Kultur

Die tonnenschweren Tiere, die vor Zigmillionen Jahren auch Europa bevölkerten, faszinierten schon immer die Menschen. Älteste Darstellungen von Nashörnern findet man in Höhlenmalereien. In der Neuzeit inspirierte Albrecht Dürer mit seinem Holzschnitt (1515) die Künstlerschaft zu Darstellungen der Rhinozerosse. (Foto: GNM)

13.01.2023

Hype um einen Koloss

In einer Studioausstellung erinnert das Germanische Nationalmuseum an die Bedeutung von Dürers Nashorn-Holzschnitt

Mai 1515: In Lissabon legt ein Schiff an, der spektakulärste Teil der Ladung ist ein Nashorn. Der portugiesische König kommt eigens an den Hafen, um das Geschenk des Gouverneurs von Portugiesisch-Indien für seine Menagerie in Empfang zu nehmen. Über 2000 Kilometer entfernt bekommt wenig später die Nürnberger Kaufmannschaft einen Bericht davon – und auch eine Skizze. Beides hat Albrecht Dürer genügt, um erst eine Zeichnung und dann seinen berühmten Holzschnitt vom Wundertier Nashorn anzufertigen. So ist eine Studioausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg (GNM) betitelt, und natürlich steht ein Abzug des Holzschnitts Rhinocerus im Mittelpunkt – unverkennbar mit dem „Dürer-Hörnchen“: Weil man damals nicht wusste, ob ein Nashorn nun ein oder zwei Hörner hat, platzierte der Meister vorsichtshalber auf dem Widerrist ein kleines zusätzlich.

Damit war das Bild vom Nashorn für Jahrhunderte in Europa geprägt. Dürers Nashorn wurde als Illustration der „Cosmografien“, damaliger Erdbeschreibungen) verwendet, ebenso als 62 Jahre später nach Portugal auch Spaniens König Philipp II. ein solches Wundertier bekam und der Nashorn-Hype so richtig losging.

Geschenk der Monsons

Auf einen solchen Run setzt auch das GNM mit dieser Schau, die auf einer Schenkung des Ehepaars Jim Monson und Isolde Monson-Baumgart beruht. 40 druckgrafische Blätter vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zum Thema Rhinozeros sind ausgestellt, durch illustrierte Bücher und Medaillen aus den Museumsbeständen ergänzt. Die Kuratorin der Ausstellung, Claudia Valter, kennt sich inzwischen bestens aus beim Thema „Nashorn“ und in der insgesamt 500 Blätter umfassenden Monson-Collection, ebenfalls weiß sie Bescheid über die Mode im Zeitalter der Entdeckungen, exotische Tiere nach Europa zu bringen.

Weil das Nashorn als zornig, kräftig, mächtig, gar als stärkstes Tier der Welt galt, hat Portugals Königs Manuel I. gleich mal einen Schaukampf veranstalten lassen: zwischen Nashorn und Elefant. Letzterer hat schnell die Flucht ergriffen – aber von da an wurden beide Tiere oft zusammen abgebildet, so auch auf der Paradiesdarstellung Adam gibt den Tieren Namen (1743) von Jan Luyken: Beim Besteigen der Arche Noah treten beide einträchtig an Bord.

In der Bibel kommt das Nashorn übrigens sieben Mal vor: Aus dem hebräischen Re’em wird lateinische Unicornis und auf Deutsch Rhinozeros und Auerochse.
Dürer hat das portugiesische Nashorn geradezu penibel nachgezeichnet und in Holz gestochen: Die Rippenbögen sind betont, eine plattenartige Haut stellt das Gepanzerte und Wehrhafte heraus. Sebastian Münster hat 1544 die Darstellung in seiner Cosmographia verwendet. Die Ausstellung zeigt in der Nachfolge die Bilder von Jan Johnston und auch von Matthäus Merian dem Jüngeren. Dass Thomas Bartholin das Nas- mit dem Einhorn verwechselt, ist offensichtlich.

Der Superlativ „stärkstes Tier der Welt“ hat das Publikum seit Jahrhunderten und erstmals wieder seit der Antike gereizt. Am Hof von Siam wurde eigens ein Gehege für Nashorn und Elefant eingerichtet, und heute gibt es angeblich ein Internetspiel mit Avataren in Nashornformat.

Clara toppt Dürer

Aber das berühmteste Nashorn der Geschichte war Clara: bei Menschen aufgewachsen, von Bengalen 1741 nach London geschafft und dort auf jahrelangen Reisen vom Besitzer, Kapitän Douwe Mout, vorgeführt. Begleitet von allerlei Merchandisingprodukten heizte das die Rhinomanie in Europa an. In verschiedensprachigen Texten las man, dass Clara täglich von 8 bis 12 und von14 bis 19 Uhr zu besichtigen war, der Eintritt war für Standespersonen al gusto, sonst kostete er zwischen einem und acht Batzen (so viel wie für ein Pfund Butter). Die Clara-Tournee reichte von Kopenhagen bis Neapel und führte auch nach Nürnberg (1747/48). Das Dürer-Nashorn hatte als Prototyp ausgedient: Clara war von da an das Nashorn schlechthin.

Literarische Ehren

Dass das Rhinozeros auch zu literarischen Ehren kam (Eugène Ionesco: Die Nashörner) und wegen der Vorliebe asiatischer Männer für Aphrodisiaka aus Nashorn-Horn fast ausgerottet wird, darf man dieser äußerst unterhaltsamen Ausstellung noch hinzufügen.

Und was wurde aus Dürers legendärem Nashorn-Modell? Portugals König verschiffte es mit noch weiteren Preziosen als Geschenk gen Rom zum Papst. Doch bei Sturm zerschellte das Schiff an der ligurischen Küste, der Koloss ertrank. Seinen Kadaver fand man später an der Küste und stopfte ihn aus – und schickte ihn dann eben solcherart und von tiefem Bedauern begleitet in den Vatikan. (Uwe Mitsching)

Information: Bis zum 26. Juli. Germanisches Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg. www.gnm.de

 

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