Zum „Schlössertag“ am 29. Juni in der Münchner Residenz öffnet nach mehrjähriger Renovierungs- und Sanierungszeit der Königsbau wieder seine Portale. Eine Neuerung ist eine Miniaturengalerie. Der Katalog dazu verleitet vorab zum virtuellen Lustwandeln und zu Gesprächen mit einer illustren Gesellschaft.
Wie zauberhaft ist das Treppenhaus in Hogwarts: Wände, über und über mit Porträts behängt – und zwar von in ihrem Rahmen recht lebendigen Verstorbenen. Da wird diskutiert, geschäkert – untereinander von Bild zu Bild und mit vorbeieilenden Schülern. Manch ein Porträt hat die Funktion eines Schlüssels zu Gängen in Harry Potters Zauberlehrlingsinternat. Prominent ist die recht launische „Fette Dame“, die nur mit Passwort den Weg freigibt.
Von einer „Fat Lady“, wie die Dame in den Originalgeschichten von Joanne K. Rowling genannt wird,
kann bei Maria Amalia von Pfalz-Zweibrücken natürlich keine Rede sein. Eine solch despektierliche Charakterisierung verbietet allein schon ihr sozialer Status: sächsische Kurfürstentochter, Schwester zweier Könige, Kaiserenkelin. Aber „stattlich“ passt. Das unterstreicht das schwere, schwarze Samtkleid mit den üppig gepufften Ärmeln, das bisserl spannt, ebenso die wogende Straußenfeder auf dem Hut, der wiederum mit seinem Band das Doppelkinn dezent einschnürt.
Argwöhnischer Blick
Man fühlt sich an die „Fat Lady“ im Hogwarts-Treppenhaus aber weniger der properen Fülligkeit wegen, sondern aus einem anderen Grund erinnert:
Leicht erhöht porträtiert, schaut die Herzogin auf den Betrachter herab – durchaus argwöhnisch. So, als ob auch sie ein Passwort einfordern wollte, bevor man an ihr vorbei darf.
Gut, dass man nur eine Buchseite umblättern muss, um an der folgenden Porträtgalerie virtuell vorbeizuschlendern. Und auch im Königsbau der Münchner Residenz, wo ihr Porträt an den Wänden neben vielen anderen Miniaturbildnissen hängt, muss man sich nach Entrichtung des Eintrittsobolus nicht auch noch mit launischen historischen Persönlichkeiten herumärgern. Freilich: Wenn Blicke sprechen könnten …
Die Porträtierten verwickeln den Betrachter nämlich auf subtile Weise in imaginierte Dialoge. Sie erzählen von sich, scheinen von ihren Gegenübern Antworten zu erwarten, manchmal Huldigungen einzufordern. Und das selbst, wenn sie einen nicht direkt anschauen, so wie es Johann Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz, tut: Ganz der Herrscher mit visionärem Weitblick, dreht er den leicht in den Nacken geneigten Kopf zur Seite, seine Augen fixieren etwas in der Ferne. Ob er zum Zeitpunkt der Porträtanfertigung schon ahnte, dass er Reichsvikar werden würde? Als solcher führte er nämlich die Reichsgeschäfte – wenn auch nur gut ein Dreivierteljahr lang anno 1711. Der hermelinbesetzte rote Umhang, über dem die Kette vom Goldenen Vlies liegt, ist vom Maler bewusst so drappiert, um die elitäre Stellung Jan Wellems, wie er auch genannt wurde, augenfällig zu machen. Üppig wogen die Locken seiner Allongeperücke und reflektieren das geradezu dramatische Licht-Schatten-Spiel, das die ausdrucksstarke Gebieterpose unterstreicht.
In einer solchen, in voller Rüstung und mit wehendem Krönungsmantel begegnet einem auch der sächsische Kurfürst und polnische König August II. Fast nur mit flüchtigem Seitenblick würdigt er den Betrachter – sein sich aufbäumendes Pferd will mit ihm geradewegs aus dem Bild heraussprengen, den osmanischen Truppen hinterher. 1689 besiegte er sie in Podhajce.
In vergleichbarer Manier
eines dynamischen Reiterbildnisses kennt man Maximilian II. Emanuel von Bayern. Doch in diesem Stelldichein von Porträtierten blickt er mit zusammengekniffenem Mund als ungefähr 14-Jähriger haarscharf am Betrachter vorbei: Ist’s aus Schüchternheit, Trotz oder Arroganz? Er trägt eine Rüstung und eine Spitzenkrawatte, unter der ein blauen Band hervorlugt – später einmal wird er der „Blaue Kurfürst“ genannt werden, weil er in seiner blauen Uniform erfolgreich gegen die Türken zu Felde ziehen wird.
Maximilian I. Joseph, einer seiner Nachfahren als bayerischer Regent – inzwischen aus der Linie der Pfälzer Wittelsbacher –, hat dagegen so gar nichts von einem kriegerischen Potentaten: Eines seiner offiziellen Porträts en miniature gibt ihn keinesfalls als streitbaren Landesherrn wieder, sondern eher als Landesvater; gleichwohl signalisieren die steife Uniform und die betonten Linien um Mund, Kinn und Augen den obersten, pflichtbewussten Beamten.
