Wie eine Tochter hat Eléazar das Kind des verhassten Kardinals Brogni (links: Ain Anger) angenommen – und muss zusehen, wie es auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wird: Roberto Alagna als Goldschmied Eléazar, im Hintergrund Aleksandra Kurzak als Rachel. (Foto: Wilfried Hösl)
Mit der Wahrheit hatten die Nazis erhebliche Probleme. Davon war gerade auch die Kunst betroffen. Wenn ein Werk prophetisch die menschenverachtende Politik im Nationalsozialismus abgründig voraussah, wurde es prompt verboten. So erging es auch der Oper La Juive (Die Jüdin) von Jacques Fromental Halévy.
1835 entstanden, finden sich in ihr grauenvolle Worte. „Der verhasste Name dieser Rasse soll vernichtet werden, verfluchte Hebräer“, ruft der Chor. Kurz davor und danach werden Lobgesänge auf Gott angestimmt. So viel schauerliche Aktualität war den Nazis nicht geheuer: Auch deswegen wurde die Oper verboten, außerdem war der Komponist jüdischer Herkunft.
Verzwicktes Geflecht
Die Brisanz dieses Werks offenbart auch die jetzige Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper, zum Start der Münchner Opernfestspiele. Vor dem historischen Hintergrund des Konzils von Konstanz (1414 bis 1418) entwirft Halévy in dem Fünfakter einen kruden Konflikt zwischen dem jüdischen Goldschmied Eléazar (Roberto Alagna) und dem Kardinal Brogni (Ain Anger). Religiöser Fanatismus stachelt sie an.
Bevor Eléazar an den Bodensee verbannt wurde, hatte er in Rom zusehen müssen, wie Brogni seine Söhne hinrichten ließ – als jüdische Ketzer.
Was beide eint, ist Rachel, die leibliche Tochter Brognis. Eléazar hatte Rachel (Aleksandra Kurzak), trotz seines Hasses auf Brogni, in Rom vor dem Tod gerettet und wie seine eigene Tochter großgezogen – was Brogni nicht weiß.
Dieses spannungsreiche Geflecht wird gewürzt mit einer fatalen Liebe, die zwischen dem Reichsfürsten Leopold (John Osborn) und Rachel entbrennt – eigentlich ist Leopold bereits verlobt mit der Prinzessin Eudoxia (Vera-Lotte Böcker). Gegenüber Rachel gibt sich Leopold als ein jüdischer Maler aus. Als die Täuschung auffliegt, wittert das Volk einen neuerlichen unchristlichen Frevel. Erst als Brogni die Hinrichtung Rachels anordnet, gibt Eléazar ihre wahre Herkunft preis – zu spät. Rachel verbrennt auf dem Scheiterhaufen – und Brogni bricht zusammen.
In seiner Regie möchte Calixto Bieito die Grenzen zwischen Religionen verwischen. Es geht Bieito um den Hass, den Religionen potenziell in sich bergen. Hierzu stellt er religiöse Assoziationen aus, deren Herkunft nicht klar zuzuordnen ist. Deswegen gibt sich das jüdische Pessachfest wie ein katholischer Aschermittwoch. Die Videos von Sarah Derendinger zitieren wiederum Topoi aus dem Alten und Neuen Testament. Worte wie Rache und Erbarmen sind zu lesen, auch Glaube und Strafe oder Schuld und Sünde. „Gott ist in allem“, heißt es schließlich. Als Rachels Ende naht, wird ein Lamm auf die Leinwand projiziert, das geschächtet wird.
Beklemmende Bilder
Darüber hinaus interessiert sich Bieito für den Missbrauch von und durch Religion, was er allerdings nur in der ersten Hälfte der Inszenierung in beklemmenden Bildern zeigt. Während einer Taufe werden Kinder gewaltsam ins Wasser gedrückt, und ein Mädchen muss sich anzügliche Blicke und Handgreiflichkeiten gefallen lassen. Damit spielt der katalonische Skandalregisseur auch auf seine eigene Biographie an: Vor einigen Jahren hatte er in einem Interview verraten, dass er als Jesuitenschüler missbraucht worden sei.
Sonst aber verzichtet Bieito auf jedweden Blutrausch, um eine kammertheatralische Reduktion zu entwerfen. Doch weil er die Solisten überwiegend an der Rampe spielen lässt, noch dazu in klischeehaften Gesten, entwickelt sich leider keine Intensität. Über weite Strecken lässt Bieitos Regie die Solisten allein vor jener großen Mauer stehen, die Rebecca Ringst entworfen hat. Die Wand bewegt sich unentwegt, bis sie mittig die Bühne teilt – das Sinnbild einer gespaltenen Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen die Juden – die andere ist den Christen vorbehalten. Wenn sich beide Welten allzu eng vermengen, stürzen Teile heraus. Das ist der stärkste Einfall von Bieito.
Sonst aber vermeidet er jede Aktualisierung, obwohl das seine besondere Spezialität ist. Überdies schreit der Stoff danach: Religiöser Fanatismus und hasserfüllte Intoleranz haben wieder Hochkonjunktur.
Die Profillosigkeit von Calixto Bieitos Regie setzt sich leider auch im Dirigat von Bertrand de Billy fort. Unter seiner Leitung klingt das Bayerische Staatsorchester irritierend behäbig und indifferent. Dafür ist von Roberto Alagna, John Osborn und der fulminanten Vera-Lotte Böcker ein agiler Belcanto zu hören. Kurzak, die Gattin Alagnas, punktet mit einer intensiven Darstellung. (Marco Frei)
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