Kultur

Die Camerata Salzburg. (Foto Pia Clodi)

04.06.2018

Hintergründige Entdeckungen

Zum Auftakt des Würzburger Mozartfests, das heuer unter dem Motto "Aufklärung, Klärung, Verklärung" steht

"Aufklärung, Klärung, Verklärung" – das Motto des diesjährigen Würzburger Mozartfestes, das den Appell des 18. Jahrhunderts an Vernunft und humane Gesinnung ins Gedächtnis rufen sollte, der im 19. Jahrhundert aber durch die romantische Verklärung von Gefühlen und Werken verdeckt wurde, war gleich beim bejubelten Eröffnungskonzert zu spüren. Denn wie Hartmut Haenchen die im Stehen spielende Camerata Salzburg führte, wie er beim frühen und reifen Mozart hintergründige Entdeckungen erlebbar machte, etwa bei den filigranen Zwischenfiguren, wie er Kontraste setzte, etwa bei der Jupiter-Sinfonie, das klärte manches oft durch Über-Interpretation Verbogenes oder durch allzu effektvolle „Verklärung“ Verwischtes.

Die frühe, wohl als Ouvertüre zu „Il re pastore“ geeignete, einteilige Sinfonie von 1775, die von Haenchen anhand vorhandenen Materials rekonstruiert wurde, entwickelte zuerst scherzhaften Ton, dann Graziöses, endete lustvoll sonnig. Die Jupiter-Sinfonie dagegen begann kraftvoll, mit geradezu knackigen Akzenten; der Dirigent baute schon hier Spannung auf zwischen Kraft und Eleganz, Stärke und Esprit und endete alles mit einem ins Triumphale gesteigerten Finalsatz.

Dass zwischen beide so verschiedene C-Dur-Sinfonien Mozarts ein Werk des 20. Jahrhunderts geschoben war, nämlich Karl Amadeus Hartmanns Kammerkonzert für Streicher, Klarinette und Streichquartett, war zwar ein wenig dem artiste étoile des Festivals, dem jungen, vielfach preisgekrönten Schumann-Quartett geschuldet, klärte aber den Zusammenhang zwischen den beiden umrahmenden Werken kaum. In dem 1932 entstandenen Konzert dominierte vor allem die virtuose Klarinette von Annelien Van Wauwe mit ihrem tollen, leuchtenden Laufwerk, aber auch mit wehmütigen Färbungen und in dem fast übermütig dahinwirbelnden Tanzsatz. Das Streichquartett war hier klanglich völlig eingebunden in den feinen Orchesterklang, lediglich des Cello von Mark Schumann führte einen betörend schönen Dialog mit der Klarinette. Immerhin erschloss sich, woher Hartmann seine Inspiration nahm, von slawisch beeinflusster Tradition, etwa Kodály und Einflüssen à la Zingharese, und natürlich der Klassik. Hartmanns Musik wird vielfach verstanden als Protest gegen Gewalt und Krieg.

Mozarts herrlich doppelbödige Oper „Cosí fan tutte“ wendet sich ironisch gegen falsche, überkommene Vorstellungen von Liebe und Treue. Gerade die fulminante konzertante Aufführung von Mozarts desillusionierendem Dramma giocoso in der prachtvollen Kulisse des Kaisersaals rechnete ab mit der scheinbaren Moral, mit der Zuverlässigkeit von Gefühlen, den hehren großen Idealen und demaskierte sie sowie das bisher geltende höfische Welt- und Menschenbild.

In diesem Gegenbild zur opera seria  sind Verkleidungen nur äußerliche Manöver. Die wirklichen Veränderungen und Erkenntnisse finden im Inneren statt. Also braucht man die optische Darstellung nicht unbedingt. Und was sonst auf der Bühne meist unwahrscheinlich, langwierig oder wenig glaubwürdig scheint, in der kurzweiligen Präsentation als konzertante Aufführung durch Mark Minkowski und sein Ensemble Les Musiciens du Louvre und exzellente Sängerinnen und Sänger war diese Oper ein mitreißendes, amüsantes, geistreiches musikalisches Ereignis mit lebendigen Rezitativen und einer temperamentvollen glaubhaften Darstellung der Rollen, vorne auf und um das Podium herum, und den auch heftigen emotionalen Reaktionen.