Privates Outfit
Noch einmal trifft man auf den ersten gekrönten Wittelsbacher auf Bayerns Thron: Wie ein freundlicher älterer Herr von nebenan schaut er einen mit fast melancholisch-glasigen Augen an, ein leichtes Lächeln umspielt seinen weich geschwungenen Mund, die pausbäckigen Gesichtszüge sind auffallend entspannt. Er trägt einen legeren Gehrock – kein Hermelin, keine Orden weisen Maximilian I. Joseph als König aus. Es ist ein privat gemeintes Bildnis.
Solchermaßen ließen sich auch gerne die Damen am Hofe porträtieren. Nur allzu gerne wüsste man die Namen jener Schönen, die einen mit verträumtem, sehnsüchtigem, mal flirtendem Augenaufschlag anblicken und in ihrer luftig-lockeren, „offenherzigen“ Bekleidung im angedeuteten Ambiente eines Boudoirs
erotische Koketterie ausstrahlen: Waren die als „Dame in weißem Kleid“, „Dame mit rotem Schal“, „Dame als Sappho“ und „Flora“ Bezeichneten vielleicht Mätressen, deren Porträts Mann in Medaillons oder auf Tabakdosen bei sich trug?
Namentlich bekannte Damen vermieden solcherart laszive Posen. Vittoria della Rovere liebte zum Beispiel den Auftritt als Heilige: In teuer-pompöser Garderobe, so wie es sich eben für eine Großherzogin der Toskana gehörte, ließ sie sich mit Palmzweig und blutigem Schwert porträtieren. Nicht, dass sie damit blutrünstigen Kampfgeist ausdrücken wollte: Vielmehr waren es die Attribute ihrer Namenspatronin; die Heilige war durch ein Schwert getötet worden, weil sie sich einem ungläubigen Verehrer verweigert hatte. Fühlte sich die Großherzogin ihr deshalb verbunden, weil sie selbst in einer unglücklichen Ehe lebte? Schon als Zweijährige war sie verschachert worden. Wenigstens konnte sie ihrem Gemahl Ferdinand II. de’ Medici aus dem Weg gehen: Jeder bewohnte einen eigenen Trakt im Palazzo Pitti.
Da war Katharina II. schon aus anderem Holz geschnitzt, was man allerdings dem Bildnis der grauhaarigen, omahaften Dame gar nicht ansehen möchte. Oder blitzen einen die Augen nicht doch ein bisschen spöttisch-herablassend an? Katharina putschte gegen ihren Gatten (der dann unter ungeklärten Umständen starb), ernannte sich zur Zarin. Und gönnte sich zahlreiche Liebhaber. Freilich war sie nicht nur in amourösen Dingen fordernd – es war vor allem ihre expansive Außenpolitik, die ihr den Beinamen „die Große“ einbrachte. Großartig an ihrem Porträt in der Miniaturensammlung sind vor allem die Juwelen, die sie trägt: Allein der riesige Diamant in ihrem Ohrläppchen! Dann noch das vor Edelsteinen nur so funkelnde Diadem auf dem ergrauten Haupt! Schmuck und Männer waren ihre Schwächen – sonst erlaubte sie sich als aufgeklärt-absolutistische Herrscherin keine.
Weder mit
Preziosen noch mit Männern hatte es Maria Anna Karoline von Bayern, die einzige Tochter des „Blauen Kurfürsten“: Man sieht sie in Nonnentracht. Der bauschende Umhang lässt nichts von ihrem verwachsenen Körper erahnen, den Folgen einer schweren Rachitiserkrankung im Kindesalter. Der Maler verheimlicht auch, dass sie auf einem Auge so gut wie blind war und eine Augenklappe trug. Einzig der hermelinbesetzte Kurfürstenhut im Hintergrund verweist auf ihre hochnoble Abstammung – vielleicht auch darauf, dass sie als Einzige der in den Exiljahren verstreuten Familie in der Münchner Residenz zwar nicht die Zügel der Politik in Händen hielt, aber quasi die Nachrichtenzentrale war, wie Maria de la Paz, eine Prinzessin von Bayern, 1902 in einer Lebensbeschreibung ausführte.
Malerfreiheiten
Auf dem Kurfürstenhut fehlt die Bekrönung mit dem Reichsapfel. Weshalb hat der Maler dieses Detail nicht übernommen von der Vorlage, einem Gemälde von Franz Josef Winter? Dieser hatte den Kurfürstenhut obendrein auffallend vor der Prinzessin platziert. War das dem Kopisten zu viel Geprotze? Passte das seiner Meinung nach nicht zum bescheidenen Wesen der adligen Nonne? Hatte er sich
deshalb die Freiheit einer eigenen Interpretation erlaubt?
