in der Premiere und haben den Abend sehr genossen. Auf die Kritik von Herrn Wirth waren wir sehr gespannt, weil wir schon lange merken, dass er das Theater Ansbach seit dem Beginn der Intendanz von Frau Dr. Schulz "runterschreibt", während er künstlerisch nicht so anspruchsvolle Stücke benachbarter Bühnen in höchsten Tönen lobt.
    Die Charakterisierung von Dave Wilcox als Casanova ist direkt bösartig. Von der Ansbacher Bevölkerung wird das Ensemble von Frau Dr. Schulz dagegen sehr gelobt.
    Es ist besser man bildet sich selbst ein Urteil und nimmt Kritiken nicht so ernst, denn die Geschmäcker sind verschieden und die Zeitung von gestern heute schon vergessen.
  5. Klaus am 11.07.2016
    München, Hamburg, Stuttgart, Berlin ...! Wie bunt ist doch die Welt. Seit 6 Jahren bin ich in unserem beschaulichen Ansbach. Gemütlich, herzlich, mittelfränkisch! Ich bin hier zu Hause.
    Am Montag 04.07.2016 war ich im Citrushaus zur Premiere des Casanova. Das Ensemble kenne ich aus verschiedenen anderen Inszenierungen des Theater Ansbach. Bin gespannt was kommt: Neue Location, neues Stück...! Ich erwarte kein Schauspiel mit hochdotierten Protagonisten und internationaler Inszenierung! In meiner Heimat Ansbach darf es „menscheln"! Ich möchte wahrnehmen, womit die Schauspieler mich inspirieren und begeistern wollen. Es sind Menschen voller Herzblut.
    Die Spannung steigt. Ja, es ist kurzweilig und amüsant. Es macht Spaß zuzusehen. In der Pause genießen wir die sommerliche Atmosphäre im Garten. Ein Traum! Der zweite Teil steckt voller Überraschungen. Das Feuerwerk aus Tanz, Gesang, Opernarien ist hinreißend. Ein absolut gelungener Abend. Dank allen Beteiligten.
    Um mit den Worten des "Groß-Kritikers" Marcel Reich-Ranicki zu sprechen: "Ansbacher, nehmen Sie diese Kritik von Thomas Wirth nicht an!"
    Vertrauen Sie Ihre Neugierde und Lebensfreude und lassen Sie sich von den begeisternden Schauspielern selbst inspirieren! Mir jedenfalls hat dieser Abend viel gegeben.
  6. Margrit am 10.07.2016
    Kann mich dem Kommentar "Martin.Ansbach" nur anschließen. Zweifelte ohnehin die Kritik von
    Thomas Wirth an (siehe "Der Leser hat das Wort", FlZ 9./10. Juli 2016). Bezaubernde Aufführung mit viel Gefühl, Humor und großem Können der Schauspieler. Dank an die Intendantin und Regisseurin
    Frau Dr. Schulz. Große Bereicherung für Ansbach!
    Margrit von Einsiedel
  7. martin.ansbach am 09.07.2016
    Die Premiere des Ansbacher Casanovas war absolut gelungen. Der Rosengarten bot eine zauberhaft illuminierte Kulisse, das Citrushaus bestand seine Feuerprobe als Sommerspielstätte, die Schauspieler spielten, sangen, tanzten - als Zuschauer konnte ich eintauchen in die verschiedenen Charaktere. Diese wurden ausdrucksstark inszeniert von Katja Straub, Dave Wilcox und Andreas Flick. Regie führte gekonnt die Intendantin Dr. Susanne Schulz. Am Ende gab es verdient tosenden Applaus für ein gelungenes Sommertheater am Ansbacher Theater.
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