Kultur

Die Student*innen unter der Führung von Enjolras (Merlin Fargel) brechen auf, um auf den Barrikaden für die Armen zu kämpfen. (Foto: Ludwig Olah)

28.03.2024

Heldenhaftes in Zeiten des Elends

Claude-Michel Schönbergs Musical „Les Misérables“ in der Inszenierung von Josef E. Köpplinger feiert am Münchner Gärtnerplatztheater umjubelten Einstand

Ausnahmezustand am Gärtnerplatztheater: Endlich ist das Mega-Musical Les Misérables in einer sensationellen Inszenierung von Josef E. Köpplinger in München angekommen. In der bereits zweiten Inszenierung des Haus-chefs von Claude-Michel Schönbergs Musical in Kooperation mit dem Theater St. Gallen stimmt einfach alles. Das betrifft die hochkarätige Besetzung der Haupt- und zahlreichen Neben- und Kinderrollen ebenso wie den agilen Chor und das Spitzenorchester, das unter der musikalischen Leitung des Musicalprofis Koen Schoots die für immer in Herz und Ohr bleibenden Hymnen, die raffiniert mit Leitmotivik arbeitende Fusion von Pop und italienischer Oper à la Puccini betont.

Dank Drehbühne und dem filmreifen Setting von Rainer Sinell erlebt man temporeiche, nahtlose Szenenübergänge, die opulent-authentischen Kostüme unterstreichen den hohen Anspruch, der hier vom gesamten Kreativteam erfüllt wird.

Weltweiter Hype

„Die sozialen Probleme gehen über die Grenzen hinaus“, wusste schon Victor Hugo. 1862 erschien sein Buch Die Elenden, das ursächlich für den Publikumshype verantwortlich ist, den die in 22 Sprachen übersetzte Musicaladaption überall dort auslöst, wo sie seit 43 Jahren auf der Bühne realisiert wird. Im Londoner West End läuft das Musical seit 1985, weltweit sahen über 130 Millionen Menschen bisher dieses Musiktheaterkunststück, in dem Partitur, Plot und Pathos aufs Beste und so originell zusammenspielen, dass es unmittelbar unter die Haut geht.

Da ist der ehemalige Sträfling Jean Valjean, der eine neue Identität annimmt, um der Stigmatisierung zu entfliehen. Sein Schicksal wird schlüssig mit dem von Inspektor Javert verknüpft, der von Obrigkeitsdenken besessen ist und im erbitterten, blutig endenden Kampf der Studenten auf den Pariser Barrikaden 1832 von der Güte seines Kontrahenten überwältigt wird. Neben all den wahren Heldinnen und Helden kommen mit dem skrupellosen Wirtspaar Thénardier – in München zu grotesk-grandiosen Paraderollen gestaltet von Dagmar Hellberg und Alexander Franzen – auch diejenigen ins Spiel, die aus Chaos und Elend schamlos Kapital schlagen.

Kein Wunder also, dass auch Regisseur Köpplinger die Gerechtigkeit ins Zentrum stellt, der die Welt nie gerecht wird. „Jeder Fanatismus endet in Fatalismus“: Voltaire wird schon gleich anfangs auf dem Bühnenvorhang zitiert.

Les Misérables empfindet Köpplinger im besten Sinn auch als emotionale Pornografie. Treffender lässt sich sinnliche Wucht kaum beschreiben, mit der dieser unvergessliche Theaterabend überwältigt. Zu verdanken ist das zuvorderst den musicalversierten Darsteller*innen wie Wietske van Tongeren, die Fantines schmerzerfüllten Song „I Dreamed A Dream“ zu einem Höhepunkt macht, ebenso wie Daniel Gutmann als tiefgründiger Javert, Florian Peters (Marius) und Katia Bischoff in der Rolle der Éponine.

Raffiniert gelöster Wermutstropfen der Premiere war die Tatsache, dass Armin Kahl, dem als Jean Valjean die Hauptpartie anvertraut war, bereits nach wenigen Minuten virusbedingt nicht mehr singen konnte. Bis zur Pause übernahm aus dem Graben heraus Filippo Strocchi. Erst nach Köpplingers Ansage zur Pause durfte man den charismatischen Italiener in sängerdarstellerischer Gänze erleben und über die vokale Intensität und den Feinschliff staunen, mit dem er all die innere Zerrissenheit und die Sorge um das Schicksal seiner geliebten Ziehtochter Cosette (Ricarda Livenson als Kind, später Julia Sturzlbaum) auf die Bühne stellte. Mit dem letzten Ton des finalen „Lied des Volkes“ riss es das gesamte Publikum von den Sitzen – lange anhaltender Jubel im Stehen für alle an der hohen Qualität Mitwirkenden.

Die schlechte Nachricht: Wer Karten für Les Misérables erwerben will, muss sich wohl bis in die nächste Spielzeit hinein gedulden. Aber so bleibt Zeit, sich zum Beispiel intensiv mit dem literarischen und spannenden geschichtlichen Hintergrund zu beschäftigen. (Renate Baumiller-Guggenberger)

 

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