Wer der Maler dieses Miniaturporträts war, weiß man nicht, es ist nicht signiert. Das gilt für mehrere Miniaturen – in vielen Fällen ist der Künstler aber offensichtlich. So ist Rosalba Carriera als Urheberin einer Flora schon deshalb naheliegend, weil der Bildträger Elfenbein ist. Die Venezianerin war es, die dieses Material anstelle von Pergament in der Miniaturmalerei en vogue machte. Aber auch was Motive und Malweise angeht, sind sich Kunsthistoriker bei dieser Zuweisung sicher.
Dass wiederum das unsignierte Porträt des Preußenkönigs Friedrich II. von Anton Friedrich König stammen muss, liegt auf der Hand: Der „Alte Fritz“ hatte ihn schließlich offiziell zum „Hof-Miniatur-Porträt-Mahler“ ernannt. Aber man darf sich nicht vorstellen, dass sich sozusagen König und König im Atelier gegenübersaßen. Nein, der „Erste Diener des Staates“, wie sich Friedrich II. selbst bezeichnete, hatte Wichtigeres zu tun. Der überaus vielbeschäftigte Maler in seinen Diensten musste auf die großen Vorlagen von Kollegen zurückgreifen – ein gängiges Prozedere in der Miniaturmalerei. Im Buch Geliebte Porträts blendet Bernd Pappe solche Vorbilder zum Vergleich ein.
Finessen unter der Lupe
Dass sie nicht einfach nur abkupfern, sondern Meister eines speziellen Metiers sind, demonstrierten zahlreiche Miniaturenmaler, indem sie selbstbewusst ihren Namen oder wenigstens ihre Initialen beziehungsweise Monogramme in das Porträt integrierten. So wie Jean-Baptiste Jacques Augustin: Seinen Namen schrieb er auffallend auf das Kanapee, auf dem eine unbekannte Schöne auf wer weiß wen wartet.
„Primitiver“
wurde Augustin aber nicht deswegen bezeichnet. Vielmehr seines neuen Malstils wegen: Die Pariser Kollegenszene malte gerne frei und „duftig“ – er dagegen setzte auf kräftige Farbtöne und feilte geradezu pedantisch an Details, worin ihm andere Miniaturenmaler nicht so schnell das Wasser reichen konnten. Und das alles nur auf wenigen Zentimetern! Das Medaillon mit der Dame auf dem Kanapee misst gerade mal 8,5 Zentimeter im Durchmesser.
Es ging noch kleiner: Elisabeth Friedrike Sophie von Württembergs Dreiviertelporträt in üppiger Hofrobe benötigt nur etwa 4 auf 5 Zentimeter, das ovale Porträt des Joseph Ferdinand, Graf von Salern, knapp 3 auf 2 Zentimeter.
Gut, dass im Katalogbuch (Förderung durch die Ernst von Siemens Kunststiftung) solche Miniaturen vergrößert wiedergegeben sind, sonst könnte man die malerischen Finessen gar nicht erkennen. Und im Königsbau der Residenz verbietet es natürlich der Sicherheitsabstand, sich an den Miniaturen quasi die Nase platt zu drücken. (Karin Dütsch)
Katalogbuch: Bernd Pappe, Geliebte Porträts. Bildnisminiaturen im Münchner Residenzmuseum. Verlag Schnell und Steiner, Regensburg. 238 Seiten, 39,95 Euro.
Spendabler Sammler
Die Bildnisminiaturen im Münchner Residenzmuseum gehören nicht zum originären Bestand der Residenz – die Kleinporträts, die einst dort die Wände zierten, wurden Mitte des 19. Jahrhunderts dem Nationalmuseum übergeben, wo sie noch heute zu finden sind. Aber ein repräsentativer Herrschersitz ohne solche Bildnisse? Diese Lücke wurde zur Jahrtausendwende geschlossen: Der Freistaat übernahm eine entsprechende Kollektion von Klaus Nottbohm. Der Sammler und seine Gattin Helga schenkten der Bayerischen Schlösserverwaltung obendrein Miniaturen, andere gingen in die Nottbohm-Stiftung unter der Obhut der Schlösserverwaltung ein. Diese Sammlung wird im Königsbau ergänzt durch Ankäufe aus dem Kunsthandel und durch Bilder aus der Wandvertäfelung des Miniaturenkabinetts. (BSZ)
Residenzmuseum. Residenzstraße 1, 80333 München. Täglich 9-18 Uhr. www.residenz-muenchen.de
Abbildungen (von oben):
- Eine "offenherzige" unbekannte Schöne.
- Johann Wilhelm von der Pfalz.
- Die Bedeutung von Miniaturporträts stellte Niklas Lafrensen sinnfällig dar und nannte es „Die Tröstung während der Trennung“ (1785). Der abgebildete Ausschnitt ist stark vergrößert – im Original misst das Rondo nur sechs Zentimeter im Durchmesser.
- Kurfürst Maximilian II. Emanuel.
- Nicht einmal drei Zentimeter hoch ist das Bildnis von Bayerns erstem König Maximilian I. Joseph; es ziert ein Goldarmband.
- Der Herr mit den modischen Koteletten ist der Miniaturmaler Jean-Pierre-Frédéric Barrois, der sich selbst porträtierte. (Fotos: Bayerische Schlösserverwaltung)
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