Da vermisste man eine Inszenierung nicht - im Gegenteil, denn das immer wieder lächelnde Publikum konnte die Irrungen und Wirrungen der Liebes-Verwicklungen entspannt genießen und sich ganz der Musik widmen.

Und das Orchester auf Originalinstrumenten versprühte gute Laune, mitreißenden Schwung, viel Temperament, wirkte nie überhastet, und mit pointierten Pausen, heftigen Betonungen, wonnigen Färbungen und feinen Lyrismen entfaltete es ein breites Spektrum von emotionalen Verwirrungen, Aufregung und Beruhigung.

Dazu kam: Die Stimmen waren ein Ereignis! Eine herrlich freche Despina verkörperte Giulia Semenzato mit glockenhellem, agilen, glänzenden Sopran als Kammerzofe, falscher Arzt, mit dem Magnet-Stab des Dirigenten als Heilmittel und als quäkend daherfaselnder Notar. Zusammen mit Don Alfonso, dem ausdrucksstarken Bass Jean-Sébastien Bou, einem lebensklugen nund auch listigen älteren Herrn, bildete sie den Motor der Intrigen, der die beiden Paare auseinander und auch wieder zusammen treibt.

Ob die Versöhnung am triumphalen Schluss aber wirklich glückt, bleibt dahingestellt, denn das hört man nur in der Musik als glänzende Vision, als Wunschdenken. Das Bäumchen-Wechsel-Spiel zeigte, dass beide Konstellationen eigentlich nicht zusammen passen. Musikalisch aber harmonierten sie wunderbar: Ana Maria Lubin war eine außerordentlich glanzvoll singende Fiordiligi mit strahlenden, sicheren Höhen, vielfältigen Nuancierungen und mühelosen Registerwechseln. Zur etwas schwermütigeren Dorabella passte der leicht metallisch unterlegte, kräftige Mezzosopran von Serena Malfi hervorragend. Als Ferrando war Anicio Zorzi Giustiniani mit seinem hellen Tenor ein exzellenter Gegenpol zu dem eher aufbrausenden Guglielmo, dem Robert Gleadow mit seinem differenziert gestaltenden, reich bemittelten Bariton zum Publikumsliebling verhalf.

Und die Zuhörer zeigten sich nach über drei Stunden äußerst angetan von dieser ironischen Demaskierung scheinbarer Gefühle und feierten alle Mitwirkenden lange mit begeistertem Jubel.

Liederabende sind etwas Tückisches. Denn das Lied verlangt differenzierte Textgestaltung, Verständlichkeit in der Artikulation, Vermittlung von Gefühlsschwankungen innerhalb eines kleinen, begrenzten, abgeschlossenen Kosmos pro Poesie-Vertonung; zudem erfordert es oft eine gewisse Schlichtheit und Zurücknahme der stimmlichen Möglichkeiten hinter die jeweiligen Aussagen des Textes. Das fällt einer Opernsängerin schwer, vor allem wenn sie mit einer so tragfähigen, glänzenden Sopranstimme prunken kann wie Marlis Petersen.

Die zu Recht hoch gelobte Sängerin hatte zum Liederabend im akustisch etwas problematischen Kaisersaal ein ambitioniertes Liedprogramm mit eher ungewöhnlichen Vertonungen von Schumann, Schubert, Brahms, von Koch, Wagner, Clara Schumann, Beethoven und Hans Sommer mitgebracht, das sie nach Themen einteilte; natürlich durfte auch Mozart nicht fehlen. Doch so recht sprang der Funke nicht über, denn Marlis Petersen stellte eher leuchtende Betonungen, die Demonstration ihrer schönen Höhen in den Vordergrund; da klang vieles ähnlich, zu gleichmäßig; es fehlten die Färbungen, die den Gefühlen verschiedenes Gewicht verleihen. Leider wurde sie darin kaum von ihrem Liedbegleiter Stephan Matthias Lademann am Klavier unterstützt. Gewünscht hätten sich die Zuhörer solche Qualität der Liedinterpretation, die Marlis Petersen endlich in der Zugabe, der „Abendempfindung“ von Mozart, KV 523 entfaltete – die war traumhaft! (Renate Freyeisen)            

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