Kultur

Restauratorin Charlotte Holzer vor den Fragmenten des Lilienthal-Gleiters. (Foto: Deutsches Museum)

20.04.2020

Heiliger Gral der Luftfahrt

Das Deutsche Museum in München restauriert den originalen Lilienthal-Gleiter

Kurator Andreas Hempfer am Deutschen Museum, München, nennt ihn den Heiligen Gral der Luftfahrt, Restauratorin Charlotte Holzer sagt, er sei eine Reliquie. Wenn man ihn vor sich sieht, denkt man eher an das Turiner Grabtuch als an ein Flugzeug. Aber es ist ein Flugzeug: der Normalsegelapparat von Otto Lilienthal - ein Original aus der Werkstatt des Flugpioniers, der als erster Mensch wiederholt und kontrolliert mit einem Gerät fliegen konnte, das schwerer als Luft ist. Der Lilienthalgleiter ist das erste in Serie gebaute Flugzeug der Welt. Und diese Ikone will das Deutsche Museum so herrichten, dass sie wieder ausgestellt werden kann. Ein großes Projekt. Und das Schöne daran: Besucher der Flugwerft Schleißheim können sich selbst ein Bild der Restaurierungsarbeiten machen, sobald das Museum nach der Corona-Krise wieder geöffnet ist.

Der Gleiter des Deutschen Museums ist vermutlich derjenige, mit dem Lilienthal 1894 Flüge vom „Fliegeberg“ in Berlin-Lichterfelde absolvierte – und eins von nur fünf noch existierenden Exemplaren weltweit.

Was diesen Gleiter so einzigartig macht: Er hat noch große Teile der Originalbespannung, ist nie umfassend „repariert“ worden. Und so kann man an diesem Original ganz genau sehen, wie Lilienthal mit welchen Materialien gearbeitet hat.

„Im Grunde ist das genauso ein Forschungs- wie ein Restaurierungsprojekt“, sagt Charlotte Holzer, die als Textilrestauratorin für den Stoff des Gleiters zuständig ist. „Es sollen alle Spuren der Objektgeschichte konserviert werden“, sagt sie. Das Museum will den Gleiter eben nicht wieder zu einem Flugzeug zusammenbauen, sondern das Original erhalten. Und der Preis dieser Originalität ist: Nach mehr als 125 Jahre ist der Gleiter in schlechtem Zustand. Die Flügel sind gerupft, selbst der mutigste Flugpionier könnte damit nicht fliegen. Die Weidenruten, auf die der Stoff montiert war, sehen zum Teil aus wie ein Schwamm – so sehr hat dem Objekt der Holzfraß durch Insekten zugesetzt.

„Anfangs ist es so etwas wie ein gigantisches Puzzle“, sagt Charlotte Holzer. Die Stoffteile aus Baumwolle müssen an genau die Stellen, wo sie hingehören. Die Flügel des Gleiters liegen ausgebreitet vor Holzer auf zwei großen Tischen. Sie arbeitet in einem abgetrennten Raum der Flugwerft, an dem der Gleiter vor Licht geschützt und der per Klimaanlage auf 18 Grad heruntergekühlt ist. „Das ist gut für das Exponat, aber auf die Dauer etwas kalt für uns für uns“, lacht Holzer. Sie arbeitet mit zwei Restauratoren-Kollegen zusammen – Quirin Küchle ist für das Holz, Mathias Winkler für die Metallteile des Gleiters zuständig. Der Stoff wird gereinigt, Drähte kommen wieder an die Stelle, an der sie von Lilienthal ursprünglich zur Befestigung vorgesehen waren.

Zwei Jahre soll die Restaurierung dauern – dabei geht es vor allem um die Frage, wie man den Gleiter ausstellbar macht. Welche Belastung verträgt der Stoff, wie viel die Weidenruten?

Sowohl in der Flugwerft als auch auf der Museumsinsel stellt das Museum derzeit nur Nachbauten des Gleiters aus. Für Kurator Andreas Hempfer ist das aber kein Zustand. Er will „den Heiligen Gral der Luftfahrt“, wie er den Gleiter nennt, wieder herzeigen: „Der Original-Lilienthalgleiter soll wieder als zentrales Exponat in der Ausstellung ,Historische Luftfahrt‘ auf der Museumsinsel zu sehen sein“, sagt Hempfer. In einer klimatisierten Vitrine mit Stützkonstruktion, Licht- und Staubschutz, um ihn vor weiterem Verfall zu bewahren. Hempfer schwebt eine Inszenierung vor, die die Situation auf dem Berliner Fliegeberg nachstellt: Er würde gern Lilienthals dortigen Schuppen nachbauen lassen. Nur, wenn ein Besucher den Schuppen betritt, soll eine Lampe angehen und das Lilienthal-Original sichtbar machen. „Am Dach des Schuppens könnte man unseren Gleiter-Nachbau so montieren, als würde der Flugpionier gerade von dort abheben“, so stellt sich Hempfer das vor.

Das ist zwar noch Zukunftsmusik – aber sobald die Flugwerft nach der Corona-Krise wieder geöffnet ist, können die Besucher nicht nur den Restauratoren über die Schulter schauen, sondern auch wieder einen Blick auf den „Heiligen Gral der Luftfahrt“ werfen. Zum ersten Mal seit 75 Jahren. (Deutsches Museum/Gerrit Faust)

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