Kultur

1904 war diese Glocke für St. Bonifaz in München gegossen worden – in der gleichen Gießerei der Brüder Oberascher war man 1917 dafür zuständig, sie im Kirchturm wieder zu zerschlagen. (Foto: BAYHSTA/Kriegsministerium 13122)

24.03.2023

Glocken zu Kanonen

Eine Ausstellung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv über ein besonderes Kapitel Kriegswirtschaft

Wer noch einen Kupferkessel daheim hatte, egal ob zum Kochen oder bepflanzt als Fensterbankdeko, konnte damit Geld verdienen: 1,70 Mark pro Kilo gab es dafür, wenn er aus reinem Kupfer war. Höher fiel der Kilopreis für Zinn aus: 8 Mark gab es, wenn entsprechend viele Bierkrugdeckel zusammenkamen. Nicht nur Zigarrenablagen und Briefkastenschilder, sondern auch Wasserpumpen und Destillationsapparate waren abzugeben, wenn sie Kupfer, Zinn oder Aluminium enthielten: „Sparmetalle“ waren das – und wer Gegenstände daraus behielt, versündige sich am Vaterland, mahnte ein Plakat, das als Grund für die Sammelaktion nannte: „Noch gilt es weiter zu kämpfen und Waffen zu schmieden!“

Der Aufruf stammt aus dem Jahr 1917. Da hatte bereits das dritte Kriegsjahr Deutschland im Griff – auf eine so lange Dauer war man nicht eingestellt. Sukzessive gingen die Rohstoffe für diese gigantische martialische Materialschlacht aus – Seeblockaden machten den Bezug aus Übersee unmöglich. Aber es „ist genug im Lande“, beschwichtigte der Plakattext und forderte lediglich: „Gebt es heraus.“

Wertvolle Legierung

Jenseits der Haushaltswaren hatte man schnell eine andere, ergiebigere heimische Rohstoffquelle ausgemacht: Glocken – egal, ob sie in Türmen von Kirchen, Siechenhallen, Rathäusern oder Spitälern hingen. Ein pflichtbewusster Mitbürger machte das stellvertretende Generalkommando des I. Armeekorps in Bayern darauf aufmerksam, dass bislang Kuhglocken von der Beschlagnahme ausgenommen seien: Man könne doch auch die über 1 Kilogramm einsammeln, beim Vieh würden es auch einfachere Blechschellen tun.
Glocken bestehen aus Bronze, die sich in der Regel aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn zusammensetzt.

Allein im Kriegsjahr 1917/18 wurden in Bayern 30 Prozent der Glocken zugunsten von Patronenhülsen, Zündern und Torpedorohren vernichtet. Und das, obwohl das Königreich innerhalb des Deutschen Reiches um eine Sonderbehandlung gekämpft hatte. Wie dieses besondere Kapitel der Kriegswirtschaft in Bayern ausgesehen hat, welche Bürokratie diese entwickelte, dokumentiert die Ausstellung Glocken zu Kanonen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, die Thomas Froebrich im Rahmen seines Studiums „Archiv- und Bibliothekswesen“ an der Hochschule für den öffentlichen Dienst erarbeitet hat.

Schon Berlin sah in seinem Entwurf zur Beschlagnahme der Glocken vor, dass solche mit wissenschaftlichem, künstlerischem oder historischem Wert verschont bleiben sollten. Bayerns damals oberster Denkmalschützer Georg Hager wollte das pauschal für alle Glocken geltend machen, die vor 1800 gegossen worden waren. Als Kompromiss beschränkte sich die Ablieferungspflicht auf die Jahre nach 1770. In einem Nachtrag galt die Ausnahme auch für Geläute von musikalischem Wert – dafür waren Sachverständige in der Akademie der Tonkunst gefragt.

Doch bei allen Begutachtungen legte man in Bayern wohl die Maßstäbe großzügiger an: Im April 1918 hatte Bayern „nur“ 35 Prozent seiner Glocken enteignet, der Reichsdurchschnitt betrug 44,73 Prozent. Fortan sollten extra gebildete Glockenausschüsse mit einem Offizier an vorderster Stelle neue Gutachten erarbeiten – und zwar aller Glocken. Mit der schützenden Zäsur 1770 war es vorbei.

Vorsorglich wurden alle enteigneten Glocken genauestens beschrieben und fotografiert. Penibel erstellte Glockenverzeichnisse sind in Abschriften lückenlos im Bayerischen Hauptstaatsarchiv überliefert – eine Rarität in Deutschland.

Der Waffenstillstand 1918 bedeutete auch Frieden für den Kampf um Glocken. Was noch nicht eingeschmolzen war, konnte von den Kirchen zurückgekauft werden. Der Tabelle „Übernahme-preise für Sparmetalle“ zufolge gab es einst für Glocken bis 665 Kilogramm Gewicht pro Kilo 3,50 Mark, für die Schwergewichte über 665 Kilogramm wurden 2 Mark je Kilogramm Glockenbronze gezahlt, zuzüglich einer Grundgebühr von 1000 Mark. Das reichte natürlich nicht für den Neuguss. 1919 mussten für ein Kilogramm Glockenbronze zwischen 24 und 28 Mark berappt werden.

Willkommenes Diebesgut

Glücklich, wer „Diebesgut“ hatte. Plötzlich tauchten nämlich wieder gestohlene Glocken auf: Im oberpfälzischen Etzgersrieth war eine 200 Kilogramm schwere Glocke, die zur Ablieferung bereitgestellt war, 1917 über Nacht verschwunden. Genauso unvermittelt tauchte sie 1919 wieder auf – reich geschmückt.

Glocken, deren Eigentümer nach Kriegsende nicht ermittelt werden konnten, wurden verteilt. Auf Reichsebene waren das 27,5 Tonnen – 4,3 Tonnen davon gingen nach Bayern, es waren 32 Glocken.

Einstige Versprechungen der Heeresführung, nach dem Krieg verfügbares Metall wieder den Kirchen zum Glockenguss zur Verfügung zu stellen, wurden zunächst einmal hintangestellt. Erst 1920 zwackte man im Rahmen der Abwicklung der Metallmobilmachung für die Kirchen 250 Tonnen Bronze und 1000 Tonnen Kupfer ab – ein Reichsglockenausschuss sollte sich um alles Weitere kümmern, wogegen die Kirchen Einwände hatten. Letztlich wurde das Material verkauft und der Erlös an die Kirchen verteilt.
(Karin Dütsch)

Information: Bis 4. April. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Schönfeldstraße 5, 80539 München. www.gda.bayern.de

 

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